Krawalle bei brisantem Ost-Duell Von Vermummten gejagt, vom Verband gesperrt?
15.09.2025, 21:10 Uhr
Leipziger Spieler flüchten.
(Foto: IMAGO/Picture Point)
Das Regionalligaderby zwischen dem Halleschen FC und Chemie Leipzig endet in einem wüsten Tumult, nach Abpfiff müssen Spieler vor teilweise vermummten Fans flüchten. Nun geht es an die Aufarbeitung. Und die könnte Konsequenzen bringen - für die Leipziger.
Ein neuer trauriger Abend für den Fußball in der Regionalliga Nordost. Beim Derby zwischen dem Spitzenreiter Hallescher FC und Chemie Leipzig kommt es am vergangenen Freitag zu Jagdszenen nach dem Schlusspfiff. Das hart umkämpfte 0:0 am 7. Spieltag, gleichbedeutend mit dem ersten Punktverlust für Halle und dem ersten Punktgewinn für Chemie, gerät dabei schnell in Vergessenheit. In Erinnerung bleiben wird das Spiel wegen dem, rund um das Spiel abgeht. Und womöglich wegen der Konsequenzen, die den Leipzigern drohen, die sich gegen einen wütenden Mob der eigenen Haut erwehren mussten. Chemie Leipzig spricht gegenüber ntv.de von "bis zu 100 gegnerischen Fans, hochaggressiv und teils vermummt, vereinzelt konfrontativ gegenüber unseren Spielern auf dem Feld. Eine beispiellose Szenerie".
Im Anschluss an die Eskalation der Gewalt passieren mehrere Dinge. Die Polizei leitete mehrere Ermittlungsverfahren ein, darunter neun Körperverletzungsdelikte, vier Sachbeschädigungen sowie einen tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte. Der Nordostdeutsche Fußballverband (NOFV) leitet ein Sportgerichtsverfahren gegen drei Spieler ein, zwei aus Leipzig und einen aus Halle. Ihnen drohen jetzt Sperren. Der Heimverein beschuldigt die beiden Gästespieler, einen HFC-Fan "mit Anlauf zu Boden gebracht und auch am Boden geschlagen" zu haben und die Gäste aus Leipzig berichten gegenüber ntv.de, "dass mindestens ein in Halle wohnender Spieler einen 'Hausbesuch' von maskierten HFC-Anhängern" erhalten habe. Die Lebensgefährtin des Spielers habe das in Angst und Schrecken versetzt. Andere Spieler hätten die Nacht nach dem Spiel nicht zu Hause verbracht. Auch, weil es auf dem Platz selbst schon zu Morddrohungen gegen die Gäste gekommen sei.
"Das ist folglich ein Skandal!"
Nach dem Schlusspfiff der Partie fliegt zuerst Pyrotechnik aus dem Gästeblock in Richtung der Heimfans. Teile der Halle-Anhänger stürmen über den Platz in Richtung der Gäste und versuchen, diese zu attackieren. Die Gastmannschaft, die mit den mitgereisten Fans das Unentschieden feiert, bekommt davon erst einmal nichts mit. Dann kommt es auch zu Konfrontationen zwischen den Fans und Spielern. Die Polizei ist zuerst nicht Herr der Lage. In diesem Chaos zwischen jagenden Halleschen Fans, überrumpelten Polizisten und flüchtenden Fußballern sollen die Leipziger Spieler Valon Aliji und Philipp Wendt "unsportliches Verhalten" gezeigt haben - entsprechend hängt nun eine Sperre durch den NOFV über ihnen.
Der Klub ist fassungslos: "Dass Spieler, die sich auf dem Feld befanden und sich gegen aufs Feld gestürmte gegnerische Anhänger zur Wehr setzen, jetzt mit einem Sportgerichtsverfahren überzogen werden, ist folglich ein Skandal", sagt Chemie Leipzig. "Spieler sind kein Freiwild, werden auf diese Weise aber faktisch zu solchem erklärt!" Der NOFV wollte sich auf Anfrage von ntv.de unter Verweis auf das laufende Verfahren nicht zu einer drohenden Sperre äußern.
