FIFA-Rebellin Lise Klaveness "Es gibt nicht mehr nur einen Markt für Männerfußball"
14.06.2023, 16:32 Uhr
Lise Klaveness will die WM nicht verramschen.
(Foto: picture alliance / NTB)
Showdown vor der Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen. Lange droht in den großen europäischen Ländern der TV-Blackout. Nicht nur in Deutschland. Lise Klaveness, die Präsidentin des norwegischen Fußballverbandes, erklärt im ntv.de-Gespräch den Wert des Frauenfußballs.
Showdown vor der Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen in Australien und Neuseeland. Der TV-Blackout ist abgewendet. Noch nicht offiziell, aber das ist nur noch eine Frage der Zeit. Im ntv.de-Interview spricht Lise Klaveness über die Bedeutung des Turniers für die Zukunft des Fußballs der Frauen.
Die Präsidentin des norwegischen Fußballverbands nahm es kurz nach ihrer Ernennung im vergangenen Frühjahr beinahe mit der gesamten FIFA auf und tritt seither als laute, wichtige Stimme in Erscheinung. Die ehemalige Nationalspielerin Norwegens sagt: Der Fußball der Frauen steht kurz vor dem endgültigen Durchbruch. Er darf nicht unter Wert verkauft werden.
ntv.de: Lise Klaveness, vor knapp zwei Wochen wurde das Finale der Champions League der Frauen zwischen Barcelona und Wolfsburg in Eindhoven ausgetragen. Rund 35.000 Zuschauer waren dabei, ausverkauft. Es hätten mehr Karten verkauft werden können. Wird der Fußball der Frauen immer noch unterschätzt?
Lise Klaveness: Über die letzten drei Jahre ist so viel passiert. Camp Nou, das Stadion von Barcelona, war zweimal ausverkauft, die großen Spiele bei der EM im vergangenen Jahr ebenfalls. Ich habe großes Vertrauen in Nadine Kessler, die den Frauenfußball bei der UEFA entwickelt. Die Champions League der Frauen ist eine wunderbare Sache. Die Entscheidung für Eindhoven hatte verschiedene Dimensionen - politische und auch die der Verankerung des Fußballs in Eindhoven. Vor diesem Hintergrund ist hier zu viel Kritik sicher fehl am Platz.
Sie sprechen es an: Der Fußball der Frauen hat immens an Popularität gewonnen. Wohin steuert das Spiel?
Wir sind jetzt an einem Turning Point. Der Frauenfußball war lange nicht profitabel, vor allem nicht auf Klubebene. Er war zwar seit Jahrzehnten groß, auch wenn das die Medien so nicht registriert haben. Es ist ein sehr alter, etablierter Sport für Mädchen, der größte der Welt. Viel mehr als Tanzen oder Ballett, zum Beispiel. Doch es war eben lange kein Profisport. Während meiner Zeit als Spielerin waren das bestenfalls semiprofessionelle Strukturen. Ich musste mir ein Standbein als Anwältin aufbauen, um nach der Karriere noch etwas zu haben. Es waren die Zeiten des hohen Risikos, ganz ohne finanzielle Belohnung. Emotional war das anders. Jetzt aber befinden wir uns in einer extrem wichtigen Zeit für den Frauenfußball. Jetzt muss in den Fußball der Frauen investiert werden. Vielleicht wird aktuell noch kein Geld damit verdient, aber das wird sich ändern. Die Welle baut sich auf!
… die Europameisterschaft 2022 in England, das ausverkaufte Camp Nou, steigende Zuschauerzahlen in den europäischen Ligen …
Genau. Dazu werden wir auch zunehmend Transfergelder sehen. Das wird nicht so rasant steigen, wie bei den Männern, aber es wird passieren.
Also unterschätzen wir den Fußball der Frauen doch?
Ja. Denn es sind die Strukturen der Männer, in denen der Fußball sich weiterbewegt. Wir müssen doch nur in die Führungsetagen schauen. Dort gibt es keine Frauen. Deswegen ist es klar, dass es dort eine reaktive Arbeitsweise gibt. Was aber auch zu verstehen ist. Mit dem Fußball der Frauen wurde über Jahrzehnte kein Geld verdient. Die Skepsis ist also verständlich. Was wir jetzt brauchen sind mehr mutige Führungspersönlichkeiten und mutigere Investitionen. Es ist auch an den TV-Sendern und den Sponsoren. Wir müssen die Spirale durchbrechen. Es ist anders. Es gibt nicht mehr nur einen Markt für den Fußball der Männer. Wir müssen in den neuen Markt investieren.
Sie fordern Investitionen. In Deutschland und anderen europäischen Ländern sind die TV-Rechte für die im nächsten Monat startende WM immer noch nicht vergeben. Sie haben sich auf die Seite von FIFA-Präsident Gianni Infantino geschlagen, in Deutschland wurde der FIFA Gier vorgeworfen. Macht es sich die deutsche Öffentlichkeit zu einfach?
