Fußball

Das ergibt so keinen Sinn Die Fußball-Liga der außergewöhnlichen Extreme

Nach 20 Minuten war schon alles klar.

Nach 20 Minuten war schon alles klar.

(Foto: ntv.de)

Der MSV Duisburg trifft auf Türkspor Dortmund. Doch zum Auswärtsspiel galoppieren die "Zebras" nicht nach Dortmund, sondern nach Hagen. Dort liegt der große Fußball seit Jahren begraben und erlebt plötzlich eine kurze Wachphase in der Liga der Gegensätze.

Sie waren gekommen, um schnell wieder zu gehen. 23 Minuten dauerte die Schicht des MSV Duisburg an diesem Sonntagnachmittag im Hagener Ischelandstadion. Nach 23 Minuten führte das Schwergewicht der Regionalliga West bei der Wiederaufnahme des Pflichtspielbetriebs nach der winterlichen Pause gegen den abgeschlagenen Tabellenletzten Türkspor Dortmund souverän mit 2:0. Die Dinge hier waren nun bereits erledigt, die Fans gingen Bier trinken, Bratwurst essen und freuten sich auf den kommenden Freitag.

Dann spielt der MSV nicht auf einem ruckeligen grünen Acker in einem Stadion, das seit Jahren, Jahrzehnten in einem tiefen Dornröschenschlaf liegt, sondern in der eigenen, großen Arena. Gegen Rot-Weiß Oberhausen, den Erzrivalen, der sich in den vergangenen Monaten bis auf sieben Punkte an die Duisburger herangesaugt hat. Für die Gäste heißt es Do or Die. Kleine Meisterchance erarbeiten oder erneuter Aufstiegs-Knockout.

Flutlicht, Derby, 27.117 Zuschauer. Das Spiel war in wenigen Stunden ausverkauft. Das ist eine Kulisse, die mehr als viele Spiele in der aktuellen Bundesliga zu bieten hat. Wie viele Zuschauer am Sonntagnachmittag in der untergegangenen Sportmetropole Hagen waren (hier wurde einst Tennis-Bundesliga gespielt, Faustball auf Weltniveau, Basketball in der nationalen Spitze, Tischtennis, Wasserball, Handball), das weiß man nicht. Das Stadion war fest in blauweißer Hand. Eine mächtige Zebraherde war herangaloppiert. Auf der zweitgrößten Stehplatztribüne der Region, hinter der legendären "Süd" des BVB, sangen sie die Lieder über ihren Klub. Auf der kleinen überdachten Haupttribüne sangen sie mit.

Türkspor meldete knapp 3400 Menschen im Stadion, der MSV bedankte sich bei fast 4000 mitgereisten Fans. An der Tageskasse wurden die Karten noch gelocht aus dem Schnellhefter gezogen. Die Wahrheit liegt ..., ach man weiß es nicht. Vielleicht unter einem der vielen alten Bäume, die auf dem Gelände des Stadions wachsen, die so viele Geschichten von früher erzählen können. Von den goldenen 60er-Jahren, als der SSV den Fußball in Hagen groß gemacht hatte. Als es internationale Spiele gab. Bis zu 40.000 Menschen sollen damals dagewesen sein.

Wo Sensationsteams krachend geerdet werden

Obwohl die Schicht nach 23 Minuten und zwei Treffern von Steffen Meuer quasi beendet war, bemühten sich die Fußball-Zebras weiter um größtmögliche Sachlichkeit auf dem Rasen. So richtig überzeugend gelang dem MSV der Vortrag allerdings nicht. Die Duisburger waren zwar haushoch überlegen, aber an beiden Enden des Spielfeldes bisweilen leicht sorglos. Die Dortmunder hatten durchaus Chancen, ein Tor zu erzielen. Die Duisburger allerdings so viele davon, dass das Spiel auch hoch einstellig hätte ausgehen können. Aber das, was sie versuchten, war oft ein wenig zu kompliziert, der Abschluss mal zu präzise (es schepperte am Aluminium) oder der neue Türkspor-Torwart Franz Langhoff spektakulär im Weg. Gegen nur noch neun Spieler des Gastgebers, es gab einmal Gelb-Rot und einmal Rot, stellte Neuzugang Thilo Töpken spät auf 3:0.

