Fußball-Fest "mit Beigeschmack" Klitschkos vor EM-Start skeptisch
05.06.2012, 19:34 Uhr
Der ukrainische Boxprofi und Oppositionspolitiker Vitali Klitschko bei einer Demonstration im Februar 2012 in Kiew.
(Foto: dpa)
Sie sind die größten Boxer unserer Zeit, vereinen die vier wichtigsten Schwergewichts-Gürtel in ihrer Familie und haben sich ihren kritischen Blick stets bewahrt. Mit gemischten Gefühlen blicken Witali und Wladimir Klitschko nun auch der Fußball-EM ab Freitag in ihrem Heimatland Ukraine entgegen.
Die Box-Weltmeister Witali und Wladimir Klitschko erwarten angesichts der politischen Missstände in ihrem Heimatland von der Fußball-EM ein "Fest mit Beigeschmack". Die Ukraine habe große Opfer bringen müssen und sei finanziell an Grenzen gestoßen. Dennoch herrsche vor dem Start am Freitag eine große Vorfreude, erklärten die Schwergewichts-Boxer im Interview mit dem Sport-Informations-Dienst (SID).
"Die EM ist eine große Chance für unser Land. Alle Menschen freuen sich auf das Spektakel", sagt der 40 Jahre alte Witali. Erst vor ein paar Tagen habe die Eröffnung des neuen Flughafen-Terminals in Kiew reichlich Stolz und Freude in der Bevölkerung ausgelöst. "Ich hatte Angst, dass unserem Land die EM noch weggenommen wird. Doch wir haben die Kurve gekriegt", meinte der fünf Jahre jüngere Wladimir.
Allerdings seien kurz vor dem Start die organisatorischen Mängel unübersehbar. "Viele Straßen sind in der Tat nicht in Ordnung", sagt WBC-Champion Witali. Die Kosten seien für die Ukraine enorm. Allein für die Infrastruktur habe man zehn Milliarden Euro ausgegeben. Das liege auch daran, dass in der Ukraine im Vergleich etwa zu Polen die Baukosten zweimal so hoch sind. "Zudem leidet unser Land weiter unter Korruption. So etwas schreckt ausländische Investoren ab. Die brauchen klare Regeln, um ihr Geld anzulegen", sagt Witali.
Imageprobleme durch die Regierung
Die Regierung sei auch Schuld an dem schlechten Image, dass die Ukraine durch die Debatte um die ehemalige Regierungschefin Julia Timoschenko erhalten habe. Die Diskussion habe die Titelseiten der Weltpresse gefüllt. "Statt über Fußball oder über ein Sommermärchen reden die Leute überall auf der Welt über die fehlenden Menschenrechte in der Ukraine", sagt Witali und macht dafür Präsident Wiktor Janukowitsch verantwortlich: "Er hätte die Probleme längst lösen müssen."
Am Dienstag beteiligte sich Witali Klitschko an einem Demonstrationszug vor dem ukrainischen Parlament in Kiew. Er protestierte gegen die Einführung eines Gesetzes, das die Einführung des Russischen als zweite Amtssprache vorsieht. Zwischen Gesetzesgegnern und Polizisten gab es auf dem Unabhängigkeitsplatz, der bei der Fußball-EM als Fan-Zone genutzt werden soll, Auseinandersetzungen. Laut Augenzeugenberichten setzten beide Seiten Tränengas ein.
Kandidatur gegen Janukowitsch
Um gegen Janukowitsch vorzugehen, plante Witali eine Kandidatur bei der Bürgermeister-Wahl, die aber nicht zustande kam. "Eigentlich sollten die Wahlen im Mai stattfinden. Doch die jetzige Regierung hat gesehen, dass unsere Partei zu mächtig ist und ließ den Termin platzen", erklärt "Dr. Eisenfaust". Ein neuer Termin steht noch nicht fest. Bei den Parlamentswahlen am 24. Oktober will er auf jeden Fall antreten. Zuvor bestreitet er wohl am 1. September noch einen WM-Kampf. Als Gegner werden Manuel Charr (Köln) und Marco Huck (Berlin) gehandelt.
Trotz der Missstände im Lande sind beide Boxer gegen einen zwischenzeitlich diskutierten Boykott. Die Menschen sollten in die Ukraine kommen, sich ein Bild machen und die Verhältnisse gegebenenfalls kritisieren, sagt Wladimir. Da habe er eine ähnliche Haltung wie Philipp Lahm, der UEFA-Chef Michel Platini für seine Haltung der politischen Neutralität angegriffen hatte. Platini liege daneben, "was er sagt, ist völlig falsch! Sport und Politik gehören zusammen", meint "Dr. Steelhammer" Wladimir und zitiert Nelson Mandela: "'Der Sport hat die Kraft, die Welt zum Guten zu verändern.'"
Ukraine gegen Deutschland
Während der EM wird Witali als Mitglied im Organisationskomitee und offizieller EM-Botschafter Spiele der deutschen und auch der ukrainischen Mannschaft besuchen. Bruder Wladimir ist nicht in der Ukraine, weil er sich schon auf seinen WM-Kampf am 7. Juli in Bern gegen den US-Amerikaner Tony "The Tiger" Thompson (USA) vorbereitet. "Aber ich habe in meinem Bruder Witali einen sehr guten Vertreter", sagt Wladimir.
Die Traumpaarung für das Endspiel in Kiew wäre für beide Schwergewichtler Deutschland gegen die Ukraine. "Wie das ausgehen soll, verrate ich nicht", meint Witali, während sich Bruder Wladimir weiter aus dem Fenster lehnt: "Am besten ist, wenn beide Teams am Ende ins Endspiel kommen. Dann sollte aber, sorry Deutschland, die Ukraine gewinnen."
Quelle: ntv.de, Nikolaj Stobbe, sid