Ich unterstütze immer einzelne Fälle, nicht Personen. Es ist extrem wichtig, dass wir jetzt fünf, zehn Jahre in die Zukunft des Fußballs der Frauen schauen. Die Professionalisierung ist im vollen Gange, ist dabei in eine Struktur eingebettet, die nach der Logik des Fußballs der Männer funktioniert. Bislang ging es TV-Anstalten, der FIFA und der UEFA nur um Schadensbegrenzungen bei den Frauen. Das ist jetzt anders. Die TV-Einschaltquoten bei der EM haben das gezeigt. Das Endspiel der EM der Frauen hatte in Deutschland die höchste Einschaltquote des Jahres. Diese WM wird global beachtet werden. Zum ersten Mal sind die TV-Rechte vom Turnier der Männer entkoppelt. Es ist ein eigenständiges Produkt. Es ist daher zwingend notwendig, dass es nicht unter Wert verkauft wird. Es ist auch für die Zukunft dieses Produkts wichtig.
Die WM findet auf der anderen Seite der Welt in Australien und Neuseeland statt. Die Spiele finden zu ungewohnten Zeiten statt. Das macht es für die TV-Anstalten nicht sehr attraktiv.
Klar. Es wäre einfacher, wenn das Turnier in Europa wäre. Aber so dürfen wir nicht denken. Der Fußball der Frauen ist dort stark. Mit Sam Kerr kommt eine der besten Spielerinnen der Welt aus Australien. Die Länder dort haben die WM verdient. Der Sport braucht globales Interesse. Das Turnier dort ist langfristig sehr wichtig für die Entwicklung des Sports. Die Anstoß-Zeiten sind wirklich ungünstig für die TV-Sender und ich verstehe, dass es daher schwierig ist. Aber: Die Sender müssen jetzt investieren, auch wenn das Timing ungünstig ist. Auch wenn es in der aktuellen Lage mit all den Auswirkungen des Krieges grundsätzlich schwierig für den Rechteverkauf ist, bis auf die Ausnahmen bei der Champions League der Männer und der WM der Männer. Es sind unsichere Zeiten. Niemand handelt in böser Absicht, auch nicht die TV-Anstalten.
Was schließen Sie daraus?
Es ist ein Weckruf für alle, auch für die FIFA. Dabei geht es nicht um mangelndes Interesse. Es ist gerade für alle sehr schwierig, auch für die TV-Anstalten. Sie wollen alles so billig wie möglich abgreifen. Aber das Turnier ist das wichtigste für unsere Töchter. Es ist der größte Sport für Frauen. Es ist sehr symbolisch. Es ist das erste Mal, dass das Turnier entkoppelt ist. Daher ist es wichtig, dass es Führungskräfte gibt, die das Turnier nicht verramschen. Ich glaube weiterhin an eine Lösung. Die Weltmeisterschaft der Frauen muss im Fernsehen laufen. Es ist eine Zeit für Visionäre. Es ist eine große Chance. Die Weltmeisterschaft unterscheidet sich von den Ligen der Männer. Sie ist etwas ganze Besonderes.
Wie könnte eine Lösung aussehen?
Wir müssen kreativ denken. Man könnte die Rechte mit denen der WM 2027 koppeln, zum Beispiel. Weil das Turnier eben jetzt Down Under stattfindet und die TV-Anstalten dann langfristig belohnt werden. Ich bin keine Expertin auf dem Gebiet. Was ich jedoch weiß: Wir befinden uns in einer extrem wichtigen Phase gerade. Die Weltmeisterschaft ist das Geld wert. Es geht mir nicht darum, Infantino zu unterstützen. Es geht mir darum, das Turnier nicht zu verramschen.
Die FIFA hat nun angekündigt, die Spiele notfalls auf der eigenen Seite zu streamen. Das käme einem TV-Blackout gleich. Was würde das für das Turnier und den Fußball der Frauen bedeuten?
Jeder muss seinen Beitrag leisten. Die geforderten Summen sind nicht immens hoch, besonders im Vergleich zu dem, was auf dem Spiel steht. Es ist eine schwierige Situation. Wir kommen überall aus einer strukturellen Diskriminierung. Ob in Norwegen oder bei Ihnen in Deutschland: Rund 95 Prozent der Übertragungen sind Fußball der Männer. 95 Prozent der Mitarbeiter kennen den Sport nicht wirklich und sind vielleicht nicht ganz so leidenschaftlich. Das macht es schwieriger, das Risiko einzugehen. Die FIFA muss aber auch die Positionen der TV-Anstalten verstehen, und es müssen Lösungen gefunden werden. Die Weltmeisterschaft kann nicht nur auf einer Streaming-Plattform laufen. Das wäre eine Katastrophe.
Mit Lise Klaveness sprach Stephan Uersfeld
Quelle: ntv.de