Eine Fußspitze glücklicher DFB-Coup verlängert Schwedens Trauma
25.07.2013, 13:58 Uhr
Glückliche Finalistinnen: die DFB-Frauen um Kapitänin Nadine Angerer.
(Foto: dpa)
Erst Krampf, dann Kampf, jetzt schöner Fußball: Mit ihrer besten Turnierleistung spielen sich die DFB-Frauen ins EM-Finale. Während sie vom sechsten Titel in Folge träumen, muss Gastgeber Schweden sein nächstes Deutschland-Trauma verarbeiten.
"Platt wie ein Pfannekuchen" war Nadin Keßler nach dem Halbfinal-Coup über EM-Gastgeber Schweden. Erklären konnte die deutsche Fußballerin die Auferstehung der schon Abgeschriebenen, die nun am Sonntag um den sechsten EM-Titel in Folge spielen, trotzdem: "Wir konnten doch heute gegen den Favoriten nur gewinnen. Und irgendwann musste bei uns ja auch mal der Knoten platzen." Er platzte vor knapp 17.000 Zuschauern in Göteborg. In einer Szene, die in die schwedische Fußballgeschichte eingehen wird. Rubrik: Trauma, Teil vier.
Im Mittelfeld hatte DFB-Routinier Anja Mittag den Ball erobert, ihn direkt zu Jungstar Dzsenifer Marozsan weitergeleitet. Deutschlands Nr. 10 sprintete in den Strafraum, bedrängt von einer Abwehrspielerin und Schwedens Keeperin, die ihr entgegenstürzte. Stoppen konnten sie Marozsan nicht. Im Fallen spitzelte sie den Ball gerade noch Richtung Tor. Und dann kullerte er und kullerte und kullerte.
"Ich habe gezittert. Ich dachte, bei meinem Glück geht der an den Pfosten", beschrieb Marozsan später die quälende Kullerei: "Aber Anja ist auf meinen Rücken gesprungen, bevor der Ball drin war. Da wusste ich, dass er reingeht." Nach 33 Minuten führten die "jungen Wilden" des DFB gegen die Gastgeberinnen und Turnierfavoritinnen Schweden mit 1:0. Das Gamla-Ullevi-Stadion schwieg zum ersten Mal.
"Deutschland ist Deutschland"
72 Minuten, ein schwedisches Abseitstor und einen Pfostenschuss später schwieg das Stadion erneut. Es stand immer noch 1:0, das Spiel war vorbei, Schwedens Traum vom Heim-Titel geplatzt. Und jetzt versucht das Land zu verstehen, wie das passieren konnte, schon wieder. Hatten sich die Titelverteidigerinnen zuvor nicht behäbig durch die EM geschleppt, während die Schwedinnen getanzt waren? Und trotzdem tanzte nun die schon angezählte DFB-Bundestrainerin Silvia Neid mit ihren Spielerinnen Pogo auf dem Rasen und Schweden dachte an 1995, 2001 und 2003. An die drei Endspiele bei EM und WM, an die drei Niederlagen. Gegen die DFB-Frauen.
"Deutschland ist Deutschland", hatte Sturmstar Lotta Schelin vor dem Halbfinale gewarnt. Das Ergebnis gab ihr recht, die Art des Zustandekommens nicht. Denn Deutschland spielte im Halbfinale nicht wie das Deutschland aus den bisherigen EM-Spielen. Nach der verstolperten Vorrunde mit der historischen Niederlage gegen Norwegen und dem spielerisch dürftigen Viertelfinalsieg gegen Italien erfand sich das junge Team von Silvia Neid gegen Schweden neu. Gegen die beste Mannschaft im EM-Halbfinale zeigten die DFB-Frauen ihre beste Turnierleistung.
Abwehrdreieck überragt
Mit Pressing, Ruhe und Übersicht am Ball, One-Touch-Kombinationsspiel, aber auch mutigen Dribblings im Eins gegen Eins begegnete die jungen deutsche Mannschaft den Gastgeberinnen. Dem schwedischen Sturmlauf im zweiten Durchgang trotzte das Team offensiv mit Mut und Cleverness. Und dem rechten Torpfosten, der in der 70. Minute ausnahmsweise für die erneut überragende Torfrau Nadine Angerer retten musste.
Ein einziges, noch dazu unglückliches Gegentor hat die 34-Jährige im Turnier erst kassiert, beim bitteren 0:1 gegen Norwegen. Auch gegen Schweden hielt sie die knappe Führung mehrfach bravourös fest. Vor Angerer machten die Innenverteidigerinnen Saskia Bartusiak und Annike Krahn wie immer die "ganze Drecksarbeit", lobte Mittelfeldspielerin Simone Laudehr, die wie der Rest des Teams bis zur Erschöpfung lief und kämpfte.
Teamkollegin Keßler war nach dem "intensiven Spiel" völlig fertig und rundum glücklich, Bundestrainerin Silvia Neid auch: "Für mich war es auch sehr anstrengend, vor allem auch die zweite Halbzeit, als wir Glück hatten, dass die Schweden nicht das 1:1 gemacht haben." Entscheidend für den Sieg war für Neid nicht Maroszans Fußspitze in der 33. Minute, sondern der Sieg in der ersten K.o.-Runde.
Schlüsselspiel gegen Italien
"Dieses 1:0 gegen Italien im Viertelfinale war das Schlüsselspiel", sagte die 49-Jährige, in deren Kader verletzungsbedingt nur noch neun Europameisterinnen von 2009 und zehn Teilnehmerinnen der WM 2011 stehen: "Durch den Einzug ins Halbfinale ist meinen jungen Spielerinnen ein Stein vom Herzen gefallen."
Gewonnen ist mit dem Finaleinzug noch nicht, aber der Glaube an den Sieg ist gewachsen. Damit es am Sonntag ab 16 Uhr (ARD und Eurosport) mit dem achten EM-Titel klappt, fordert Kapitänin Angerer: "Im Finale müssen wir mit der gleichen Leidenschaft, dem gleichen Mut und dem gleichen Spaß wie im Halbfinale auftreten."
Mittelfeldspielerin Keßler ist überzeugt, dass dieses Vorhaben gelingen wird - und zwar nicht nur wegen der um einen Tag längeren Pause im Vergleich zum Finalgegner, der Norwegen oder Dänemark heißen wird. "In Deutschland hatten uns schon viele abgeschrieben", sagte Nadine Keßler: "Aber wir haben die richtige Antwort gegeben, jetzt fehlt nur noch ein Schritt."
Quelle: ntv.de