Die Freude über das Tor ging merklich unter, in Gedanken und Gesprächen waren die Fans bei RWO. Wat nicht alles besser werden müsse, darüber diskutierten sie in der tiefstehenden Wintersonne, die diesen usseligen Tag doch noch irgendwie gemütlich werden ließ.

Die Regionalliga, in diesem Fall die West-Sektion, ist eine außergewöhnliche Fußball-Liga. Eine, die nicht weiß, was sie will. Wer sie ist. Hier trifft die abgerockte große Fußballwelt auf kleine Sensationsteams, die plötzlich aus dem siebten Himmel in die Abstiegshölle gerissen werden. Türkspor ist so ein Team. Vor acht Jahren kickten die Dortmunder noch in der Kreisliga B, das ist Amateursport, Hobby. Dann kam ein Arzt als Mäzen und setzte Geld ein. Der Aufstieg war nicht mehr aufzuhalten. Jetzt steht man alten Riesen gegenüber, die gegen das eigene Verzwergen ankämpfen. MSV Duisburg, Rot-Weiß Oberhausen, Fortuna Köln, KFC Uerdingen und Wuppertaler SV - das sind Vereine, die man auch weit über den Fußballwesten hinaus kennt.

70 Zuschauer sehen das Spektakel

Für Türkspor ging die Reise in die große, kleine Fußballwelt rasend schnell. Zu schnell. Mit 14 Punkten Rückstand auf den Wuppertaler SV, gecoacht vom Dortmunder Aufstiegshelden Sebastian Tyrala, der früh in dieser Saison gehen musste, ist der rettende Platz 14 meilenweit entfernt. Sie versuchen aber alles, griffen in der Winterpause auf dem Transfermarkt zu, holten unter anderem den Ex-Profi Oguzhan Kefkir (VfL Bochum und BVB II) und den in Wattenscheid einst treffsicheren Stürmer Dennis Lerche. Aber der rettende Platz ist und bleibt meilenweit entfernt. So weit wie Eintracht Hohkeppel von den einst eigenen Ambitionen. Das Kirchdorf ist ein Ortsteil der Gemeinde Lindlar im Oberbergischen Kreis und deren Fußballer waren aufgestiegen, um direkt durchzulaufen. In die 3. Liga. Als Tabellen-15. nach 19 Spieltagen muss man sich eingestehen, dass da reichlich schiefgelaufen ist. Mittlerweile ist das Saisonziel korrigiert, es geht um den Klassenerhalt.

Und das wie bei Türkspor die ganze Saison über auf fremden Plätzen. Beide Vereine besitzen kein Stadion, das ihnen Heimspiele in der Regionalliga erlaubt. Die Mindestanforderungen sind hoch. Türkspor wich erst nach Velbert aus, ehe am Ischeland alles so hergerichtet war, dass die Liga den Daumen hob. Bei den ersten Spielen hatten noch Anlaufschwierigkeiten, die Tore mussten nachjustiert werden, beim Einlass hakte es. Mittlerweile hat sich alles eingependelt und der Ischeland soll, auch im Fall des Abstiegs, die Heimat bleiben. Hagen und Dortmund, das ist noch eine zumutbare Nummer. Anders als Hohkeppel und Düren, dort nämlich spielt die Eintracht in der Westkampfbahn. Das sind schlappe 80 Kilometer Distanz. Zu viel, um den eigenen Anhang zu motivieren. Beim Spektakel am vergangenen Wochenende gegen die "Zweite" von Borussia Mönchengladbach waren gerade einmal 70 (!) Zuschauer dabei. Hohkeppel führte nach einer Stunde mit 4:2, verlor nach knapp 100 Minuten 4:6.

