Eine Prise mehr Balotelli Der DFB-Elf fehlen die Siegertypen
29.06.2012, 10:54 Uhr
Balotelli, Lahm: Der Italiener hat sich durchgesetzt.
(Foto: dapd)
Die deutschen Fußballer scheitern bei der Europameisterschaft in der Vorschlussrunde an Italien. Wieder einmal. Das ist nun kein Grund, über den grundsätzlichen Kurs zu diskutieren. Der stimmt ja. Aber irgendetwas fehlt. Was das ist, hat die siegreiche Squadra Azzurra gerade eindrucksvoll gezeigt.
Es gibt im Fußball immer wieder diese leidige Diskussion um Typen, die entweder eine Mannschaft prägen, oder ihr fehlen. Meist stoßen ehemalige Spieler solche Diskussionen an, die von sich glauben, solche Typen zu sein. Sie erzählen dann Geschichten von früher, wie sie im Trainingslager Karten gespielt und Bier getrunken, wie sie den Zapfenstreich überzogen und heimlich geraucht haben. Und dann am nächsten Tag trotzdem sieben Tore schossen, weil sie es eben drauf hatten und ihre Freiheit brauchten. Geschwätz.
Deswegen gibt es in der deutschen Nationalmannschaft diese Typen nicht. Bundestrainer Joachim Löw braucht niemanden, der die Regeln bricht. Wie überhaupt sehr viele Gründe dafür sprechen, dass unprofessionelle Akteure im modernen Mannschaftssport ihrem Team eher schaden als helfen. Nun sind die deutschen Fußballer allerdings just im Halbfinale der Europameisterschaft ausgeschieden. Mit 1:2 haben sie in Warschau gegen Italien verloren, das hört sich knapper an, als es in Wirklichkeit war. Das DFB-Team hat nicht schlecht gespielt, aber es hat sich einschüchtern, den Schneid abkaufen lassen. Und am Ende waren die anderen eindeutig besser.
Vor allem aber waren es jene von den Alten beschworenen Typen, die für den Sieg sorgten: Mario Balotelli, passionierte Skandalnudel, die bei den Trainingsläufen meist drei Runden hinter den anderen joggt - und gegen Deutschland beide Tore schoss. Antonio Cassano, Kollege im Angriff, der in seiner Karriere mehrmals wegen mangelnder Disziplin aus dem Kader flog und bei einer EM-Pressekonferenz für einen Eklat sorgte, als er sagte: "Ich hoffe, dass es bei uns im Team keine Schwuchteln gibt". Aber in Warschau die deutsche Innenverteidigung schwindelig spielte. Andrea Pirlo, der geniale Regisseur, der mit einer Miene über den Rasen läuft, als habe er nun wirklich keine Lust auf Fußball, aber Toni Kroos zum Statisten degradiert. Und Gianluigi Buffon, mutmaßlich in einen Wettskandal verwickelt, aber einer der besten Torhüter auf diesem Planeten.
"Grillfeste bis zum letzten Turnierwochenende"
Sie und ihre Kollegen haben die jungen deutschen Spieler Lehrgeld zahlen lassen. Diese Typen haben Seiten, die keiner braucht. Niemand will Idioten oder Schwulenhasser in der DFB-Elf sehen. Außer vielleicht Idioten oder Schwulenhasser. Aber diese Spieler haben gleichzeitig Fähigkeiten, die Gold wert sind. Und mit denen ein Team letztlich Titel gewinnt. Genau das ist es, was der deutschen Mannschaft fehlt. Die DFB-Elf hat sich zwar seit 2006 kontinuierlich entwickelt, sie hat sich spielerisch verbessert und seitdem bei Welt- und Europameisterschaften den Fans stets "Grillfeste bis zum letzten Turnierwochenende garantiert", wie Kapitän Philipp Lahm jüngst sagte. Platz drei bei der WM 2006, Zweiter bei der EM 2008, Dritter bei der WM 2010 und eben nun Halbfinale. Aber diese Generation der Hochbegabten hat noch nichts gewonnen. Deshalb sollte es dieses Mal in der Ukraine und in Polen unbedingt klappen, nach weltrekordreifen 15 Siegen in Wettbewerbsspielen hintereinander keine anmaßende Zielsetzung. Aber wieder hat die Mannschaft kurz vor dem Ziel der Mut verlassen.
Joachim Löw hat direkt nach dem Spiel gesagt, eine Niederlage in einem Halbfinale sei kein Grund, jetzt alles in Frage zu stellen. Schließlich habe sein Team bis dahin alle vier Spiele gewonnen, und das gegen namhafte Konkurrenz. Und er verwies darauf, dass die jüngste Mannschaft dieser EM über glänzende Perspektiven verfüge. Da hat er Recht. Und das Gute am Fußball ist, dass es immer weiter geht. Die nächste Weltmeisterschaft findet 2014 in Brasilien statt. Er wird aber auch wissen, welch große Chance seine Mannschaft vergeben hat. Und sich seine Gedanken machen, woran das liegt. Vielleicht kommt er zu dem Schluss, dass ein bisschen mehr Balotelli, eine Prise mehr Cassano, ein Hauch mehr Pirlo und ein Schuss mehr Buffon seiner Mannschaft ganz gut tun würde. Was die Leistung auf dem Platz angeht.
Bleibt nur die Frage, wo er all das hernehmen will. Fußballspielen kann man trainieren, Abgezocktheit und Siegermentalität nur schwer. Der Kurs stimmt, es ist der letzte Tick, der fehlt.
Quelle: ntv.de