Wie Opa, der vom Krieg erzählt Ballack geht als tragische Figur
04.05.2012, 12:30 Uhr
"Zu Beginn meiner Profikarriere waren manche Dinge einfach selbstverständlich, da gab es feste Hierarchien, auf dem Platz, aber auch im Alltag": Michael Ballack.
(Foto: REUTERS)
Er war der prägende Spieler seiner Generation, nun verabschiedet sich Michael Ballack mit seinem letzten Bundesligaspiel aus Deutschland. Was bleibt, ist die Erinnerung an einen großen Fußballer. Und an einen, der nicht einsehen wollte, dass die Dinge um ihn herum sich ändern.
Die Versuchung ist groß, zum Abschied noch etwas Nettes über Michael Ballack zu sagen. Mit Bayer Leverkusen spielt er am Samstag in Nürnberg, zum 267. und, nach menschlichem Ermessen, letzten Mal in der Bundesliga. Danach will Michael Ballack, 35 Jahre alt, noch ein bisschen für Geld Fußball spielen, wahrscheinlich zieht es ihn, wie er durchblicken ließ, nach Nordamerika. Und es ist gar nicht so schwer, etwas Nettes über ihn zu sagen.
Er war in Deutschland schlicht und ergreifend über ein Jahrzehnt der prägende Spieler seiner Generation. Für die Nationalmannschaft spielte er 98 Mal, war der Kapitän, Führungsfigur und einer der torgefährlichsten Mittelfeldspieler der Welt. Nachdem er von Chemnitz aus 1997 zum 1. FC Kaiserslautern wechselte, mit dem er 1998 unter dem Trainer Otto Rehhagel gleich Deutscher Meister wurde, hat er sich die große Fußballwelt nach und nach erobert. Erst bei Bayer Leverkusen, dann beim Branchenführer in München und schließlich bei FC Chelsea in der englischen Premier League. Und doch geht er als tragische Figur in die Geschichte ein.
Mitnichten stets Zweiter
Weniger, weil er angeblich immer nur Zweiter geworden ist, wenn auch vor allem das Jahr 2000 in Erinnerung bleibt, als er mit Leverkusen am letzten Spieltag in Unterhaching die Meisterschaft verspielte. Oder zwei Jahre später, als er mit der Werkself das Finale um den DFB-Pokal verlor, ebenso das Endspiel in der Champions League und in der Bundesliga auch wieder nur auf Rang zwei landete. Oder dass er mit der Nationalelf zwar Zweiter bei der Weltmeisterschaft 2002 wurde, Dritter bei der WM 2006 und Zweiter bei der Europameisterschaft 2008, aber nie einen Titel gewann. Dafür aber hat Michael Ballack auch viermal die deutsche und einmal die englische Meisterschaft gewonnen, dreimal den deutschen und dreimal den englischen Pokal. Mit Chelsea stand er 2008 noch einmal im Finale der europäischen Königsklasse. Und verlor. Aber das ist nicht das Problem.
Niemand anderes als Michael Ballack selbst hat das jüngst im Interview mit dem Magazin der Wochenzeitung "Die Zeit" auf den Punkt gebracht, was sein Problem ist: "Zu Beginn meiner Profikarriere waren manche Dinge einfach selbstverständlich, da gab es feste Hierarchien, auf dem Platz, aber auch im Alltag. Das gilt heutzutage nicht mehr als zeitgemäß." Und dann hat er erzählt, wie das früher so war, und es klang ein wenig, als erzähle Opa vom Krieg. "Wenn der Trainer zum Beispiel vier Wochen mal nicht mit einem Spieler gesprochen hat, dann war das völlig normal. Oder als junger Spieler warst du zwar beim Training dabei, aber Massagen gab's, wenn überhaupt, erst nach drei oder vier Stunden, wenn die etablierten Spieler fertig waren. Dann durftest du auch mal hingehen und fragen, ob du noch drankommst." Es lebe die Hackordnung. "Mit Schikane hat das nichts zu tun. Ich habe das als völlig normal empfunden."
Wie aus der Zeit gefallen
Und dann war plötzlich alles anders. Nach seinem unschönen Abschied aus der Nationalmannschaft wirkte er wie aus der Zeit gefallen. Die Dinge um ihn herum entwickelten sich, rasant mitunter. Als ihn der ghanaische Nationalspieler Kevin-Prince Boateng am 15. Mai 2010 so schwer foulte, dass Michael Ballack die Bänder rissen und er für die Weltmeisterschaft ausfiel, schien es so, als stünde die Bundesrepublik kurz vor dem Notstand. Die ARD sendete einen Brennpunkt, und Fußball-Deutschland war sich einig: Ohne Michael Ballack geht bei dem Turnier nichts, von einem Schock war die Rede, von blankem Entsetzen. Kevin-Prince Boateng, der Halbbruder des deutschen Nationalspielers Jerome Boateng, war der Bösewicht der Nation.
Aber just, als Michael Ballack nicht mehr dabei war, fingen die Deutschen in Südafrika damit an, schönen, ja spektakulären Fußball zu spielen. Es bleibt für immer ungeklärt, ob sie das auch mit ihm getan hätten. Aber sie und vor allem Bundestrainer Joachim Löw wollten ihn nicht mehr dabei haben, als er wieder gesund war und die Kapitänsbinde zurückforderte. Ihn, der in der Hierarchie stets ganz oben gestanden hatte. Nur dass es diese Hackordnung auf einmal nicht mehr gab. Das, sagte Michael Ballack ebenfalls der "Zeit", sei die bitterste Erkenntnis seiner Laufbahn gewesen. "Wie man behandelt wird, wenn man vielleicht nicht mehr so gebraucht wird."
Quelle: ntv.de