
Nach dem Abpfiff nahm Glasner wieder auf der Trainerbank Platz.
(Foto: picture alliance / SvenSimon)
RB Leipzig wiederholt in Berlin gegen Eintracht Frankfurt seinen Pokaltriumph. Fußballerisch wird nicht viel bleiben, eher die Geschichten drumherum. SGE-Coach Glasner outet sich einmal mehr als Fan der Adler, RB steht vor einem Umbruch.
Die Zahl der Schritte eines Trainers werden nicht gezählt. Eintracht Frankfurts Coach Oliver Glasner müsste am Samstagabend bis zur 85. Minute jedoch einige Kalorien verbrannt haben. Bei der 0:2 (0:0)-Niederlage im DFB-Pokalfinale gegen RB Leipzig läuft er bei seinem letzten Spiel für die Adler an der Seitenlinie auf und ab, wirbelt mit den Armen, springt, hebt den Zeigefinger, klatscht und scheucht seine Mannschaft bei Leipziger Ballbesitz nach vorne. Nur hat es nicht den gewünschten Effekt. Spätestens nach dem 0:2 durch Dominik Szoboszlai in der 85. Minute weiß auch er: Die Roten Bullen wiederholen ihren Triumph und verteidigen den DFB-Pokal.
Die bittere Erkenntnis zeigt sich in Glasners Körpersprache. Mit verschränkten Armen feuert er nach dem zweiten Gegentreffer vor allem die Ballkinder an, das Sportgerät schneller wieder ins Spiel zu bringen. Nach dem Abpfiff ist es dann ganz vorbei: Während sich die Mannschaft vor der Kurve bei den mitgereisten Fans bedankt, steht der Trainer erst mit gesenktem Haupt bedröppelt zwischen den Betreuern, nimmt dann allein auf der Bank Platz. Erst bei der Siegerehrung kommt er hervor und holt sich seinen Applaus ab.
Es war ein seltsamer, 90-minütiger Schlusspunkt von Glasners Eintracht-Zeit. Das Pokalfinale hatte nur wenige spielerische Höhepunkte. Fußball bedeutet manchmal auch, dass nicht viel passiert. Dann ist es zäh, es bleibt nur die Hoffnung auf den eigenen Gedankenblitz, das Warten auf den entscheidenden Fehler beim Gegner. Nur, wenn nichts dergleichen eintritt, wird es schwierig. In der ersten Hälfte kontrollierte Leipzig das Spiel, ist dabei aber eher "reserviert", wie Trainer Marco Rose es später auf der Pressekonferenz umschrieb.
Nkunkus Tor begräbt Frankfurter Träume
Was das bedeutet: Gut organisierte Frankfurter raubten Leipzigs Spielaufbau jedes Überraschungsmoment. Und so war alles, was Roses Team macht, etwas einfallslos. Bezeichnend war eine Passstafette in der Mitte der ersten Hälfte über mehrere Minuten. Die Leipziger ließen den Ball mehrfach durch die Viererkette laufen. Von links nach rechts und wieder zurück. Und am Ende mussten sie den Ball dann doch hoch nach vorne schlagen. Die Show der Offensivkünstler um Dani Olmo, Dominik Szoboszlai und Christopher Nkunku fand praktisch nicht statt. Dementsprechend wenig Torgefahr erlebten die 74.322 Anwesenden. Ein Abschluss von Timo Werner war einmal zu harmlos (4.), Frankfurts Randal Kolo Muani traf im Gegenzug nur das Außennetz (16.).
Die zweite Hälfte begann indes mit einem Feuerwerk - aber wieder nicht auf dem Feld. Beide Fanlager zündeten Unmengen an Pyrotechnik. Rauchschwaden zogen durch das Olympiastadion. Ein Hauch von Silvester lag in der Luft. Einzig: Dem Spiel tat es nicht gut. Nicht nur war die Sicht eingeschränkt, auch die Hauptdarsteller wirkten weiter gehemmt. Das Spiel hatte sich nach der Pause gedreht: Frankfurt hatte länger den Ball, Leipzig wartete ab. All das bis zur folgenreichen 69. Minute. Eintracht-Trainer Glasner wechselte den erschöpften Kapitän Sebastian Rode aus. Der habe schon in der Halbzeit angedeutet, dass es nicht lange gehen würde, sagte Glasner.
Rode, der es bei seiner Auswechslung nicht einmal mehr bis zur Mittellinie schaffte, holte sich auf dem Weg zur Bank den Applaus der stehenden Fans ab. Er hatte sich mutmaßlich nicht einmal hingesetzt, da kippte das Spiel. Aus dem Nichts fiel in der 71. Minute ein Tor. Leipzigs Nkunku schoss von der Sechzehner-Kante, der Ball wird mehrfach abgefälscht und landete dann irgendwie im Kasten von Torwart Kevin Trapp. Leipzig war danach wie entfesselt. Die Frankfurter, die ihre Ordnung aufgeben mussten, ließen die gegnerischen Offensivkünstler ihre Arbeit verrichten. Das 2:0 durch den Noch-Leipziger Szoboszlai beendete dann das Spiel.
Das Aufeinanderprallen zweier Systeme?
