Fußball

Graz beendet Dosen-Dominanz Skurriler Meister sorgt für Leverkusen-Moment in Österreich

Zum vierten Mal österreichischer Meister: Sturm Graz

Zum vierten Mal österreichischer Meister: Sturm Graz

(Foto: IMAGO/GEPA pictures)

Sturm Graz entthront am Pfingstsonntag den Serien-Champion Red Bull Salzburg und wird neuer österreichischer Fußballmeister. In der Abschlusstabelle hat Sturm zwei Punkte Vorsprung, die das Team aber nie eingefahren hat. Wie kann das sein?

Was Bayer Leverkusen in Fußball-Deutschland geschafft hat, das ist dem SK Sturm Graz in Österreich gelungen. Die Mannschaft aus der Steiermark gewann am Pfingstsonntag das letzte Spiel der Saison mit 2:0 gegen Austria Klagenfurt, krönte sich zum Meister und beendete gleichzeitig die jahrelange Dauer-Dominanz der finanziell enteilten Kicker von Red Bull Salzburg.

Sturm gelingt zwar keine wundersame Ungeschlagen-Serie wie Leverkusen. Salzburg hatte zuvor auch "nur" zehn Meisterschaften in Folge eingesammelt und nicht elf wie der FC Bayern. Und doch kann der Triumph der Grazer nicht hoch genug eingeschätzt werden. Zu groß sind die finanziellen Unterschiede zwischen Red Bull und Sturm, das ebenfalls von einer Getränkemarke (Bierproduzent Puntigamer) gesponsert wird. "Vielleicht ist Leverkusens Titel mit dieser Ungeschlagen-Serie und dem möglichen Europa-League-Titel noch ein bisschen darüber anzusiedeln, andererseits relativiert sich das wieder, wenn man die Mittel von Sturm sieht", sagt der Journalist und Sturm-Fan Kevin Barth im Gespräch mit ntv.de.

Gregory Wüthrich wäre fast beim FC Augsburg gelandet.

Gregory Wüthrich wäre fast beim FC Augsburg gelandet.

(Foto: IMAGO/GEPA pictures)

Entsprechend ungläubig wirkte im Moment des Erfolgs auch Christian Jauk. "Mir fehlen die Worte", sagte der Grazer Vereinspräsident nach dem Meister-Triumph am letzten Spieltag und bekundete, er sei während des Zitterspiels "irgendwann einmal nervlich weggetreten". Dann traf Abwehrspieler Gregory Wüthrich per Kopf nach einer Ecke zur erlösenden Führung. Ausgerechnet Wüthrich, der im vergangenen Transfersommer eigentlich schon weg war, dann aber beim FC Augsburg den Medizincheck nicht bestand.

Historisches Ende im Meister-Finale

Für Graz ist es nach 1998, 1999 und 2011 der vierte Meistertriumph in der Vereinsgeschichte. Nach zehn Titeln in Folge ist Red Bull Salzburg entthront.

Der Grazer Erfolg hat aber, neben der historischen, auch eine kuriose Note. Denn nach insgesamt 32 Spieltagen weist Salzburg eigentlich die bessere Bilanz in der Tabelle auf. 67 Punkte, eine Tordifferenz von +41. Graz kommt ebenfalls auf 67 Punkte, hat aber bloß eine Tordifferenz von +33. Warum sind die Steirer trotzdem Meister? Der besondere Modus der österreichischen Bundesliga ist der Grund für das merkwürdige Tabellenbild.

In Österreich spielen in der ersten Saisonphase, dem sogenannten Grunddurchgang, alle zwölf Teams in Hin- und Rückspiel gegeneinander. Nach diesen 22 Spieltagen lag Salzburg mit 50 Punkten vier Zähler vor Graz. Die ersten sechs Teams der Tabelle spielen in der Folge in einer weiteren Hin- und Rückrunde untereinander den Meister aus. Die Punkte aus dem Grunddurchgang werden jedoch halbiert, sodass Salzburg mit 25 und Graz mit 23 Punkten in die sogenannte Meistergruppe startete. Hier holte Salzburg nur noch 17 Punkte, Graz aber starke 21, sodass Sturm am Ende mit zwei Zählern vorne liegt, obwohl das Team diese zwei Punkte auf dem grünen Rasen nie geholt hat. Nie zuvor hat in Österreich der Tabellenführer nach dem Grunddurchgang die Meisterschaft noch verspielt. Bis jetzt.

Salzburg finanziell enteilt

Sturm-Fans feiern am Grazer Hauptplatz den Meistertitel.

Sturm-Fans feiern am Grazer Hauptplatz den Meistertitel.

(Foto: picture alliance / ERWIN SCHERIAU / APA / picturedesk.com)

Der vierte Grazer Meister-Triumph ist unterdessen auch deshalb überraschend, weil Salzburg der Konkurrenz in den vergangenen Jahren finanziell enteilt ist. Der Kader der Mozartstädter ist viermal so viel wert wie die Grazer Mannschaft (laut Transfermarkt.de). Zum Vergleich: Die Bayern liegen mit ihrem 930-Millionen-Euro-Kader "nur" etwa ein Drittel über dem Leverkusener. Klar, solche Spielereien erzählen nicht die ganze Geschichte, aber sie schreiben zumindest ein Kapitel.

