Hart aber Hertha: "Fresse halten" Ottos Eleven im Paradies
04.03.2012, 09:40 Uhr
"Erzähl' ich nicht": Otto Rehhagel.
(Foto: REUTERS)
Hertha BSC schlägt Werder Bremen und schöpft Hoffnung im Kampf gegen den Abstieg aus der Fußball-Bundesliga. Dazu reichen viel Einsatz und ein wenig Glück. Die große Show aber liefert Berlins Trainer Otto Rehhagel. Er genießt es sichtlich, wieder die große Bühne bespielen zu dürfen.
Jürgen Trittin? "Ach, lass das sein." Er schüttelt den Kopf. "Morgen Abend hat der Außenminister mich und meine Frau Beate zum Abendessen eingeladen. Darauf freue ich mich." Otto Rehhagel und Gattin speisen mit Guido Westerwelle. Am 18. März wird Otto Rehhagel im Auftrag der Berliner CDU den neuen Bundespräsidenten wählen - wen interessiert da schon der Fraktionschef der Grünen im Deutschen Bundestag, nur weil der ein wenig pöbelt?
Erst einmal aber hat Otto Rehhagel tatsächlich über Fußball geredet. Gab ja auch etwas zu erzählen, schließlich hatte Hertha BSC bei seiner Heimpremiere als Teilzeittrainer des Berliner Bundesligisten gegen Werder Bremen mit 1:0 gewonnen. Auch, weil Mittelfeldspieler Nikita Rukavytsya nach einer guten Stunde das einzige Tor an diesem Samstagnachmittag erzielte. "Wir sind alle unwahrscheinlich erleichtert. Im Moment."
Es war vor immerhin 52.744 Zuschauern der erste dreifach Punktgewinn nach zwölf sieglosen Spielen, der erste Sieg im Olympiastadion seit dem 1. Oktober vergangenen Jahres und ein Schimmer der Hoffnung im Kampf gegen den Abstieg. Da spielte es für Otto Rehhagel keine Rolle, dass er diesen Erfolg gegen den Verein erzielte, mit dem er in den 80er und 90er Jahren Titel gefeiert und so den Grundstein für sein Lebenswerk gelegt hatte.
"Ich hab' keine Angst mehr vor euch."
Egal war es hinterher auch, dass Jürgen Trittin, Anhänger des SV Werder, vorher der "Super-Illu" gesagt hatte: "Ich hätte meinem lieben Otto eigentlich gewünscht, dass er sich das auf seine alten Tage nicht mehr antut, eine Mannschaft zu betreuen, die in ihrem Management derart suizidal veranlagt ist wie Hertha BSC." Egal auch, dass Herthas Präsident Werner Gegenbauer ähnlich feinsinnig gekontert hatte: "Als Berliner sage ich: Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal Fresse halten."
All das interessierte Otto Rehhagel nicht die Bohne. Genau so wenig wie es ihn interessierte, Fragen zu beantworten, insbesondere nicht, wenn die, die fragten, Journalisten waren. "Ich hab' keine Angst mehr vor euch." Er ist 73 Jahre alt und hat, wie er sehr oft betont, "nix mehr zu verlieren". Warum er das Team auf vier Positionen verändert hat? "Erzähl' ich nicht." Was er gemeint hat, als er sagte, er habe viele Dinge gesehen, die ihm nicht gefallen hätten? "Ne, sag' ich auch nicht." Und sprach dann doch über Fanol Perdedaj, 20 Jahre alt, den er für den formschwachen Kapitän Andre Mijatovic in die Mannschaft genommen hatte. Otto Rehhagel schwärmte - vom Einsatzwillen seines jungen Spielers und auch sich selbst, weil er eine so gute Idee hatte. Nur den Namen des Bundesligadebütanten - "War doch sein erstes Spiel, oder?" - könne er sich nicht merken. "Der heißt ab heute Paradise." Und spielt Fanol Perdedaj auch am nächsten Wochenende? "Dem sage ich: Paradise, du kannst dich bedanken, dass ich dich einmal aufgestellt habe."
"Ihr habt Euer Versprechen gebrochen!"
Seine Mannschaft hat ein Spiel gewonnen, aber die Show, die liefert er. Er erzählt einfach nur das, was er gerne erzählen will. Und wer ihm dabei zusieht, der merkt, dass Otto Rehhagel es nach gut anderthalb Jahren im Ruhestand durchaus genießt, wieder die große Bühne bespielen zu können. Zumindest nach einem Sieg, und dann auch noch gegen Bremen. Den hatten sich die Herthaner verbissen und mit einer gehörigen Portion Glück erkämpft. Nicht nur Thomas Schaaf, Trainer des SV Werder, hatte gesehen, dass seine Mannschaft die spielerisch bessere war. Zu einem Sieg "gehört aber auch, dass man Tore schießt". Ein Satz wie von Otto Rehhagel ausgeliehen. Der lobte vor allem den Kampfgeist seiner Eleven, die trotz schwieriger Lage alles gegeben hätten. "Man darf aber auch nicht vergessen, die Jungs haben ein bisschen die Hosen voll." Und er lobte seinen eigenen Einsatz. "Ich hab' da geschrien wie ein Geisteskranker." Auch er habe "gefightet wie ein Löwe."
Dass sie sich anstrengen, das war genau das, was die Berliner Zuschauer erwartet hatten. In der vergangen Woche war die Mannschaft kraft- und wehrlos mit 0:3 beim FC Augsburg untergegangen und erstmals in dieser Saison auf den drittletzten Tabellenplatz abgerutscht. Die Fans der Hertha hatten ihre Botschaft an die Spieler auf ein riesiges weißes Band geschrieben und an den Oberrang der Ostkurve gehängt: "Ihr habt Euer Versprechen gebrochen!"
Mit hinreichend Sinn für schlechte Scherze hätten Herthas Kicker nach dem Sieg ihren Vereinspräsidenten zitieren können. Sie waren aber so anständig und haben es nicht getan. Das wäre auch etwas voreilig gewesen. Es sind immer noch nur zwei Punkte bis zu einem direkten Abstiegsplatz. Und Otto Rehhagel sagte: "Das soll ein Anfang sein. Wenn wir verloren hätten, wäre es doch ziemlich düster geworden. Jetzt sind wir wieder dabei." Zum Abendessen mit dem Außenminister nimmt er allerdings nur seine Beate mit.
Quelle: ntv.de