Und so bleibt vor allem das, was neben dem Platz geschehen ist. Während die Kräfteverhältnisse auf dem Feld ausgeglichen waren, waren sie es auf den Rängen und in der Hauptstadt zuvor weniger. Alles, was mit Leipzig zu tun hatte, wurde von den mitgereisten Frankfurtern gnadenlos ausgepfiffen: erst das Maskottchen "Bulli", dann der auf den Videotafeln eingeblendete Mannschaftsbus und schlussendlich auch die Siegerehrung. Bewegende Einigkeit zeigten beide Fankurven dafür jedoch bei der Schweigeminute vor Anpfiff für den 15-jährigen Fußballer, der nach einem tätlichen Angriff bei einem Jugendturnier in Frankfurt am Main ums Leben kam.
Vielmehr Verbindendes gab es nicht. Der scheidende Eintracht-Präsident Peter Fischer hatte das Pokalfinale im Vorfeld bei RTL und ntv zum Aufeinanderprallen zweier System stilisiert. Der "Traditionsklub" gegen das "Marketing-Konstrukt". Fischer legte am Mittag auf dem Fanfest der Adler nach. Dort spottete er über angeblich nur 138 Leipziger Fans auf dem anderen Fest. Und tatsächlich unterschieden sich die beiden Veranstaltungen wenig überraschend. Die Frankfurter bekamen den zentralen Breitscheidplatz am Bahnhof Zoo. Angeblich sollen bis zu 80.000 von ihnen den Weg in die Hauptstadt gesucht haben, 5000 waren davon nach Behördenangaben vor der Gedächtniskirche. Im Umfeld gab es kaum einen Späti, keinen Imbiss, den sie nicht belagerten. Auf ihren T-Shirts standen Sprüche wie "Feels like 1980", "Für immer Waldstadion" oder "DFB-Pokaltour 2022/23". Sie machten deutlich, wofür sie stehen.
Die Welt der anderen hatte auf dem undankbaren Hammarskjörplatz ihr Zuhause. Insgesamt sollen 30.000 Fans nach Berlin gekommen sein, vor dem Berliner Messegelände versammelten sich nach Polizeiangaben etwa 3000. Auch dort war die Stimmung vorfreudig. Buden lockten mit Bier und Bratwurst, Getränkedosen wurden verteilt, Kinder probierten sich beim Torwandschießen. Überall hingen Plakate: "RB Leipzig: You Can Do Anything". Du kannst alles machen. In seiner zugegeben überschaubaren Historie hat RB Leipzig das bewiesen. Viermal in den vergangenen fünf Jahren stehen sie im DFB-Pokalfinale. Doch auf dem Hammarskjörplatz wurde nicht die Vergangenheit gefeiert. Das wäre für einen Klub, der im Mai 2009 gegründet wurde, auch schwierig. "Wir sind gekommen, um zu bleiben und nicht zu gehen / Geschichte zu schreiben - ihr werdet sehen", sangen sie.
Oliver Glasner geht als Fan
Nur was diese Zukunft bringen wird, weiß nach diesem Abend der Abschiede niemand so genau. In nächster Zeit durchlaufen beide Klubs einen Umbruch. Leipzig verliert gleich mehrere Stützen. Mittelfeldmotor Konrad Laimer geht sehr wahrscheinlich zu den Bayern, Torschütze Szoboszlai soll Begehrlichkeiten beim neureichen Newcastle United wecken. Der rotgesperrte Verteidiger Joško Gvardiol soll auch noch Unsummen einbringen. Und auch der gefährlichste Angreifer, Nkunku, spült mit seinem kolportierten Wechsel zum FC Chelsea wohl eine höhere zweistellige Millionensumme ein.
Bei der Eintracht endet nicht nur Glasners Zeit. Vizeweltmeister Kolo Muani geht vielleicht zum FC Bayern. Daichi Kamada wechselt ablösefrei nach seinem Vertragsende, auch Verteidiger Evan N'Dicka könnte die Adler verlassen. Doch Glasner war nach dem Spiel erst einmal dankbar. Vor allem schwärmte er von den Fans und war begeistert, dass sein Team so viele von ihnen anziehen konnte. Und die Fankurve war ihm dankbar. Für zwei große Jahre. Für Reisen quer durch Europa mit dem ersten internationalen Titel seit über 30 Jahren. Für die erste Champions-League-Qualifikation der Vereinsgeschichte. Für den Traum, erneut den DFB-Pokal zu gewinnen - auch, wenn der geplatzt ist.
Er sei nicht enttäuscht, sagte Glasner auf der anschließenden Pressekonferenz, sondern müsse der Mannschaft ein Kompliment machen, "was sie heute wieder geleistet hat, wie sie die Massen bewegt hat". Er schwärmte von "zwei fantastischen Jahren" und sprach von "Stolz und Dankbarkeit" für die Zeit. "Ich werde diese Gruppe von Spielern, diese Gruppe von Betreuern auch immer im Herzen tragen, weil es auch wirklich eine tolle Reise war."
Und am Ende erzählte er noch eine Anekdote. Als Glasner nach Frankfurt kam, habe ihm eine ältere Dame gesagt, er soll doch gut auf die Eintracht aufpassen. "Nach zwei Jahren kann ich sagen, dass ich ganz gut auf die Eintracht aufgepasst habe und jetzt switche ich auf ihre Seite", sagte Glasner. Er verlasse die Eintracht als Fan.
Quelle: ntv.de