"Ente" machte sie alle nass Der witzigste Typ der Bundesliga-Geschichte
10.11.2020, 06:04 Uhr
"In jedem Zuschauer habe ich meinen besten Freund gesehen."
(Foto: imago sportfotodienst)
Unzählige Anekdoten und lustige Sprüche hat Willi Lippens in seiner Karriere produziert. Er ist einer dieser unverwechselbaren Typen, die viele Fans in der heutigen Zeit vermissen. Auch mit 75 Jahren ist sein größer Wunsch, noch einmal vor 80.000 Zuschauer "so richtig aufzuziehen".
Willi "Ente" Lippens hat sich selbst einmal als "Muhammad Ali des Fußballs" bezeichnet, der seine Gegenspieler zur Verzweiflung brachte und die Zuschauer in Begeisterung versetzen konnte. Seine berühmteste Anekdote kennt jeder Fußballfan. Damals in Herne sagte der Schiedsrichter: "Herr Lippens, ich verwarne Ihnen". Und die "Ente" antwortete: "Ich danke Sie!" Es war der Anfang eines Fußballer-Lebens voller wunderbarer Geschichten.
Willi Lippens weiß ganz genau, wem er seine Karriere zu verdanken hat. Mit Pathos in der Stimme sagt er noch heute: "In jedem Zuschauer habe ich meinen besten Freund gesehen." Am liebsten würde er noch einmal einen großen Auftritt hinlegen und vor seinen 'Freunden' den Ball treten: "Ich würde sogar 20 000 Euro dafür geben, in einem solchen Tempel vor 80 000 Zuschauern mal so richtig aufzuziehen." Und eigentlich hindert ihn auch nichts daran. Denn wie hat er damals, in den letzten Zügen seiner Karriere, so schön gesagt: "Je älter ich werde, desto größer trumpfe ich auf. Wenn das so weitergeht, bin ich in einigen Jahren überhaupt nicht mehr zu bremsen."
Bei Rot-Weiss Essen fing 1965 für den halben Niederländer aus dem Kreis Kleve alles an. Schnell machte er sich einen Namen. Seine Spielweise ("Ich habe nie eine Torchance überhastet vergeben. Lieber habe ich sie vertändelt") begeisterte die Leute. Und seine Füße wurden von der Presse gefeiert und von den Fans bewundert. Damals wurde der junge Willi Lippens gerne gefragt, seit wann er denn diese Senk-, Spreiz- und Plattfüße habe? Und der junge RWE-Profi antwortete lächelnd: "Seit ich in Holland die Berge plattgetreten habe."
"Arbeitsverweigerung von Bundesligaprofis"
Das Leben bei Rot-Weiss war schön. Der Klub spielte in der Bundesliga, Lippens hatte sich zum Topverdiener hoch geschossen und die Fans strömten an die Essener Hafenstraße. Doch dann fällten die Vereinsoberen eine folgenschwere Fehlentscheidung. Willi "Ente" Lippens lacht sich noch heute ins Fäustchen, wenn er an seinen alten Trainer Horst Witzler denkt. Der wollte den kleinen "Onkel Willi" im Sommer 1973 nämlich ordentlich gegen die Wand fahren lassen. ›Doch nicht mit mir', dachte sich der halbe Holländer und erfand mal eben so nebenbei den VHS-Grundkurs 1 für Neuanfänger in "Arbeitsverweigerung von Bundesligaprofis".
Und das kam so: Als Lippens richtig guten Mutes aus dem Spanienurlaub zum ersten Training an der Gruga fuhr, stand dort bereits das schicke VW Cabriolet des neuen Fußballlehrers auf dem Parkplatz. Willi erinnert sich genau an diesen Augenblick: "Da sitzt ein braun gebrannter, schwarz gekleideter Typ drin und hat den Arm lässig raushängen. Ich komm vorgefahren mit meinem BMW, stell mich daneben und denk: Ach, guck mal, der neue Trainer. Ist ja wunderbar. In dem Moment steige ich aus, nehme mein Täschken, da ruft der auf einmal: ›Wilhelm, kommen Sie mal!‹ Ich denk mir nichts dabei und latsch da rüber. ›Setzen Sie sich mal neben mich hier.‹ Der beugt sich runter, macht die Tür auf - wär fast rausgefallen - ich hops rein. Das erste, was mir der neue Trainer sagt: ›Lippens, ich brauch Sie nicht!‹"
Der Stürmer war natürlich baff: "Ich habe gar nichts mehr gesagt, ich war fertig. Das ist ja klar. Du kommst dahin voller Erwartungen, und der haut dir direkt eine rein. So, habe ich nur gedacht, warte, mein Freundchen!"
