"Zettel-Ewald", Linksaußen und Müslimann Nimmermüder Lienen bleibt sich treu
27.11.2013, 10:13 UhrEr gewann als Spieler den Uefa-Pokal - und sammelte Unterschriften gegen Atomtests. Sein aufgeschlitzter Oberschenkel machte Bundesliga-Geschichte. Als Trainer brachte er es mit Zettelwirtschaft zum Erfolg. Heute feiert Ewald Lienen seinen 60. Geburtstag.
Als Unikat der Fußball-Bundesliga ist Ewald Lienen unverwechselbar. Mit langer Mähne und ebenso scharfer wie heraushängender Zunge hinterließ er in 333 Spielen bleibende Eindrücke. Ein Linksaußen war der Friedensaktivist nicht nur auf dem Platz, sondern gleichwohl auf politischer Bühne. Als Trainer vermittelt Lienen aber längst den Eindruck eines Gentlemans mit Hang zu Anzug und Krawatte. "Es ist der Sinn des Lebens, an sich zu arbeiten und sich weiterzuentwickeln", sagte Lienen, der diese Einstellung auch nach seinem 60. Geburtstag nicht ändern will.
Schon als aktiver Bundesliga-Profi in Bielefeld, Mönchengladbach und Duisburg bevorzugte Lienen den etwas anderen Weg. "Na, Ewald, frisste wieder ausse Radkappe", hatten seine Teamkollegen gefrotzelt, wenn er sich in der Kabine sein Müsli in einer Aluschale anrührte. Autogramme verweigerte er einst mit der Begründung: "Meine Unterschrift ist nicht mehr wert als deine. Im Zirkus von Brot und Spielen trete ich nicht als Autogramme schreibender Held auf."
Trainer mit Auszeichnung
1979 gewann Lienen mit Gladbach den Uefa-Cup. Nach dem Training ging er auf Demonstrationen und engagierte sich politisch für die linksorientierte "Friedensliste". Über zwei Prozent der Stimmen erhielt er 1985 als Kandidat bei der NRW-Landtagswahl in seinem Wahlkreis Mönchengladbach. Lienen sammelte Unterschriften gegen Atomtests und wurde Mitbegründer der Fußballergewerkschaft "VdV". Sozial engagiert ist er bis heute, auch wenn er seine Thesen nicht mehr so radikal vertritt. "Es ist das Vorrecht der Jugend, Dinge extremer zu sehen. Natürlich muss ich im Nachhinein über manches schmunzeln. Diese gesellschaftliche Verschwörungstheorie darf man nicht überbewerten. Aber teilweise stimmt sie doch", erzählte ein gereifter Lienen mal der Wochenzeitung "Die Zeit".
Haften sind die Bilder vom 14. August 1981 geblieben, als Werder-Profi Norbert Siegmann beim Spiel in Bremen mit einer Grätsche Lienens Oberschenkel derart aufgeschlitzt hatte, dass das Fleisch aus der 30 Zentimeter langen Wunde quoll und den meisten Zuschauern der Atem stockte. Lienen, der Sekunden nach dem Foul mit offener Wunde zum Bremer Trainer Otto Rehhagel hinkte und diesen als Provokateur beschimpfte, konnte einige Wochen später weiterspielen. Erst 1992, nachdem er den MSV Duisburg von der Oberliga in die Bundesliga führte, beendete er seine aktive Laufbahn und wurde mit der Examensnote Eins Fußball-Lehrer.
"Ohne Zettel keine Notizen"
Den Aufsteiger MSV führte er auf seiner ersten Trainerstation am 18. Februar 1994 mit taktisch anspruchsvollem Fußball sogar für eine Woche an die Spitze der Bundesliga-Tabelle. Öffentliches Gesprächsthema war aber weniger dieser Erfolg, sondern Lienens Eigenarten. "Zettel-Ewald" wurde er gerufen, weil er sich während der Spiele fortwährend Notizen machte. "Es ist relativ schwer, sich etwas zu notieren, ohne einen Zettel in der Hand zu haben", erklärte der gebürtige Ostwestfale. Dauerthema blieben auch Lienens Ernährungspläne, mit denen er bisweilen aneckte. Auf allzu gesunde Kost wollte sich nicht jeder seiner Spieler einlassen.
Rostock, Köln, Mönchengladbach und Hannover hat er anschließend in der Bundesliga trainiert. In Spanien machte sich Lienen einen guten Namen, in Griechenland wurde er 2007 als "Trainer des Jahres" ausgezeichnet. Genug hat der Familienvater noch lange nicht. Seit dem 6. November arbeitet er als erster deutscher Fußball-Coach in der rumänischen Profi-Liga für Otelul Galati und sammelt neue Erfahrungen. Ein Typ wie Lienen will sich immer weiter entwickeln.
Quelle: ntv.de, Roland Leroi, dpa