Die DFB-Elf in der Einzelkritik Draxler dribbelt, Boateng bolzt, Müller grotesk

Hatten heute beide etwas zu feiern: Julian Draxler und Jérôme Boateng

Hatten heute beide etwas zu feiern: Julian Draxler und Jérôme Boateng

(Foto: picture alliance / dpa)

Sehr erfrischend ist das, was die deutsche Fußballnationalelf im EM-Achtelfinale gegen die Slowakei bietet. Der Abwehrchef feiert eine Premiere, der Kapitän hamstert Minuten und ein schon Abgeschriebener spielt groß auf.

Das war doch Mal ein fröhliches Spielchen, das die deutsche Mannschaft in ihrem ersten Alles-oder-nichts-Spiel bei dieser Fußballeuropameisterschaft in Frankeich gezeigt hat. Im Duell der Heilbäder - die DFB-Elf logiert in Évian, das Team der Slowakei in Vichy - gab's an diesem frühen und freundlichen Sonntagabend vor 44.321 Zuschauern im Stade Pierre Mauroy zu Lille ein 3:0 (2:0), das durchaus als locker herausgespielt bezeichnet werden darf. Damit steht die Auswahl von Bundestrainer Joachim Löw im Viertelfinale, das am kommenden Samstag in Bordeaux stattfindet. Gegen wen, das steht noch nicht fest. Zur Auswahl stehen Italien und Spanien, die sich am Montag im Stade de France für die Runde der letzten Acht bewerben. Bis dahin gilt festzuhalten, dass sich die DFB-Elf tatsächlich wie angekündigt gesteigert hat. "Wir hatten immer die Kontrolle über das Spiel und haben den Ball gut laufen lassen. Es war ein ungefährdeter Sieg", resümierte Löw dementsprechend zufrieden. Die deutschen Spieler in der Einzelkritik.

Hatte mal wieder alles im Griff: Manuel Neuer

Hatte mal wieder alles im Griff: Manuel Neuer

(Foto: picture alliance / dpa)

Manuel Neuer: Seit Beginn dieser EM vertritt der 30 Jahre alte Torhüter des FC Bayern den Phantomkapitän Bastian Schweinsteiger und trägt die Binde am Arm. Steht ihm durchaus gut, auch in seinem 69 Länderspiel. Wieder hat er kein Gegentor kassiert, bei diesem Turnier sind es nach vier Spielen folglich 360 Minuten. Wer die 120 des Weltmeisterschaftsfinals 2014 mitzählt, kommt auf 480 Turnierminuten, ohne dass Neuer hinter sich greifen musste. Das bisher letzte bekam er im Halbfinale gegen Brasilien, in allerletzter Minute. Da führte die deutsche Mannschaft allerdings schon mit 7:0, vielleicht erinnern Sie sich. Nun gegen die Slowaken durfte er aber durchaus zeigen, was er kann. Nach 38 Minuten flitzte er aus seinem Tor, um einen etwas zu kurz geratenen Rückpass Jonas Hectors vor Michal Ďuriš abzufangen. Seine stärkste Szene hatte er, als er vier Minuten vor der Pause einen Kopfball des Slowaken Juraj Kucka mit einer Hand parierte. Das wirkte gekonnt - und war es auch. Das Fazit des Interimskapitäns fiel wenig überraschend zufrieden aus: "Es war wichtig, mit einem 2:0 in die Pause zu gehen. Ich bin froh, dass wir das so zustande gebracht haben. Gegen die Mannschaften, gegen die wir gespielt haben, durften wir uns keine Fehler erlauben."

