Von Tuchel einst ausgebremst Marco Rose ist für RB Leipzig der größte Coup
05.06.2023, 12:06 Uhr
Marco Rose, Pokalsiegertrainer.
(Foto: picture alliance/dpa)
Marco Rose führt RB Leipzig zum Pokalsieg, in der Liga etabliert er den Klub nach einem desaströsen Start am Ende doch noch an der Spitze. Sportlich läuft es, doch der Trainer ist viel wertvoller für den Klub als ein weiterer Pokalsieg.
In den Fankreisen des FSV Mainz 05 gehört eine Szene zur Folklore des Klubs, die sie alle mit einem Lächeln im Gesicht in die Tage des ersten und so lange ersehnten Bundesligaaufstiegs 2004 zurückversetzt: "Erstligaspieler Rose, gibt's irgendwelche Einwände?", ruft da ein sichtbar angeheiterter Marco Rose beim Aussteigen aus dem Mannschaftsbus, mit Bierflasche in der Hand und Sonnenbrille im Gesicht. "Nein? Okay!" Durch ein 3:0 gegen Eintracht Trier waren die Rheinhessen damals aufgestiegen, nachdem sie zuvor zweimal dramatisch im Aufstiegsrennen gescheitert waren. Und auch Verteidiger Rose war in der Bundesliga angekommen. Niemand hatte etwas einzuwenden. Nun ist er sogar DFB-Pokalsieger, als Trainer von RB Leipzig.
In seinen Jahren am Rhein hatte sich Rose zum Publikumsliebling gekämpft, der Linksfuß war Teil der Generation, die dem Klub das Fundament baute, auf dem er seit vielen Jahren steht. Titel gewinnt man mit Mainz 05 nicht, auch der Erstligaspieler Rose war bei allem Respekt keiner, den man in eine Meistermannschaft einbauen wollen würde. Geliebt haben sie ihn trotzdem. Wie Jürgen Klopp, noch so ein wenig filigraner Verteidiger, der einst durch Mainz grätschte und ackerte, bevor er anderswo zum sportlichen Goldgräber wurde.
Tuchel hatte eine andere Idee als Rose
Christian Heidel, der Architekt des Mainzer Erfolges, der mit großem Mut und Überzeugung die Karrieren der späteren Welttrainer Klopp und Thomas Tuchel in Mainz in die Spur brachte, hatte ja auch Rose in Mainz zum Trainer machen wollen, doch es kam anders. "Das war ein spektakulärer Trainerwechsel", berichtete Heidel einst über die Tage, als er Tuchel handstreichartig zum Saisonbeginn vom A-Jugend-Coach zum Aufsteigertrainer machte. "Ich wollte dann Rosi dazuholen. Aber der Thomas hatte damals schon den Ansatz, dass er einen ausgebildeten Fußballlehrer auf der Bank neben sich haben möchte. Das hatte Marco Rose damals noch nicht." Also zog Rose aus, um seinen Weg zu machen.
Für RB Leipzig ist Rose ein Glücksfall. Nach seiner Amtsübernahme Anfang September, Pokalsieger Leipzig war desaströs in die Saison gestartet, sortierte er das überraschend konfuse Ensemble hochkarätiger Spieler in Rekordzeit neu, direkt im ersten Spiel gab es ein 3:0 gegen den Ex-Klub Borussia Dortmund. In der "Rose-Tabelle" wäre RB Leipzig Deutscher Meister: 61 Punkte holte RB Leipzig seit jenem 6. Spieltag, an dem Rose RB übernahm. Der FC Bayern sammelte in dieser Zeit 60 Zähler, der BVB holte noch 59 Punkte. Eine Schale gab es dafür nicht, aber die Ansprüche stiegen im Erfolg: "Nach der Sommerpause kommen wir wieder und dann versuchen wir, diesen verdammten Meistertitel zu holen", versprach der Mittelfeldspieler während der Pokalparty.
Die Ambitionen steigen
Schon vor der Party zum Titelgewinn hatte Emil Forsberg neue Ziele ausgerufen. "Jetzt wollen wir das Triple holen. Nach jedem Titel willst du noch einen gewinnen. Wir wollen noch konstanter spielen, auch in der Bundesliga", sagte der schwedische Nationalspieler. Den DFB-Pokal haben sie nun geholt, es ist Roses erster Titel in Deutschland. "Es ist etwas Großartiges, einen Titel zu gewinnen. Wir machen das alle, um solche Momente erleben zu dürfen. Ich habe das Privileg, das in meiner Heimatstadt feiern zu dürfen, das ist außergewöhnlich", sagte Rose beim ZDF. Im Red-Bull-Kosmos hatte er schon mit der Salzburger Niederlassung Meisterschaften und Pokalsiege geholt, in Deutschland aber gab es noch nichts "Blechernes".
Die Bedeutung Roses für RB ist dieser Tage kaum zu überschätzen. Das Konstrukt RB, ein fußballerischer Arm des Red-Bull-Imperiums, kämpft weiterhin um Anerkennung und um Charisma. Rose liefert das. Das Marketingwert des 46-Jährigen lässt sich für den Klub kaum beziffern. Rose wurde in Leipzig geboren, sportlich wurde er beim Traditionsverein Lok Leipzig sozialisiert, für den VfB Leipzig verteidigte er in der 2. Bundesliga. Er ist tief verwurzelt in der Stadt. Großvater Walter spielte einst für Deutschland und Chemie Leipzig, später trainierte Walter Rose den Klub aus dem Stadtteil Leutzsch. Als Profi riss sich Marco Rose einst bei einem seiner wenigen Tore für Mainz 05 das Trikot vom Leib - und präsentierte darunter ein Shirt der letztlich gescheiterten Bewerbung Leipzigs für die Olympischen Spiele 2012. Es ist die totale Identifikation.