"War irgendwie verrammelt"
Lippens, der zu der Zeit mit verbundenen Augen erbsengroße Goudastücke von der Latte knallen konnte, verlernte urplötzlich von einer Sekunde zur nächsten das Fußballspielen wie Schulkinder das Stricken und Häkeln einen Tag, nachdem die Zensuren im Fach "Textiles Gestalten" vergeben wurden. Mit einem verschmitzten Lächeln schildert die Ente die dramatische Situation: "Ja, wie der Teufel es will, es lief nicht so. Das kann passieren. Einfach keine Hütten mehr geschossen, war irgendwie verrammelt, da ging nichts mehr. Ich war völlig fertig."
Der Plan funktionierte. Rot-Weiss Essen legte einen katastrophalen Start in die Saison hin, und schon bald geschah das, was in solchen Momenten immer passiert: Trainer Witzler sollte hoch zum Vorstand. Willi Lippens war am Ziel seiner bösen Träume: "Ich wusste ja, jetzt ist er weg. Ich denk, was machst du nun? Hab ich mich in mein Auto gesetzt, Scheibe runter gedreht, Arm lässig raus, einen ganz auf cool gemacht. Nach 'ner halben Stunde kommt mein Freund runter. Ich: ›Trainer, Trainer, kommen Sie mal kurz.‹ Witzler ist natürlich schön angepisst, kommt aber trotzdem. Und ich: ›Trainer, wissen Sie was: Ich brauch Sie auch nicht mehr!‹"
Die "Ente" erzählt auch heute noch gerne auf wechselnden Bühnen Geschichten aus der damaligen Zeit. In seinen Erinnerungen spielen auch längst vergessene Protagonisten eine Hauptrolle, die niemals auf dem grünen Rasen gestanden haben - aber für die Vereine als Mythos dennoch prägend waren. So wie "Sirenen-Willi", ein buntes Essener Fan-Original in den sechziger und siebziger Jahren. Mit einem Zylinder auf dem Kopf und ganz in Rot-Weiß gekleidet begleitete Willi Schick seine Mannschaft von der Hafenstraße quer durch Deutschland. Wo immer die Essener antraten, "Sirenen-Willi" war schon vor Ort.
"Sirenen-Willi"
So auch bei einem Auswärtsspiel der Rot-Weißen in Hamburg. Als das Team nach der Begegnung am Hauptbahnhof eintraf, wartete dort bereits ein sichtlich betröppelt dreinschauender Willi Schick auf sie. Nach einigen ausgiebigen Besuchen der Reeperbahn und dem einen oder anderen Gläschen alkoholischen Inhalts musste "Sirenen-Willi" sich eingestehen, dass er keinen Pfennig mehr für die Rückfahrt in der Tasche hatte. Als Willi Lippens den treuen Fan einsam und verlassen am Bahnsteig stehen sah, entschloss er sich spontan, den Edel-Anhänger der Rot-Weißen mit in sein Abteil zu nehmen. Zusammen mit Hansi Dörre teilte er sich einen Drei-Betten-Raum, und so hatte man genug Platz für einen weiteren Fahrgast.