Joshua Kimmich: Jederzeit könne er ihn bedenkenlos bringen, hatte der Bundestrainer in den vergangenen Tagen mehrmals über den 21 Jahre alten Mittelfeldspieler des FC Bayern gesagt, der seit seinem EM-Debüt gegen Nordirland von einigen als der neue Philipp Lahm gefeiert wurde, nur weil er als Rechtsverteidiger ein gutes Spiel machte. Wobei Verteidiger ja eigentlich falsch ist, in der Defensive wurde er nicht gefordert. Nun gegen die Slowakei in seinem dritten Länderspiel kam da auch nicht viel mehr auf ihn zu. Bei der just erwähnten besten Chance der Slowaken allerdings gelang es ihm nicht, Kucka am Kopfball zu hindern. Ansonsten aber war es vielmehr so, dass Vladimir Weiss, Außenstürmer der Slowaken, häufig gegen Kimmich den linken Verteidiger geben musste. Der ist natürlich noch kein neuer Lahm, aber ein sehr guter Mann für diese Position, der in der Offensive mit energischen Vorstößen und ordentlichen Flanken überzeugt.

Jérôme Boateng: Vereinskollege Neuer hatte es ja geahnt. So wie er den Jérôme kenne, werde der nach seinen Wadenproblemen gegen die Slowakei auf dem Platz stehen. Das tat er dann auch - und wie! Für den 27 Jahre alten Abwehrchef des FC Bayern war es sein 63. Länderspiel. Und in Lille, an diesem 26. Juni 2016, erzielte er nach acht Minuten sein erstes Tor im Dress der wichtigsten deutschen Mannschaft. Er bolzte aus 25 Metern mit dem rechten Fuß den Ball hinein und stellte den Beobachter vor die Frage, ob dieser Mann denn nun für ganz und gar alles zuständig ist. Denn als Dirigent in der Defensive überzeugte er wie auch in den drei Spielen bei dieser EM zuvor. Und seine diagonalen Pässe in die Spitze sind etwas fürs Fußballmuseum, Abteilung Ästhetik. "Ich bin froh, dass er reingegangen ist. Ich habe gesagt, ich hebe mir das erste Tor für das Turnier auf. Ich freue mich aber besonders für die Mannschaft, die sehr gut gespielt hat. Die Ärzte und Physios haben alle Vollgas gegeben, sonst hätte ich heute nicht spielen können. Die Wade ist am Ende etwas fest geworden, es war eine Vorsichtsmaßnahme." Für ihn kam nach 64 Minuten der 28 Jahre alte Schalker Benedikt Höwedes in die Partie und zu seinem 38. Länderspiel. Und das aus zwei Gründen, wie der Bundestrainer hinterher berichtete. Zum einen die Wade, klar. Und zum anderen wäre er, hätte er eine Gelbe Karte kassiert, für's Viertelfinale gesperrt gewesen.

Sieht nicht nur gut aus, sondern kann auch noch verdammt gut Fußball spielen: Mats Hummels

Sieht nicht nur gut aus, sondern kann auch noch verdammt gut Fußball spielen: Mats Hummels

(Foto: picture alliance / dpa)

Mats Hummels: Irgendjemand soll jüngst eine Umfrage in Auftrag gegeben und alleinstehende deutsche Frauen gefragt haben, welcher Fußballer ihnen bei dieser EM am besten gefällt, also vom Aussehen her. Sie ahnen das Ergebnis: den Hummels. Der kann aber auch Fußball spielen, das zeigte der 27 Jahre alte Noch-Dortmunder im 49. Länderspiel. Im Zweikampf macht dem Innenverteidiger keiner etwas vor, er steht eh meist schon dort, wo Ball und Gegenspieler erst hinkommen. Im Zusammenspiel mit Boateng drängt sich der Eindruck auf, die beiden seien bei der Geburt getrennt worden und finden nun beim FC Bayern wieder zusammen. Auch Hummels beherrscht das spielaufbauende Passspiel, und wenn es darum geht, den Ball mit dem Kopf in Richtung des gegnerischen Tores zu befördern, ist er ganz vorne dabei. So geschehen nach einer guten Stunde, als er eine Kroos'sche Ecke auf Julian Draxler leitete, der dann das 3:0 erzielte. Aber dazu später mehr.