Wenn Rose spricht, schwingt Sachsen melodisch und dezent genug in der Stimme mit. "Ist doch was Cooles, wenn man hört, wo man herkommt", hat Rose mal gesagt. Er kann viele Traditionalisten in der Stadt mit der ewigen Fußballtradition mit dem neuen übermächtigen Platzhirschen in Bullengestalt versöhnen und begeistert die, die sich bei ihrem Klub mehr Identifikationspotenzial wünschten, als es der immer angespannte Domenico Tedesco und der blasse Jesse Marsh anbieten konnten. "Es ist jetzt nicht so, dass alle meine Freunde RB-Fans sind, aber mittlerweile normalisiert sich das", sagte Rose vor dem Pokalfinale. Gut möglich, dass die Normalisierung nun weiter voranschreitet.
"Mein Verein war immer Lok"
Er hat es ja selbst auch geschafft: "Ich bin ja ein ehrlicher Typ, also ich war davon nicht gerade euphorisiert", sagte Rose mal in einem "Zeit"-Interview zur Gründung des mit großem Budget gepamperten Klubs. "Beziehungsweise gehörte ich damals nicht zu denen, die sagten: Geil! Jubel! Denn mein Verein war immer Lok." Rose ist ein authentischer Typ, völlig unverdächtig, sich zu verbiegen. In Mönchengladbach gestaltete er seinen Abschied unglücklich und völlig unromantisch, im emotional aufgeladenen Dortmund warf man ihm später vor, sich nie richtig auf den Verein eingelassen zu haben.
Rose ist ein akribischer Arbeiter, Training und Spiel seiner Mannschaft begleitet er lautstark und mit präzisen Anweisungen. Neben dem Platz bezog er Stellung, regte an, Hasskommentatoren mal "für ein paar Tage aus dem Verkehr zu ziehen". Es sei "ganz wichtig, dass man immer wieder Zeichen setzt und sich gegen Rassismus und Hass im Netz stellt", sagte er, nachdem RB-Profi Benjamin Henrichs Anfeindungen öffentlich gemacht hatte. "Es ist anonym, feige, aus dem Wohnzimmer, aus dem Schlafzimmer, aus dem Klo einfach Parolen loszulassen." Roses Befürchtung war allerdings, dass man das zum Thema mache, "aber zwei Tage später ist es vergessen. Wie so viele Dinge, wenn es um Grundsätzliches geht."
Einer mit einer Meinung, der sich auch nicht scheut, Dinge "cool" zu nennen oder Pressekonferenzen nach der Bierdusche im Stehen vor der zerstörten Technik und dicht umringt von den Journalisten zu geben. "Nur bitte nicht an mir riechen", scherzte Pokalsieger-Trainer Rose im Presseraum des Olympiastadions. Man muss das nicht lieben, aber Rose holt Leipzig aus der Egalität.
Tochter macht RB-Engagement möglich
Dass sie in Leipzig überhaupt die Chance hatten, Rose auch dienstlich zurück in die Stadt zu holen, haben sie dessen Tochter Maria zu verdanken. Ein weiteres Engagement in seiner Heimatstadt hatte Rose, der zu Beginn seiner Trainerlaufbahn mal seinen alten Klub Lok Leipzig in der Regionalliga trainiert hatte, eigentlich ausgeschlossen. Aus Sorge um die Familie: "Ich möchte, dass meine Tochter zur Schule gehen kann, ohne dass es Thema ist, ob der Papa am Wochenende gewonnen oder verloren hat", sagte der mit der ehemaligen Weltklasse-Handballerin Nicola Pietzsch liierte Rose 2019 der "Mitteldeutschen Zeitung".
Inzwischen ist Tochter Maria 15 Jahre alt - und "megahappy. Sie freut sich sehr, dass der Papa das macht", wie Rose an seinem ersten Arbeitstag in seiner Heimatstadt erklärte. Seine Lebensgefährtin und seine Tochter hatten die Stadt nie verlassen, egal, ob "Papa" bei der Salzburger Red-Bull-Filiale Titel sammelte, am Ende in Mönchengladbach im Wind stand oder bei Borussia Dortmund arbeitete. In der Schule wird es nun reichlich Gesprächsstoff geben.
Nun, wenn die Feierlichkeiten vorbei sind, müssen Rose und Manager Max Eberl dafür sorgen, dass auf den Rausch nicht der schnelle Kater folgt. Unterschiedsspieler Christopher Nkunku wird den Klub sicher gen FC Chelsea verlassen, auch Mittelfeldspieler Konrad Laimer verkündete noch in der Pokalnacht seinen erwarteten Abschied. Bringt jemand die im Vertrag festgeschriebenen 70 Millionen Euro Ablöse für den oft genialen Finaltorschützen Dominik Szoboszlai, ist auch der Ungar weg. Immerhin ist die Vertragsverlängerung des umworbenen Dani Olmo unter Dach und Fach. Auch der Trainer selbst wird wohl in Kürze seinen 2024 auslaufenden Vertrag verlängern. Es wartet eine neue Herausforderung.
Quelle: ntv.de