Fußball

Eine Frage, vier Thesen Macht Löw den Klinsmann?

Bleibt er? Oder doch nicht? Joachim Löw.

Bleibt er? Oder doch nicht? Joachim Löw.

(Foto: dpa)

Bleibt er oder bleibt er nicht? Fußball-Deutschland rätselt über die berufliche Zukunft von Bundestrainer Joachim Löw. Der sitzt zu Hause im Schwarzwald und denkt nach. Worüber nur? Darüber, dass er es macht wie Jürgen Klinsmann vor vier Jahren?

Joachim Löw sitzt zu Hause im Schwarzwald und denkt nach. Worüber bloß? Tatsächlich darüber, seinen Vertrag als Trainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft nicht zu verlängern? Darüber, es wie Jürgen Klinsmann nach der Weltmeisterschaft 2006 zu machen und das Projekt für beendet zu erklären? Ausschließen können wir das nicht. Es spricht aber viel dafür, dass er das nicht tut.

Es geht nicht darum, ob er weitermacht. Sondern darum, zu welchen Bedingungen. Andererseits: Was wäre so schlimm daran, wenn ein anderer Trainer diese talentierte, junge und erfolgreiche Mannschaft zur Europameisterschaft 2012 führt? Vier Thesen zu Joachim Löws Zukunft als Bundestrainer.

1. Löw vs. DFB - der Bundestrainer ist der Stärkere

Beliebt wie Lena Meyer-Landrut. Das weiß auch DFB-Präsident Theo Zwanziger.

Beliebt wie Lena Meyer-Landrut. Das weiß auch DFB-Präsident Theo Zwanziger.

(Foto: dpa)

Eigentlich, fand die "Süddeutsche Zeitung" im Februar nach den spektakulär geplatzten Vertragsverhandlungen der Löw-Entourage mit dem DFB, eigentlich müsste Löw jetzt zurücktreten. Zum 50. Geburtstag hatte der DFB seinem Bundestrainer damals nicht den gewünschten neuen Vertrag präsentiert, sondern ein Ultimatum mit inakzeptablen Forderungen. Inakzeptabel war auch, dass die "Bild"-Zeitung dank eines immer noch anonymen Maulwurfs im DFB schon während der Verhandlungen Vertragsdetails öffentlich machte. Insbesondere der von DFB-Boss Theo Zwanziger ungeliebte und für Löw unverzichtbare Teammanager Oliver Bierhoff firmierte an vielen Stammtischen und Userkommentaren bei n-tv.de fortan vielfach als "Oliver Gierhoff". Der Beliebtheitsgrad von Löw sank in Tiefen, die in Deutschland sonst nur Guido Westerwelle vertraut sind.

Es half auch nichts, dass ein Krisengipfel einberufen wurde, denn anschließend machten alle Beteiligten ein Gesicht, als hätten sie soeben einer Beerdigung beigewohnt. Das Vertrauensverhältnis zwischen Nationalmannschaftsleitung und DFB schien zerstört, die Vertagung der Vertragsgespräche auf nach der WM nur vorgeschoben.

Löw ist damals trotzdem nicht zurückgetreten. Löw ist geblieben und hat den scheinbaren Schrecken mit Ende zu seinen Gunsten genutzt. Dazu, das WM-Team weiter konsequent zu verjüngen, es nach seinen Vorstellungen zu modellieren. Selbst dann, als kurz vor dem Turnierstart reihenweise WM-Starter ausfielen. Die 80 Millionen anderen deutschen Bundestrainer wurden zu Zaungästen degradiert, ihr lautstarkes Werben für Kevin Kuranyi und Torsten Frings verhallte ungehört. Und dann kam die WM in Südafrika, kamen die begeisternden Partien gegen Australien (4:0), England (4:1) und Argentinien (4:0), kam die jüngste deutsche Nationalmannschaft seit 76 Jahren, die Löw mit Fug und Recht sein Team nennen kann, mit WM-Bronze nach Hause. Löws Beliebtheitsgrad stieg in Höhen, die nur Lena Meyer-Landrut und Joachim Gauck vertraut sind.

Und der DFB? Der intensivierte in Person von Theo Zwanziger nach dem perfekten WM-Auftakt auf geradezu penetrante Weise seine Liebesbekundungen. Bei der Siegerehrung ließ er es sich der DFB-Präsident nicht nehmen, Löw als Zeichen seiner tiefen Verbundenheit persönlich die Medaille zu überreichen – dessen reservierte Reaktion sprach Bände. Löw weiß, dass Zwanziger ihn unbedingt halten muss und er Bedingungen und Personalwünsche diktieren kann, ob diese nun Bierhoff oder Sprecher Harald Stenger betreffen. Verfrühte Sympathiebekundungen Richtung DFB sind da fehl am Platz, Löw ist schließlich ein abgebrühter Zocker, wie Fußball-Deutschland dank der "Bild"-Zeitung inzwischen weiß.

