Fußball

Neue Portugal-Rolle sehr unklar Rätselhafter Rekordhalter Ronaldo sucht Zukunft

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Cristiano Ronaldo schaut auf den Schiedsrichter.

(Foto: picture alliance / DeFodi Images)

Cristiano Ronaldo läuft wieder für Portugals Nationalteam auf. Und wie. Beim lockeren 4:0 gegen Liechtenstein sichert der Altstar sich einen Weltrekord und erzielt zwei Tore. Das täuscht aber nicht über seine sich verändernde Rolle hinweg. Ganz im Gegenteil.

Man hätte permanent die Augen schließen können und ihn trotzdem erkannt. An der sich verändernden Geräuschkulisse, am plötzlich zunehmenden Kreischen und Flehen, am lauten Staunen der 45.370 Zuschauer im Estádio José Alvalade in Lissabon. Man konnte sogar hören, wie nicht wenige von ihnen für einige Sekunden vor Erwartung die Luft anhielten. Nur wenn Cristiano Ronaldo den Ball berührte, nahm die Atmosphäre in der ausverkauften Arena diese außergewöhnliche Form an.

Wegen der Erinnerung an die guten alten Zeiten, als tatsächlich fast immer etwas Besonderes passierte, wenn der mittlerweile 38-Jährige das Spielgerät übernahm. An diesem Donnerstagabend beim lockeren 4:0 im EM-Qualifikationsspiel gegen Liechtenstein aber passierte bei den Aktionen des Angreifers: nicht viel. Zumindest nicht aus dem Spiel heraus. Nur bei seinen beiden Toren nach Standardsituationen war er dann doch kurz wieder der, den sie schon immer kannten.

51. Minute: Schon kurz vor seinem Elfmeter stimmen die Fans "Cristiano Ronaldo"-Sprechchöre an. Er verwandelt souverän unten links, ein ganzes Stadion bricht vor Erleichterung in Jubel aus. 63. Minute: Ronaldo nimmt in bekannter Cowboy-Manier Anlauf für seinen Freistoß, er jagt den Ball kompromisslos ins rechte Eck. Wieder singen die Anhänger seinen Namen, wieder reißen sie gemeinsam mit ihm ihre Arme in die Höhe. Es scheint fast so, als hätten die allermeisten von ihnen genau darauf gehofft: Bei seinem Weltrekord-Einsatz im 197. Länderspiel einmal noch den Ronaldo aus seinen besten Zeiten zu sehen.

Von oben auf dem Berg hinab

Den Ronaldo, der die Seleção in so vielen seiner 196 Partien zuvor im Alleingang getragen hatte. Den es aber nicht mehr geben wird, das wurde spätestens an diesem kühlen Frühlingsabend in der portugiesischen Hauptstadt deutlich. Einen Mehrwert kann er dieser Mannschaft aber trotz seines fortgeschrittenen Alters immer noch liefern. Es muss sich nur noch zeigen, wie nachhaltig dieser ist. Und wie er mit seiner sich verändernden Rolle umgehen wird.

Es war ja lange nicht mal klar gewesen, ob er überhaupt nochmal für die Nationalmannschaft aufläuft. In einem bemerkenswert offenen Auftritt hatte Ronaldo vor dem Spiel über die letzten für ihn sportlich und persönlich schwierigen Monate gesprochen. Über den neugeborenen Sohn, den er und seine Lebensgefährtin im vergangenen Jahr verloren hatten. Über die enttäuschende WM in Katar, als sein zuvor unangefochtener Status als Stammspieler erstmals heftige Risse bekam.

Über seine Ersatzrolle bei Manchester United und den anschließenden Wechsel zu Al Nassr in Saudi-Arabien. "Wenn man oben auf dem Berg steht, sieht man nicht, wie es unten ist. Ich habe sehr viel gelernt in dieser Zeit. Was ich in diesen Monaten durchgemacht habe, habe ich noch nie durchgemacht", sagte er. "Aber jetzt bin ich dankbar dafür. Denn ich bin jetzt ein besserer Mensch." Selbst über einen Rücktritt aus der Seleção habe er kurz nachgedacht. Aber als klar war, dass der neue Trainer Roberto Martínez auf ihn setzt, habe er sich sofort bereit gefühlt.

