Gross soll Schalke 04 retten Eine wirklich seltsame Entscheidung
27.12.2020, 16:46 Uhr
Weiß er, was ihn erwartet?
(Foto: imago images/Ulmer)
Der Schweizer Trainer Christian Gross soll den FC Schalke 04 retten. So hat es sich Sportvorstand Jochen Schneider gewünscht. Es ist eine ebenso mutige wie aberwitzige Entscheidung. Und für Schneider die letzte Chance, den Klub und sich selbst zu retten.
Der Name Christian Gross kam ja jetzt nicht urplötzlich grüßend aus irgendeinem Sack gekrochen, für ein adventlich-weihnachtliches Märchen hatten viele Fans des FC Schalke 04 die Gerüchte um den Schweizer Trainer allerdings schon irgendwie gehalten. Oder zumindest halten wollen. Denn tatsächlich stellt sich spätestens nun, wo die Personalie offiziell ist, die Frage: Was soll das?
Wie um des königsblauen Willens kommt Sportvorstand Jochen Schneider auf die Idee, dass dem 66-Jährigen, der seit einer Ewigkeit im Umfeld der Bundesliga nicht mehr präsent war, nun das gelingt, woran in dieser Bundesliga-Saison schon die Trainer David Wagner, Manuel Baum und Huub Stevens (einmalig) gescheitert sind. Nämlich diesem völlig verunsicherten Team den sportlichen Liga-Horror auszutreiben - bei 29 sieglosen Bundesligaspielen in Folge steht der Klub aktuell.
Laut Schneider soll Gross die als charakterlich sehr schwierig geltende Mannschaft (hochklassige externe Zugänge scheinen mit Blick auf die dramatische Finanzlage des Klubs kaum realistisch) mit seiner autoritären Art führen können. Den Job werde er zudem für ein relativ kleines Gehalt übernehmen. Schneider kennt Gross aus gemeinsamen Zeiten beim VfB Stuttgart. Die waren erst ziemlich erfolgreich, dann das krachende Gegenteil. Er befreite den Klub in der Saison 2009/10 mit dem besten Punkteschnitt aller Bundesliga-Trainer zunächst aus dem Abstiegskampf und führte die Schwaben noch in die Europa League. Dann wurde er in der neuen Saison aber sehr schnell entlassen.
Nun, solche Wunder-Geschichten finden in der Gelsenkirchener Existenzangst derzeit keinen Platz. Es geht tatsächlich lediglich um das sportliche (und finanzielle) Überleben. Und für das braucht es eigentlich jemanden, der diesen Klub lebt. Der ihn leidet. Im Notfall frisst. Nicht Gross. Und das hat nicht mal etwas mit ihm zu tun.
Schalke hat immer noch gute Fußballer
Man mag das vielleicht nicht mehr glauben angesichts der tasmanischen Darbietungen in den vergangenen Wochen, aber die Schalker haben immer noch sehr gute Fußballer in ihrem Aufgebot. Es sind Fußballer, die wissen, wie man Zweikämpfe gewinnt, wie man Pässe spielt, wie man Tore schießt, oder aber ein erfolgreiches Pressing organisiert.
Es sind allerdings Fußballer, die sich schnell aufgeben, wenn es nicht läuft. Denen die Mentalität zum Aufbäumen fehlt. Es gibt in dieser verzweifelten Mannschaft offenbar keine oder zu wenige Fußballer, die vorangehen, an denen sich der Rest des Teams aufrichten kann. Es fehlt das Gefühl für das Team. Das Gefühl für den Zusammenhalt. Es fehlt das Gefühl für den Klub. So wirkt es.
Es sind einfach (zu viele) Fußballer, die weit weg sind von der Identität, von den Werten über die und mit denen sich dieser besondere Verein definiert. Die weit weg sind von Leidenschaft, von Feuer, von Maloche. Und sollten die Gelsenkirchener noch zu retten sein, dann nur, wenn es einem Trainer gelingt, die Emotionalität der Geschichte, der Fans, der Stadt auf die Spieler zu übertragen. Wenn er die Spieler immer und dauerhaft mit der ihr eigenen Leidenschaft penetriert. Wenn er eine Elf findet, die ihm folgt, die sich für ihn zerreißt.
Fast alle Helden der verehrten legendären "Eurofigther"-Generation haben sich für eine Lösung mit königsblauen Adern ausgesprochen, mit emotionaler Malocher-Attitüde. Die meisten "Eurofighter" sind keine Legenden an der Linie, aber gern gehörte rund um den Klub. Jochen Schneider hat all das ignoriert, was sein gutes Recht ist. Ein Friedhelm Funkel wäre spannend gewesen, ein Mike Büskens mutig, ein Peter Neururer aufregend, polarisierend, erweckend.
Stattdessen gräbt der Sportvorstand nun eine gute Erinnerung aus. Eine, die mit Schalke nichts zu tun hat, die laut Medienberichten die eigene Trainerkarriere eigentlich beendet hatte und außerdem seit acht Jahren nicht mehr im europäischen Fußball unterwegs war. Sondern (allerdings sehr erfolgreich) in Nordafrika und auf der arabischen Halbinsel. Ein sportlicher Wahnsinn. Ein Plan gegen die Schalker Identität. Ein Plan gegen die Schalker Bedürfnisse. Einer, an dessen Erfolg auch das Schicksal des Jochen Schneider untrennbar geknüpft ist.
Quelle: ntv.de