Nicht mehr unversöhnlich: Löw und DFB-Sportdirektor Matthias Sammer.

Nicht mehr unversöhnlich: Löw und DFB-Sportdirektor Matthias Sammer.

(Foto: dpa)

DFB-Sportdirektor Matthias Sammer hat im schwelenden Kompetenzstreit um die U21-Nationalmannschaft schon eingelenkt und gibt sich öffentlich überzeugt: "Löw wird bleiben." Opportunist Zwanziger muss nach dem Debakel mit Schiedsrichter Michael Kempter, der erst zum Vorbild für Zivilcourage erkoren und dann wegen Charakterschwäche in die 3. Liga strafversetzt wurde, Löw dringend halten. Er will schließlich im Herbst seinen feinen Posten als DFB-Chef behalten.

Was nur Löw weiß, ist, wie tief die Wunden aus den geplatzten Vertragsverhandlungen tatsächlich sind. Wie gesagt: Eigentlich hätte er schon im Februar zurücktreten müssen.

2. Klinsmann war 2006 - jetzt ist alles anders!

Einer wie Jürgen Klinsmann? Nein! Und das nicht nur, weil er einen blauen Glücks-Pullover hat.

Einer wie Jürgen Klinsmann? Nein! Und das nicht nur, weil er einen blauen Glücks-Pullover hat.

(Foto: dpa)

Auf dem ersten Blick erinnert die Situation verdächtig an die nach der Weltmeisterschaft 2006. Deutschlands Fußballer haben einen ehrenvollen dritten Platz erreicht, die Massen sind begeistert, der Bundestrainer ist auf dem Höhepunkt seiner Beliebtheit. Alle wollen, dass er weitermacht, auch wenn er vor dem Turnier in der Kritik stand. Doch dieser erste Blick, Sie ahnen es, täuscht gewaltig. Warum, das lässt sich in der tiefsinnigen Erkenntnis auf den Punkt bringen, dass Joachim Löw halt nicht Jürgen Klinsmann ist.

Jürgen Klinsmann hat die Mannschaft mit der Kraft seiner Motivation nach vorne getrieben – und nach zwei Jahren und einem Turnier, bei dem sein Team mehr erreicht hatte, als die meisten es ihm vorher zugetraut hatten, gemerkt, dass er seine Mittel ausgereizt hat. Das erkannt zu haben, ist aber nicht sein einziges Verdienst. Ihm ist es zu verdanken, dass Joachim Löw nun so arbeiten kann, wie er arbeitet. Jürgen Klinsmann hat beim DFB aufgeräumt, auch personell. Er hat die Bedingungen modernisiert, unter denen ein Bundestrainer in Deutschland wirken kann: Leistungsdiagnostik, Sportpsychologie, Taktikanalysen, Lernen von anderen Sportarten. Vorbei die Zeiten, als ein Bundestrainer Erich Ribbeck ungestraft sagen durfte: "Konzepte sind Kokolores." Und nicht zu vergessen: Jürgen Klinsmann hat einen Ko-Trainer Joachim Löw durchgesetzt. Franz Beckenbauer hatte ihm 2004 bei seinem Amtsantritt Holger Osieck ans Herz gelegt.

Wenn Jürgen Klinsmann also so etwas wie ein Projektleiter war, ist Joachim Löw erstens ein Trainer, und zweitens einer, der lang- oder zumindest mittelfristig arbeitet. Er, der schon 2006 einen großen Teil der Trainingsarbeit erledigte, hat das, was Jürgen Klinsmann begonnen hat, akribisch weitergeführt, verfeinert, verbessert. Joachim Löws Stärke liegt in der Detailarbeit. Das Ergebnis: Die deutsche Mannschaft hat bei der WM in Südafrika den besten Fußball seit Jahrzehnten gespielt. Schön, schnell, erfolgreich. Nur die Spanier waren besser. Dennoch: Die DFB-Elf hat enorm aufgeholt, auch im Vergleich zur Europameisterschaft 2008, als die Mannschaft immerhin das Endspiel erreichte – und dort gegen Spanien verlor.

3. Löw ist mit seiner Mannschaft noch nicht fertig

Der Schein trügt: Joachim Löw hat mit dem DFB-Team, um eine Trainerlegende zu zititeren, "noch nicht fertig".

Der Schein trügt: Joachim Löw hat mit dem DFB-Team, um eine Trainerlegende zu zititeren, "noch nicht fertig".