Das vom NOFV als "unsportliches Verhalten" verfolgte Vergehen soll sich dabei mutmaßlich auf die eingangs erwähnte Auseinandersetzung der Spieler mit dem HFC-Fan beziehen. Die Angaben zu dem Vorfall unterscheiden sich dabei eklatant. Der HFC schreibt in einer Stellungnahme: "Nach den vorliegenden Videoaufnahmen und Zeugenaussagen ist derzeit nicht erkennbar, dass es sich um eine Notwehrreaktion handelte. Die weiteren Ermittlungen der Polizei werden diesen Sachverhalt klären müssen." Diese Situation habe zu "einer deutlichen Emotionalisierung der Heimfans" geführt, die "sich daraufhin zum Teil in Richtung der Gästespieler bewegten, offenbar um ihren Unmut zu äußern."
"Wir hatten große Angst"
In Gedächtnisprotokollen, die ntv.de vorliegen, beschreiben Spieler und Funktionäre von Chemie Leipzig die Momente nach dem Schlusspfiff anders. Sie berichten übereinstimmend von der Wahrnehmung einer außerordentlichen Bedrohungs- und Angstsituation. "Ich hatte Angst, wegen der geringen Sicherheitsmaßnahmen, dass die Angreifer Waffen mit sich hatten (...)", sagt ein Leipziger. Ein anderer erinnert sich ähnlich: "Wir Spieler sind körperlich unbeschadet davon gekommen. Psychisch war es jedoch für viele sehr fordernd und schlimm, denn wir hatten große Angst." Der Verein berichtet "von der Wahrnehmung einer außerordentlichen Bedrohungs- und Angstsituation. Die psychischen Folgen halten weiter an."
Die Spieler geben zu Protokoll, dass sie aus Angst um ihr Leben in Richtung Spielertunnel gerannt seien. Die beschuldigten Spieler hätten dabei einen Mitspieler vor einem Faustschlag des Fans geschützt. "Die Handlungen unserer Spieler dienten der Selbstverteidigung bzw. der Nothilfe für Mitspieler. Auch Spieler dürfen sich zur Wehr setzen", heißt es aus Leipzig.
Sollte es zu einem Schuldspruch und einer Sperre gegen die entsprechenden Spieler kommen und Chemie dadurch einen sportlichen Nachteil erleiden, werde der Klub alle rechtlichen Mittel ausschöpfen, heißt es aus Leipzig. Man werde dazu "den Weg über reguläre, staatliche Gerichte bestreiten".
Hintergrund der Feindschaft zwischen dem Halleschen FC und der BSG Chemie sind unter anderem die engen freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Fanszenen der Hallenser und dem Lokalrivalen der Leutzscher: dem 1. FC Lokomotive Leipzig. Vertreter des Regionalliga-Klubs aus Leipzig-Probstheida waren auch beim Freitagabendspiel mit einer Zaunfahne präsent. Unter den Heimfans, die den Platz stürmten, befanden sich auch Fans mit blau-gelben Sturmmasken und Schlauchschals - den Farben von Lok. Das als Hochsicherheitspartie eingestufte Derby hatte in einer überaus hitzigen Atmosphäre stattgefunden.
"Provokationen aus dem Gästeblock"
Bereits kurz nach Anpfiff war es zwischen Gäste- und Heimfans zu Scharmützeln am Gästeblock gekommen. Der HFC schreibt von vermummten Gästeanhängern, die unmittelbar nach Einlass "die ersten Polenböller" zündeten und in der Folge auch Schlossanlagen an Fluchttüren aufbrachen, "offenbar um dem Übergang zum Heimbereich zu erzwingen". Das sofortige Eingreifen von Ordnungsdienst und Polizei habe einen Durchbruch verhindert. Immer wieder war es vor Anpfiff zu Böllerwürfen in Richtung des Heimbereichs gekommen. Auch Leuchtspurmunition war in Richtung der HFC-Fans geschossen worden. Dabei waren nach Polizeiangaben ein Heimfan und ein Ordner verletzt worden. Während des Spiels sei es zu weiteren "Provokationen aus dem Gästeblock" gekommen, sagt der HFC.
Chemie Leipzig verurteilte das Fehlverhalten von Personen im Gästeblock "in aller Schärfe" und sprach davon, dass sowohl Heim- sowie Gästefans "Pyrotechnik als Waffe gegen Menschen" eingesetzt hatten und die Gästefans aus Leipzig sich dabei einmal auch gegen HFC-Fans gerichtet hätten, "die in keiner Weise an den gegenseitigen Provokationen zwischen HFC- und Chemie-Anhängern beteiligt waren."
Quelle: ntv.de, sue/ter