"Sirenen-Willi" legte sich nach oben, Dörre in die Mitte und Lippens nach ganz unten. Der Zug fuhr an, man schloss die Augen und schlummerte langsam ein. Bis Willi Schick auf die Idee kam, es sich ein wenig gemütlicher zu machen. Das Essener Stürmeridol Lippens erinnert sich lebhaft an diesen Augenblick: "Auf einmal hat der seine Schuhe ausgezogen. Leute, Leute, Leute. Sofort waren die Scheiben beschlagen. Unvorstellbar. Das ging dann nur noch wie beim Röntgenarzt: ›Tief einatmen. Nicht mehr atmen.‹ Da war natürlich die Frage, was machen wir jetzt hier? Das wäre nie und nimmer gutgegangen. Da sagt der Hansi: ›Wir schieben das Fenster auf, der Willi hält die Mauken raus, und dann müsste das irgendwie schon gehen.‹ Genauso ist es gekommen. Wir haben das Ding aufgezogen, der hat seine Füße rausgelegt, und dann ist der bis Essen so gefahren. Die Käsemauken immer schön im Fahrtwind. Vom Feinsten. Aber er hat wirklich tapfer durchgehalten."
Ben Redelings ist ein leidenschaftlicher "Chronist des Fußballwahnsinns" (Manni Breuckmann) und Anhänger des ruhmreichen VfL Bochum. Der Autor, Filmemacher und Komödiant lebt im Ruhrgebiet und pflegt sein Schatzkästchen mit Anekdoten. Für ntv.de schreibt er dienstags und samstags die spannendsten und lustigsten Geschichten auf. Weitere Informationen zu Ben Redelings, seinen aktuellen Terminen und Projekten gibt es auf seiner Seite www.scudetto.de.
Willi Lippens, den man getrost als einen der witzigsten Spieler in der Geschichte der Fußball-Bundesliga bezeichnen kann, hatte in all den Jahren seiner abwechslungsreichen Karriere einen ganz großen Sparringspartner auf dem Platz. Der Mann, den man die "Ente" nannte, liebte den Schiedsrichter Walter Eschweiler - und umgekehrt.
"Ein bisschen dünn mit Flaschenbeinen"
Stundenlang konnten sich die beiden auf dem grünen Rasen miteinander unterhalten. Wenn Willi Lippens heute noch über den bekannten Spielleiter der siebziger und achtziger Jahre erzählt, dann klingt das ein wenig so, als ob er über einen guten alten Freund redet: "Walter, Walter. Der war ja ein bisschen dünn mit Flaschenbeinen. Latte im Kreuz. Wie man sich eben einen Stocksteifen vorstellt."
Mit dem rheinischen Diplomaten hat der halbe Holländer aus dem Ruhrgebiet einfach immer richtig viel Spaß auf dem Platz gehabt, wie er stets gerne erzählt: "Wir haben uns oft unterhalten während des Spiels. Eckball für uns, bin ich raus zur Fahne, kam er hinterher: ›Na, Wilhelm, wie geht es zu Hause?‹ Sag ich: ›Danke, Walter, uns geht es sehr gut. Soll ich jetzt die Ecke schießen oder möchtest du, dass ich noch was erzähle?‹ Oder wenn du gefoult worden bist und hast auf dem Boden gelegen, da kam er dann vorbei - so in seiner Art mit den strammen Beinen und dem glatt gebügelten Oberkörper - und hat zu dir nach unten geschaut: ›Jung, suchst du was, hast du was verloren?‹" Da hatten sich zwei gesucht und gefunden. Kein Wunder also, dass einer der lustigsten Sätze der Bundesliga-Historie genau zwischen diesen beiden Urtypen fiel. Man muss sich das kurz noch einmal vergegenwärtigen: Mitte der siebziger Jahre, erste Fußball-Bundesliga. Schiri Eschweiler läuft drei Meter versetzt zu dem ballführenden Willi Lippens über den Rasen, als er unvermittelt, aber mit einem schelmischen Grinsen im Gesicht zum RWE-Profi hinüber ruft: "Ich glaub, Wilhelm, deine Frau betrügt uns!" Den muss man erst einmal sacken lassen.
Alles Gute, herzlichen Glückwunsch und Glück auf, lieber Willi Lippens, zum 75. Geburtstag - und noch viele erheiternde Stunden als "Ententainer" (O-Ton Lippens) auf den Bühnen dieser Welt!
Quelle: ntv.de