"Salzburg hat es in den vergangenen Jahren regelmäßig geschafft, Transfererlöse im zweistelligen Millionenbereich zu erzielen. Sturm ist das in seiner Vereinsgeschichte erst zweimal gelungen", berichtet Kevin Barth. Der neue Meister habe "vielleicht ein bisschen aufgeholt", liege aber strukturell noch Welten hinter Salzburg zurück.

Wie konnte das Team aus der steirischen Landeshauptstadt dennoch Meister werden? Den Grundstein legte der Verein ausgerechnet in der herausfordernden Corona-Phase. Christian Ilzer, der Meistercoach, wechselte im Sommer 2020 von Austria Wien zu Sturm. "Der Verein hat sich in dem Sommer auf ein Spielsystem geeinigt, das seitdem auch in den Nachwuchsteams gespielt wird. Sehr hohes, sehr energisches Pressing, das den Gegner dauerhaft unter Stress setzt", sagt Barth.

Titel ohne Torjäger

Ilzer schaffte es in den Folgejahren, Spieler individuell weiterzuentwickeln. Den einen alles überragenden Akteur haben die Grazer aber nicht in ihren Reihen. Das wird auch beim Blick auf die Torjägerliste deutlich. Kein Spieler hat zweistellig getroffen, der Georgier Otar Kiteishvili ist mit neun Treffern der beste Schütze. Sturm ist Meister geworden, ohne einen Torjäger in seinen Reihen zu haben. Das muss man erstmal schaffen.

Aber der homogen besetzte Kader hat die fehlende Tormaschine vergessen gemacht. Im linken Mittelfeld überzeugt der junge Österreicher Alexander Prass. Vor der Abwehr zieht der erfahrene Kapitän Jon Gorenc Stankovic die Fäden. Dessen slowenischer Landsmann Tomi Horvat spielt eine klasse Saison. In der Abwehr hat sich David Affengruber ins Blickfeld von Interessent Borussia Mönchengladbach und Österreichs Bundestrainer Ralf Rangnick gespielt.

Das Erfolgsduo von Sturm Graz: Sportdirektor Andreas Schicker und Trainer Christian Ilzer

Das Erfolgsduo von Sturm Graz: Sportdirektor Andreas Schicker und Trainer Christian Ilzer

(Foto: IMAGO/Eibner Europa)

Verantwortlich für die Kaderbesetzung ist Sportdirektor Andreas Schicker, der derzeit mit der TSG Hoffenheim in Verbindung gebracht wird. Der 37-Jährige trat sein Amt genau wie Trainer Ilzer im Sommer 2020 an. Und er traf prompt die richtigen Entscheidungen auf dem Transfermarkt. Schicker verpflichtete im Januar 2022 den Dänen Rasmus Højlund aus Kopenhagen, verkaufte den treffsicheren Stürmer aber nur ein halbes Jahr später nach Bergamo - für die Grazer Rekordablöse in Höhe von 17 Millionen Euro. Heute ist Højlund Stammspieler bei Manchester United, Graz kaufte mit dem Transfergeld die letzten Mosaiksteinchen für die Meistermannschaft. "Sturm hat ein tolles Scoutingsystem, oft ist die Rede von einem Schattenkader. Das heißt, wenn Sturm einen Spieler ziehen lassen muss, hat Schicker einen neuen Spieler als Plan B längst in der Tasche", erzählt Fan und Experte Barth.

Die Ära Ilzer/Schicker war zum Erfolg bestimmt, das zeichnete sich bereits in der ersten Saison unter Leitung des Duos ab. Sturm Graz presste sich auf Platz 3 der Bundesliga, in den Spielzeiten 21/22 und 22/23 sogar zur Vizemeisterschaft, dieses Jahr zum Double.

"Keine wahnsinnigen Sachen"

Was soll da noch kommen? Zum Beispiel die Champions League. Nach 24 Jahren kehrt Sturm wieder in die Gruppenphase der "Königsklasse" zurück. Die Grazer können die Festabende allerdings nicht im heimischen Stadion in Graz-Liebenau begehen. Weil die Merkur-Arena (früher Arnold-Schwarzenegger-Stadion) nicht den Uefa-Anforderungen entspricht, muss Sturm nach Klagenfurt ausweichen. Aber an das Wörthersee-Stadion haben die Grazer gute Erinnerungen, in den letzten sechs Jahren gewannen sie hier dreimal das Pokalfinale.

Kann die Champions League die Steirer in neue Sphären katapultieren? Finanziell definitiv, betont Sportchef Schicker gegenüber "Laola 1". "Ich würde lügen, wenn ich sage, das ändert nichts." Es gehe aber darum, "keine wahnsinnigen Sachen" zu machen. Eine Mischung aus "Kontinuität" und "Mut zur Veränderung" hätten den Klub zum Meister gemacht, sagt Schicker. Diesen Weg will Sturm Graz fortsetzen.

"Sturm Graz hat in seiner Geschichte erst für acht Spieler mehr als zwei Millionen Euro ausgegeben. Es gilt das Prinzip, entwicklungsfähige Spieler holen und weiterverkaufen. Das alles ähnelt dann doch eher einem Verein wie Heidenheim und nicht Leverkusen", merkt Barth an.

Quelle: ntv.de

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