Die Liga pendelt zwischen gigantischem Desinteresse und großem Boom. Natürlich auch wegen des MSV, der auf einen unfassbaren Zuschauerschnitt von über 15.000 kommt und regelmäßig auch in der Fremde die Stadien der Konkurrenten voll macht. Beim Portal "diefalsche9" gibt es eine Auswärtsfan-Statistik. Duisburg liegt im Ranking, das von der Bundesliga bis in die Regionalliga geht, auf Platz 14, mit 3832 Fans im Schnitt. Das sind zweieinhalbmal so viele wie bei RB Leipzig. Die Euphorie um die Meidericher ist groß, so groß wie seit Ewigkeiten nicht. Durchaus sonderbar, denn der Klub war im Sommer aus der 3. Liga abgestiegen. Das Leiden des MSV schien keine Grenzen mehr zu kennen, der Absturz nicht aufzuhalten. Doch das Band der Liebe zwischen Anhang und Klub wurde eng, noch enger. Der eheähnliche Fanschwur entfaltet die volle Kraft: in guten und in schlechten Zeiten. Und derzeit durchleben die Duisburger eine seltene Mischung aus beiden Gefühlswelten. In den schlechten Zeiten geht es ihnen verdammt gut. Die im Sommer neu zusammengestellte Mannschaft rauscht durch die Liga.

Eine Geldverbrennungsmaschine

Nun kommt es am Freitag zu Duell der Liga-Giganten. Vor einer außergewöhnlichen Kulisse. Gewinnt der MSV ist der Aufstieg nah, sehr nah. Verliert der MSV darf RWO wieder ein bisschen träumen. Dieser Klub, der in dieser Liga so verzweifelt. Seit zwölf Jahren hängen die Kleeblätter hier fest. Wenn sie dann mal so gut waren, dass der Aufstieg ein realistisches Szenario war, war immer einer besser. Der Zweite ist hier der erste Verlierer. In diesem Nadelöhr gibt es nur Friss-Oder-Stirb. Wer nicht Meister wird, hat's versaubeutelt. So einfach, so bitter. Rot-Weiss Essen, kann ein lautes Klagelied singen, war eine Ewigkeit in dieser Schweineliga gefangen, und schiebt in der 3. Liga eine Heidenpanik (trotz des erlösenden 5:1-Siegs gegen Hannover 96 II), dass es wieder runtergeht.

Auch Hajo Sommers, der große Mann von RWO, lebt das Gefühl der ewigen Verzweiflung. "Irgendwie gibt es immer mindestens einen Klub pro Saison, der vorneweg zieht und das Ding macht", sagte der Ex-Präsident zuletzt im Interview mit der Sportschau. Mit der Liga kann und will er seinen Frieden nicht machen. "Aus meiner Sicht ergibt die 4. Liga - so wie sie im Moment aufgestellt ist - keinen Sinn. Die Vereine verbrennen Jahr für Jahr viel Geld, der Nutzen ist einfach nicht da", sagt er. "Kein einziger Verein in der 4. Liga käme ohne Sponsoren klar. Die Ausgaben sind um ein Erhebliches höher als die Einnahmen." Ein Problem erkennt er in der Vermarktung der Liga: "Die Landesverbände, die für die Regionalligen zuständig sind, sind vermarktungstechnisch ein totaler Ausfall. Da passiert nun wirklich gar nichts." Er würde gerne so viel verändern, eine zweigleisige 3. Liga einführen und die Reservemannschaften der Großklubs verbannen. Die verzerren bisweilen den Wettbewerb, wenn sie mal mit Profiverstärkung antreten und an anderen Spieltagen wieder nicht. Aber so ist es halt hier in der Regionalliga.

Den MSV tangiert das alles nicht. Er schielt nur nach oben. Will etwas schaffen, das es bislang noch nicht gab. Als erster Absteiger in die Regionalliga direkt wieder aufsteigen. Wer runtergeht, wer seine Mannschaft verliert und den Kader groß umbaut, sich irgendwo zwischen Profitum und höchstem Amateurniveau orientieren muss, der hängt häufig erstmal durch. Seriöser Neuaufbau oder alles auf eine Karte? Das sind dann die Szenarien. Der MSV schafft beides zusammen. Eine zweite Saison in der Regionalliga wäre aber eine extreme Herausforderung. Ein großer Schritt weg von dieser Herausforderung kann an diesem Freitagabend gemacht werden. "Dann müssen sie die Dinger aber alle machen", sagt einer in Hagen am Bratwurststand. Nach 23 Minuten war er mit seinen Gedanken schon ganz woanders. Freitag, Flutlicht, Derby, 27.117 Zuschauer.

Quelle: ntv.de

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