Das Krisenderby im Schnellcheck Schalke ist sogar zu schwach zum Träumen
24.10.2020, 22:00 Uhr
Frederik Rönnow gibt dem Schalker Innenleben ein Gesicht.
(Foto: TEAM2sportphoto)
Borussia Dortmund empfängt den FC Schalke 04 zum Revierderby mit gemischten Gefühlen. Man selbst gibt sich zuletzt wankelmütig, der Gegner ist in der Dauerkrise, hofft aber auf die Wende. Am Ende ist alles einfacher als gedacht: Schalke ist völlig chancenlos. Und kann noch nicht mal mehr träumen.
Was ist im ehemaligen Westfalenstadion passiert?
Mehr Krisen waren selten rund um das Revierderby: Am sichtbarsten machte das leere Stadion natürlich die Coronakrise, nur 300 Fans durften in das mit über 80.000 Plätzen größte Bundesligastadion. Sich daran zu gewöhnen, ist unmöglich. Gewöhnt hat man sich dagegen an zwei andere Dinge: Borussia Dortmund gewinnt gefühlt keine wichtigen Spiele mehr, der FC Schalke gewinnt überhaupt nicht mehr.
Das 1:3 bei Lazio Rom unter der Woche, wo sich Borussia Dortmund erschreckend naiv, unengagiert, überhaupt kaum ambitioniert präsentierte, hatte die Schwarz-Gelben ordentlich durchgeschüttelt. Krise allerorten vor dem 181. Revierderby. Ein Spiel, das für den BVB, den klaren, aber so oft an sich selbst krankenden Favoriten mit dem gewaltigen Potenzial, mehr Risiko, und für den FC Schalke die Chance auf den großen Turnaround war.
Und dann passiert das: Der FC Schalke präsentiert sich engagiert, gibt sich leidenschaftlich und schafft es lange, das Dortmunder Anrennen über das vollgestellte Zentrum als eigene defensive Stabilität auszugeben. Und ist dabei aber über die komplette Spielzeit völlig chancenlos. Die "Fantasie, auch etwas holen zu können", wollte man sich erarbeiten, sagte Manuel Baum, der neue Trainer, vor dem Spiel. Nun, die Grenzen zwischen Fantasie und Träumerei liegen im Nebel. Es fehlt an zu vielem, vor allem an Qualität bei eigenem Ballbesitz. Es war eben das Spiel des 3. gegen den 17.. Weiter waren beide zum Zeitpunkt des Derbys noch nie voneinander entfernt.
Borussia Dortmund dagegen liefert ein starkes Derby ab. Mit viel Ballbesitz, natürlich. Eine Reaktion hatte Sportdirektor Michael Zorc gefordert. Die lieferte die Mannschaft: konzentriert und engagiert. Ein Derbysieg tut der Dortmunder Seele immer gut und dazu geeignet, beständig glimmende Brandherde klein zu halten. Ein Prüfstein war dieser FC Schalke der Chancenlosigkeit jedoch nicht, eher ein willkommener Aufbaugegner. Anders als gegen den FC Augsburg, wo Haaland und Co. trotz 80 Prozent Ballbesitz mit 2:0 verloren, konnte man sich am Samstagabend ganz auf den entscheidenden Durchbruch in Richtung des gegnerischen Tores konzentrieren.
Teams und Tore
Dortmund: Bürki - Meunier (80. Morey), Hummels, Akanji, Guerreiro - Dahoud (71. Witsel), Delaney - Sancho (77. Hazard), Brandt (77. Reus), Reyna (71. Passlack) - Haaland. - Trainer: Favre
Schalke: Rönnow - Thiaw, Salif Sane, Nastasic - Ludewig, Mascarell, Oczipka - Harit, Bentaleb (56. Bozdogan) - Paciencia (56. Kutucu), Matondo (71. Raman). - Trainer: Baum Schiedsrichter: Felix Zwayer (Berlin)
Tore: 1:0 Akanji (55.), 2:0 Haaland (61.), 3:0 Hummels (78.)
Zuschauer: 300
Gelbe Karte: - Mascarell
Der Krisengipfel im Spielfilm
7. Minute: Amine Harit streckt im Mittelfeld Thomas Delaney nieder. Klares Signal: Der FC Schalke ist da. Das Problem: Er kommt halt oft zu spät.