(Foto: dpa)

Eigentlich ist die Frage, warum Joachim Löw mit seiner Arbeit als Bundestrainer noch lange nicht fertig ist, eine rhetorische. Wir geben trotzdem eine Antwort: Weil Spanien immer noch das bessere Spanien ist und Deutschland in seiner fußballerischen Entwicklung um Jahre voraus. Und weil Joachim Löw gesagt hat, dass die Weltmeister den Fußball spielen, den er auch gerne spielen lassen würde.

Tatsächlich ist selten eine Mannschaft der Perfektion des modernen Fußballs so nahe gekommen wie dieses Spanien, auch wenn sie neuerdings ihre Spiele stets nur mit 1:0 gewinnt. Eine Mannschaft, die vorn Dreiecke aus Kurzpässen baut, in der Andrés Iniesta mal links und mal rechts spielt und Xavi überall ist. In der jeder ballführende Spieler drei Anspielstationen hat. Viel zu tun für den Bundestrainer also, der zwar, das hat das Turnier in Südafrika gezeigt, über eine starke erste Elf verfügt, dem aber die Alternativen fehlen, wenn einer seiner Stammkräfte ausfällt. Ohne Miroslav Klose zum Beispiel, an dem Joachim Löw gegen alle Widerstände festgehalten hat, spielte das deutsche Team ohne echten Stürmer.

Dennoch hat er sich das geschaffen, was sich jeder Trainer nur wünschen kann: eine talentierte, lernwillige und begeisterungsfähige Mannschaft, die mit einem Durchschnittsalter von knapp 25 Jahren noch lange nicht auf dem Höhepunkt ihrer Leistungsfähigkeit angelangt und bereit ist, sich weiterzuentwickeln. Sie muss zum Beispiel noch lernen, auch gegen Mannschaften wie Spanien nicht nur hinterherzulaufen.

Joachim Löw hat auch gesagt: "Die Mannschaft wird - egal wer der Trainer sein wird - in dieser Besetzung zusammenbleiben. Das ist der Kern. Die Entwicklung ist nicht zu Ende. Sie hat gerade erst begonnen."

4. Löw hat keine bessere Alternative

Löw hat bei einem Abschied mehr zu verlieren als zu gewinnen.

Löw hat bei einem Abschied mehr zu verlieren als zu gewinnen.

(Foto: dpa)

Die WM ist für Löw famos verlaufen. Er hatte das nötige Glück, er hatte das richtige Gespür, er hatte in fünf von sieben WM-Spielen den richtigen Plan für seine junge Mannschaft. Nun hat er WM-Bronze gewonnen und bekommt das Bundesverdienstkreuz verliehen. Kurzum: Löw ist einer der Gewinner der WM, nicht nur aus deutscher Sicht. Und heißt das nicht auch, er hat die freie Auswahl, wo er künftig den modernen Tempofußball Löw'scher Prägung spielen lassen möchte? Nur bedingt, zumindest wenn man von Löws Ansprüchen und den Vorteilen ausgeht, die der DFB-Job mit sich bringt.

Löws Karriere beim DFB ist die Geschichte von einem märchenhaften Aufstieg. Als ihn Jürgen Klinsmann im Juli 2004 anstelle von Holger Osieck zum Assistenztrainer erwählte und ihn auf dem Weg zum Waldlauf mit anschließendem Freibadbesuch davon in Kenntnis setzte, las sich Löws Trainervita recht bescheiden. Pokalsieg mit dem VfB Stuttgart, Dritter mit Fenerbahce Istanbul, ein Sieg in 18 Spielen beim Karlsruher SC, Rauswurf bei Adanaspor, Meister mit dem FC Tirol Innsbruck (der sich anschließend auflöste), im März 2004 dann der Rauswurf bei Austria Wien trotz Tabellenführung. Dann klingelte sein Mobiltelefon und der Klinsi war dran.

An der Seite von Motivator Klinsmann ("Das lassen wir uns nicht nehmen, von niemanden – und schon gar nicht von den Polen!") reifte Löw zum gewieften Taktiker, nach Klinsmanns Rückkehr nach Kalifornien zum punktemäßig besten Bundestrainer aller Zeiten und zur metrosexuellen Stilikone mit eigenem Werbevertrag für Kosmetikprodukte. Nur ein Titel mit dem Nationalteam, der fehlt ihm noch. Das wäre verschmerzbar, wenn Löw nicht auf dem besten Weg wäre, sich beim DFB ein Biotop zu schaffen. Und wenn im In- und Ausland Topteams darauf warten würden, von Löw in die Geheimnisse modernen Tempofußballs eingeweiht zu werden.

Aber: Dem ist nicht so. Löw weiß das, er hat auch kein Haus in Kalifornien. Löw sitzt im Schwarzwald und macht sich seine Gedanken.

Quelle: ntv.de

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