Jonas Hector: Der 26 Jahre alte Linksverteidiger des 1. FC Köln hatte vor seinem 18. Länderspiel die Zeichen der Zeit erkannt: "Jetzt zählt's eben." Seine etwas missglückte Rückgabe (38.) auf Torhüter Neuer buchen wir mal unter Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ab. Ansonsten hielt sich an seine selbst ausgerufene Maxime, indem er wie stets enorm viel lief und eine im besten Sinne grundsolide Vorstellung bot, die durchaus auch einige ordentliche Flanken in der Offensive im Repertoire hatte. Er wird den Job am linken Ende der Viererkette behalten, so lange die DFB-Elf im Turnier ist. Und mutmaßlich auch darüber hinaus.

Sami Khedira: Galt als Wackelkandidat auf der Position des Sechsers an der Seite des Kollegen Toni Kroos. Exegeten der Verlautbarungen des deutschen Trainerteams hatten gemunkelt, Löw könnte ihn in Lille gegen die Slowaken auf die Bank beordern und Käpt'n Schweinsteiger einen Einsatz in der Startelf gönnen. Tat er aber nicht. Und so begann der 29 Jahre alte defensive Mittelfeldspieler von Juventus Turin sein 64. Länderspiel wieder an der Seite von Toni Kroos. Es war nicht das Spiel, in dem er glänzte, aber er machte durchaus den Eindruck, als habe er alles im Griff. Marek Hamšík vom SSC Neapel zum Beispiel, der Star der Slowaken, fiel allein durch seine Irokesenfrisur auf. Und er bereitete das erste deutsche Tor mit dem Kopf vor. Eine Viertelstunde vor dem Ende der Partie durfte er raus, da auch ihm eine Gelbsperre drohte. Der 31 Jahre alte Bastian Schweinsteiger von Manchester United kam so zu seinem 118. Länderspiel und ein paar EM-Minuten mehr. Was er nicht bekam, war die Kapitänsbinde - die behielt Neuer. Löw hatte vor dem Spiel über seinen Kapitän gesagt: "Ich vertraue ihm vollständig und weiß, dass er bei diesem Turnier eine sehr wichtige Rolle für uns spielen wird." Die Frage ist nur, wann das sein soll.

"Ökonomischer" Standardspezialist: Toni Kroos

"Ökonomischer" Standardspezialist: Toni Kroos

(Foto: picture alliance / dpa)

Toni Kroos: Er spiele sehr "ökonomisch und ballsicher", und sei stets anspielbar, hatte der Bundestrainer ihn vor diesem Achtelfinale gelobt. Der 26 Jahre alte Ballverteiler von Real Madrid sei der Mann, dem die Kollegen vertrauen. Das war auch in seinem 69. Länderspiel so - wie sollte es anders sein? Zudem etablierte er sich weiter als Standardspezialist. Beim 1:0 durch Boateng (8.) trat er den Eckball, der dann aus der slowakischen Abwehr heraus beim Torschützen landete. Vor dem 3:0 durch Julian Draxler (63.) trat er die Ecke, die Hummels dann weiterleitete. Alles in allem: Das war jetzt nicht das große Spektakel, dass Kroos bot, aber im allerbesten Sinn unaufgeregt, präzise und solide.

Thomas Müller: Wir wollen das Thema nicht strapazieren. Aber was ist denn nun mit dem ersten Tor des 26 Jahre alten Angreifers bei einer Europameisterschaft? In seinem 75. Länderspiel - Jubiläum! - klappte es jedenfalls wieder nicht mit seinem 33. Treffer, was nicht so sehr ins Gewicht fiel, da ja die Kollegen trafen. Aber geärgert hat sich der Müllerthomas schon, das war ihm im Stade Pierre Mauroy deutlich anzusehen, wenn er wieder einmal die Arme ausbreitete und die Schultern hochzog. Wie gegen Nordirland im letzten Gruppenspiel agierte er meist hinter oder neben der Spitze namens Mario Gomez, eine Position, die ihm eigentlich liegt. Und er machte seine Sache gut, schlich sich oft in die Lücken, die die Abwehr der Slowaken ihm bot, er kam auch oft zum Abschluss. Aber es sollte nicht sein, auch nicht bei seinem vierten Einsatz in Frankreich. Sein vergebliches Mühen wirkte, je länger es dauerte, beinahe grotesk. Aber er schafft das noch - ganz bestimmt.