8. Minute: Der erste Aufreger: Startelf-Debütant Malick Thiaw fällt gemeinsam mit Giovanni Reyna im Schalker Strafraum, danach ist er auch noch mit der Hand am Ball. Elfmeter oder nicht? Nein, sagt Schiedsrichter Felix Zwayer. Kein Widerspruch aus Köln.
11. Minute: Erling Haaland wird erstmals auffällig, allerdings nicht wie gewohnt: Der Stürmer lässt eine Chance liegen. Der BVB übernimmt jetzt hier das Zepter.
13. Minute: Schalke 1, Dortmund 0. Omar Mascarell macht sich um die Kartenstatistik verdient, indem er Mo Dahoud rustikal zu Boden zwingt. Gute Aktion des Schalkers, wäre er nicht Fußballer.
16. Minute: Der BVB macht das jetzt ganz stark und setzt sich vor dem Tor der Gäste fest und macht den Schalker Strafraum zum Hochrisikogebiet. Die Führung für den BVB ist jetzt schon noch nur eine Frage der Zeit. Thomas Meunier scheitert aber zunächst noch aus aussichtsreicher Position.
24. Minute: Schiedsrichter Felix Zwayer gibt den Akteuren hier Spielraum für ein robustes Derby. Zunächst hatte Thiaw Dahoud heftig attackiert, dann rumpelte Delaney Harit mächtig in die Beine. Mit Verweis auf die erste Aktion belässt es Zwayer auch bei der zweiten bei einer Ermahnung und lässt Gelb stecken. Für den fälligen Freistoß hat Schalke-Trainer Manuel Baum eine klare Vorgabe: "Vorne rein!" Harit versteht aber offenbar nur "Eckfahne".
29. Minute: Mats Hummels beckenbauert einen Außenristpass genau in den Lauf von Haaland, der Norweger taucht recht frei aber seitlich versetzt vor Frederick Rönnow auf - und holt mit seinem Abschluss einen Einwurf raus. Für Schalke. Damit hat Haaland nach einer halben Stunde mehr Chancen vergeben, als der FC Schalke in der kompletten Saison Tore geschossen hat.
33. Minute: Von einer größer werden müssenden Fantasie, etwas holen zu können, hatte Baum vor dem Spiel gesprochen (s.o.). Im Moment fehlt die Fantasie, dass es in diesem Spiel etwas damit werden könnte. Auch wenn Bastian Oczipka nach einem Konter aufs Tor schießt. Vorher war auf der anderen Seite die Latte getroffen.
44. Minute: Dortmund ist besser, Dortmund ist spielbestimmend, Dortmund hat meistens den Ball, Dortmund belagert den Schalker Strafraum. Aber Dortmund führt nicht. Und das wird beim BVB gerne mal zum Problem. Auch heute?
Halbzeit: Die gute Nachricht für den FC Schalke: Es steht 0:0. Die schlechte Nachricht für den BVB: Es steht 0:0. Nach 45 intensiven, nicht hochklassigen Minuten dürfen die Gäste einen Teilerfolg verbuchen. Für den drückend überlegenen BVB ist das Ergebnis deutlich zu wenig. Es krankt beim chronischen Vizemeister mit der so bedrückend gut besetzten Offensive an den letzten Metern: Ballsicherheit, individuelle Qualität und Dauerpräsenz am gegnerischen Strafraum konnten viel zu selten in zwingende Chancen umgemünzt werden. Viel zu oft landeten die schwarz-gelben Angriffsbemühungen mittig vor dem Strafraum. Und da ist es eben immer eng.
52. Minute: Es läuft nicht so schlecht für den FC Schalke. Dass die Dauersieglosen Qualitätsprobleme haben, ist klar. Aber wie schon zu Beginn der ersten Halbzeit versuchen die Offensivkräfte ein hohes Pressing.
55. Minute: TOOOOOOOOOOR für Borussia Dortmund. Und da ist es doch passiert: Manuel Akanji erlöst den BVB mit dem 1:0. Nach einer klugen, kurz ausgeführten Eckballvariante kommt erst Raphael Guerreiro nach Hackenvorlage von Julian Brandt zum Abschluss, Rönnow kann den Ball nur vor die Füße von Akanji klären - und der Verteidiger staubt in die lange Ecke ab.