Ronaldo lobt Nachfolger Ramos

In der 78. Minute wechselt der Spanier ihn aus. Wieder erhebt sich das Publikum. Die Allermeisten klatschen Beifall, aber es sind auch einige Buh-Rufe zu hören. Sie wollen nicht, dass der Kapitän vorzeitig ausgewechselt wird. Früher wäre das schließlich undenkbar gewesen. Früher hätte auch Ronaldo wohl zumindest die Miene verzogen. Und jetzt? Er akzeptiert die Entscheidung des Coaches ohne zu zögern. Hebt kurz die Arme und klatscht mit den Fans und anschließend mit Martínez ab.

Es betritt jetzt die Zukunft das Feld. Martínez bringt den 21-jährigen Gonçalo Ramos von Benfica Lissabon. Jenen Angreifer, der Ronaldo schon in Katar den Stammplatz abgenommen und anschließend mit drei Toren gegen die Schweiz für Schlagzeilen gesorgt hatte. An diesem Abend aber bleibt Ramos torlos. 2:0 für Ronaldo also? So wollte es nach dem Spiel logischerweise niemand sehen. Ronaldo selbst hatte den Jungstar schon am Vortag für seine bislang überragende Saison bei Benfica gelobt. Anzeichen, dass er seine neue Rolle tatsächlich akzeptieren könnte. Denn dass er auch im nächsten Spiel am Sonntag in Luxemburg von Beginn an spielt, ist längst nicht sicher.

"Um in der Nationalmannschaft zu sein, muss man sich engagieren. Es ist ein neuer Zyklus. Es ist sehr wichtig, dass er Engagement zeigt, damit wir seine Erfahrung nutzen können, und er zeigt dieses Engagement", sagte Martínez über den Altstar. "Cristiano Ronaldo ist der Spieler mit der größten Erfahrung im Weltfußball im Moment. Diese Erfahrung wollen wir nutzen." Die Frage wird nun sein: Wie sehr ist Ronaldo bereit, seine persönlichen Befindlichkeiten den Bedürfnissen der Mannschaft unterzuordnen? Dass ihm das auch weiterhin mitunter schwerfällt, wurde ebenfalls in Lissabon deutlich. In der 23. Minute kam der mehrfache Weltfußballer im Straftraum der hoffnungslos überforderten Gäste frei an den Ball.

Erst in der zweiten Halbzeit überhaupt im Spiel

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Er stand frei vor Liechtensteins Torhüter Benjamin Büchel, eine XXL-Chance. Zu seinen größten Zeiten hätte er in dieser Situation die Augen schließen können und ihn trotzdem versenkt. Diesmal schoss er ihn weit über das Tor. Elf Minuten später setzte er einen Kopfball knapp daneben und streckte seine Arme flehend in Richtung Himmel, als könne er es selbst nicht begreifen. Kurz darauf motzte er mit BVB-Verteidiger Raphael Guerreiro, weil dieser einem von ihm schlecht getimten Hackenpass nicht hinterhergelaufen war.

Erst im zweiten Durchgang fand Ronaldo seine persönliche Versöhnung mit dieser Partie, in welcher er seine Länderspieltreffer 119 und 120 erzielte. Danach wechselte Martínez ihn aus. Als die Mannschaft sich später von den Fans verabschiedete, war der Superstar ebenfalls nochmal dabei. Mit einem weiteren Rekord und zwei Toren in der Tasche klatschte er ein letztes Mal an diesem Abend in Richtung der Anhänger, von denen viele längst nach Hause gefahren waren. Sie hatten ja längst gesehen, was sie sehen wollten: ihren alten und neuen Superstar, der sich noch einmal auf ein weiteres Kapitel mit der Nationalmannschaft aufmacht. "Das ist mein Zuhause", hatte Ronaldo am Vortag über die Seleção gesagt. Wie genau er sich dort einrichten wird, zeigt sich allerdings erst in den nächsten Monaten.

Quelle: ntv.de

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