Mesut Özil: Reich mit fußballerischen Gaben gesegnet und wieder einmal mit einem Löw'schen Lob bedacht ging der 27 Jahre alte Hochbegabte in sein 77. Länderspiel. "Er ist bei uns immer ein Schlüsselspieler", hatte der Bundestrainer gesagt. Und in der Tat glänze er in Lille mit schlauen Pässen, ihm war gegen einen allerdings schwachen Gegner die Freude am Spiel anzusehen, auch wenn er nach 24 Minuten den Ball knapp neben das Tor setzte. Und fleißig ist er ja eh immer. Nur die Sache mit dem Elfmeter nach einer knappen Viertelstunde passt da nicht ganz ins Bild. Der war nämlich auch mehr Pass und weniger Schuss, so dass der Ball direktemang in die Arme des slowakischen Torhüters Matúš Kozáčik flog, der sich über dieses Geschenk gefreut haben dürfte. Aber auch für Özil gilt bei diesem Turnier: Er wird immer besser. Und irgendwann ist er dann vielleicht so gut wie ihn Löw immer beschreibt.

Julian Draxler: Tja, wird so mancher gedacht haben. Da steht also Draxler in der Startelf, nachdem er gegen Nordirland auf der Bank saß und seinen Platz in der Mannschaft verloren zu haben schien. Doch Pustekuchen, Löw setzte auf den 22 Jahre alten Wolfsburger, der in den ersten beiden Partien gegen die Ukraine und gegen Polen den linken Flügel besetzt hatte, und ließ anstatt seiner Mario Götze auf der Bank. Und was machte Draxler in seinem 22. Länderspiel? Er drehte richtig auf! Von Anfang an stürzte er sich in die Zweikämpfe und suchte das Dribbling, das er zudem glänzend beherrscht. Das 2:0 durch Mario Gomez (43.) bereitete er so ganz herrlich vor - und das dritte Tor der DFB-Elf (63.) schoss er dann gleich selbst, auch das war sehr schön anzusehen. Kurzum: Respekt. Es war sein vielleicht bestes Länderspiel - bisher. Nach 64. Minuten durfte er raus, bekam Applaus - und Lukas Podolski von Galatasaray aus Istanbul kam zu einem ersten Kurzeinsatz bei dieser EM und seinem 129. Länderspiel.

Mario Gomez: Die gute Nachricht für den 30 Jahre alten Mittelstürmer von Besiktas aus Istanbul ist, dass er bei dieser EM das sein darf, was er ist - und dafür auch geschätzt wird. Nach dem 1:0 gegen Nordirland im letzten Gruppenspiel hatte Löw über ihn geurteilt: "Er ist auch schon gerne im Zentrum und weicht wenig aus." Er hatte das keineswegs despektierlich gemeint, so schaffe Gomez Raum für seine Kollegen, weil sich meist zwei Abwehrspieler des Gegners um ihn kümmern. In seinem 67. Länderspiel nun erzielte er sein zweites Tor bei diesem Turnier und sein fünftes bei einer EM. Damit ist er nun auf Augenhöhe mit Jürgen Klinsmann, dem das auch gelang; mehr hat kein deutscher Nationalspieler je geschafft. Da hat Gomez ja noch ein Ziel. Um seinen Platz in der Mannschaft muss er jedenfalls nicht bangen. Sein Resümee: "Die Flexibilität, die wir in den letzten zwei Spielen hatten, ist genial. Das ist ein schöner Moment, ich will gar nicht zurückdenken. Ich freue mich, dass mir die Mannschaft vertraut. Nach hinten verteidigen wir sehr, sehr gut. Es macht Riesenspaß. Unser Ziel ist der Titel, deshalb müssen wir diese Nationen schlagen."

Quelle: ntv.de

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