60. Minute: TOOOOOOOOOOR für Borussia Dortmund. Und jetzt ist schon der Deckel drauf! Der BVB kommt nämlich doch mal durch die Mitte durch, weil Jadon Sancho Erling Haaland mit einem Uwe-Bein-Gedächtnis-Pass in die Gasse schickt. Und Haaland, diese Maschine, lupft den Ball elegant ins Tor. So schön kann Krise sein, 2:0.
64. Minute: "Mitte zu!", brüllt Baum von außen. Immer und immer wieder. Das war ganz sicher in der Vorbereitung die klare Marschrichtung der Schalker, eine Stunde lang klappte das mit freundlicher Unterstützung der Dortmunder auch recht gut. Jetzt ist es beinahe schon egal.
74. Minute: Offensiv gelingt Schalke 04 nichts, der gerade eingewechselte Stürmer Benito Raman führt sich mit einer Abseitsstellung ein. Mit dem 1:0 war dieses Spiel bereits entschieden. Beim BVB schaltet man gerade etwas - so scheint es - in den Sparmodus. Klassisches "Die einen können nicht, die anderen müssen nicht". Die beste Nachricht dieser Minuten für den FC Schalke: Gleich ist der höllische Auswärtsdreierpack Bayern-Leipzig-Dortmund überstanden.
78. Minute: TOOOOOOOOOOR für Borussia Dortmund. Jetzt wird es doch noch deutlicher. Mats Hummels schädelt eine ganz humorlos an den Fünfer geschlagene Ecke einfach ein. Humorlos.
82. Minute: Es ist auffällig, wie ausdauernd und detailreich Manuel Baum seine Spieler von außen begleitet. Natürlich geht es darum, das hier ordentlich zu Ende zu spielen. Es klingt traurig, aber ein 0:3 ist ein Ergebnis, mit dem der FC Schalke des Jahres 2020 hier leben können müsste. Gleichzeitig geben die vielen Anweisungen aber auch einen Hinweis darauf, wieviel Arbeit noch vor dem neuen Trainer liegen.
90. Minute: Das dritte Derby in Serie ohne Schalker Treffer, das 21. sieglose Spiel in Serie für Königsblau. Beides gab es in der langen Bundesliga-Geschichte des FC Schalke 04 noch nie.
Schlusspfiff
Was war gut?
Borussia Dortmund. Oder nicht, Lucien Favre? "Es war ganz okay, ich bin zufrieden." Der Dortmunder Trainer stand nach dem sehr, sehr schwachen Champions-League-Auftakt gegen Lazio Rom beim BVB mal wieder unter Druck, mit dem Sieg nahmen seine Spieler wieder Dampf vom Kessel. Das bewerkstelligten Team und Coach gemeinsam: Favre stellte auf Viererkette um - wie Mats Hummels hinterher verriet, auch auf Betreiben der Mannschaft. Die wirkliche Verbesserung brachte aber das kickende Personal selbst auf den Rasen: Von Beginn an gab man sich dominant und ließ verunsicherten Schalkern gar keine Chance, Fantasie (s. ebenfalls o.) zu entwickeln.
"Unser Gegenpressing war wirklich herausragend", schwärmte Hummels hinterher. Und Torschütze Manuel Akanji fasste zusammen, was schnell sichtbar war: "Wir haben nichts anbrennen lassen hinten und haben vorn geduldig gespielt. Ich habe nicht daran gezweifelt, dass wir diese drei Punkte mitnehmen werden", sagte der Schweizer. Anders als noch gegen den FC Augsburg, wo eine brotlose BVB-Ballbesitz-Orgie in eine 0:2-Niederlage mündete, fand man diesmal die Mittel für einen wichtigen Sieg. Und darf - bei aller kurzzeitigen Krisenstimmung - jetzt nach vier Siegen aus fünf Spielen den besten Saisonstart unter Lucien Favre feiern.
Was war schlecht?
Der FC Schalke 04. "Im Fußball kann sich das Wetter so schnell drehen, das glaubst du gar nicht", phrasierte Manuel Baum nach dem Spiel am Sky-Mikrofon. Vor allem das mangelnde Selbstvertrauen hatte der nun seit drei Spielen amtierende Schalke-Trainer als Problem in seinem Kader identifiziert. Es bräuchte vielleicht nur ein Spiel, ein Erfolgserlebnis, dann, ja dann könnte alles wieder gut werden, wenigstens aber besser. Baum ist noch nicht lange auf Schalke. Aber natürlich ist auch dem Neuen klar: "Es bringt nichts, nur die ganze Zeit zu verteidigen." Er sei "genervt und sauer."
Vor allem offensiv präsentierte sich seine Mannschaft in diesem Spiel, das so vieles hätte ändern können und sollen, erschreckend. Stürmer Goncalo Pacienca, in Frankfurt noch ein nicht eben erfolgloser Bundesligaspieler, fiel nur zweimal auf: Einmal mit einem ungeahndeten plumpen Foul am eigenen Strafraum und einmal mit einer peinlichen Einlage gegen Mats Hummels, als er sich nach einem harmlosen Zusammenprall auf den Boden warf. Ja, es fehle auch das Vertrauen des Teams in die Offensivabteilung, bilanzierte Baum. Er sagte es nicht mit diesen Worten, der Tenor aber war: Das Gefühl habe sich manifestiert, dass der Ball vorne sowieso schnell verloren gehen würde - mit Folgen fürs eigene Nachrückverhalten. Das spare man sich dann doch lieber gleich. Das Ergebnis: Vier Ballkontakte im gegnerischen Strafraum stehen für die zweiten 45 Minuten in der Statistik. So bleibt man selbst im Regen stehen, anstatt das Wetter zu drehen.
Das sagten die Beteiligten:
Bastian Oczipka (FC Schalke): "Wir waren mit dem Ball viel zu schlecht! Wir hatten die Ballgewinne, die haben wir dann aber direkt verloren. Auf Dauer ist das einfach zu wenig! Ganz, ganz schlecht ist das Spiel mit dem Ball!"
Lucien Favre (Trainer Borussia Dortmund): "Wir haben gesagt, wir brauchen eine Reaktion. Alle wollten sie zeigen. So ein Spiel wie in Rom kann passieren."
... zur Kritik an ihm: "Das interessiert mich nicht, überhaupt nicht. Ich konzentriere mich auf das Wesentliche. Ich lese viel, aber das nicht."
Manuel Baum (Trainer Schalke 04): "Ich bin genervt und sauer. Es bringt nichts, nur die ganze Zeit zu verteidigen. Wir wollen und müssen Tore schießen. Das größte Problem ist meiner Meinung nach momentan der Kopf. Wenn du erste Erfolgserlebnisse hast, kann das ganz schnell umschwenken. Ich bleibe positiv und will da unbedingt dran arbeiten."
Mats Hummels (Borussia Dortmund): "Das Derby-Tor war wirklich etwas, das mir gefehlt hat. Das stand ganz oben auf meiner Liste und ich bin sehr froh, dass es geklappt hat. Natürlich auch in einem Spiel, das wir dann auch zu Null gewonnen haben - das ist für einen Verteidiger ein absoluter Traumtag."
... zum Spiel: "Wir haben es gut gemacht, uns nur eine oder zwei hochkarätige Chancen zu wenig herausgearbeitet. Aber wir haben den Ball laufen lassen und wenig Fehler gemacht. Manchmal muss man diese Gegner einfach irgendwann so knacken."
... zu den Leistungsschwankungen: "Wir haben diese Saison schon einen Schritt in die Richtung gemacht. Jeden Tag auf dem Platz hart zu arbeiten, ist das, was uns noch fehlt, um eines der absoluten Top-Teams zu sein. Es ist besser geworden, vor allem seit im Januar Emre und Erling dazu gekommen sind. Auch die Verpflichtung von Meunier im Sommer war ein Gewinn für die Mannschaft."
... zu Favre: "Ich halte ihn für einen sehr guten Trainer und wir arbeiten sehr gerne mit ihm zusammen. Aber ich glaube, es ist nie gut, als Spieler in diese Dinge rein zu quatschen. Dafür gibt es Leute, die da verantwortlich sind."
Quelle: ntv.de