Fußball

Unterklassig statt DFB-Team Wie Fußball-Talente in Vergessenheit geraten

Sören Bertram (M.) spielt heute beim FC Erzgebirge Aue. Von der Nationalmannschaft kann er nur noch träumen.

Sören Bertram (M.) spielt heute beim FC Erzgebirge Aue. Von der Nationalmannschaft kann er nur noch träumen.

(Foto: imago/Picture Point)

Jedes Jahr gibt es einige junge Fußballer, die in der Bundesliga auftauchen und als die Stars der Zukunft gelten. Viele von ihnen sind wenig später bereits vergessen. Auch der Fußball schreibt eben nicht nur Erfolgs-Geschichten.

Fast 20 Journalisten drängelten sich in der Mixed-Zone an die Absperrung, als Jann-Fiete Arp Ende November seine erste Interviewrunde nach einem Bundesligaspiel geben durfte. Der noch nicht einmal 18-jährige Stürmer des Hamburger SV gilt momentan als eines der größten Talente Deutschlands. Er füllt die Titelseiten, ist der Liebling der Fans und der große Hoffnungsträger des Traditionsvereins. "Ich genieße das so gut ich kann und versuche, mich mit der Situation zurechtzufinden", sagt er über den Hype um seine Person.

Sören Bertram beobachtet den Trouble aus der Ferne. Heute steht der Offensivspieler beim Zweitligisten FC Erzgebirge Aue unter Vertrag. Früher war er selbst die große Nachwuchshoffnung des Hamburger SV. Genauso wie Arp war auch er U-Nationalspieler und gewann die Fritz-Walter-Medaille als eines der größten Talente Deutschlands. "Ich musste tatsächlich schon einige Male daran denken, dass es bei mir ähnlich war", sagt der 27-Jährige. "Arp ist allerdings viel weiter als ich es in dem damaligen Alter war - gerade charakterlich."

Bertram schaffte den Sprung zu einem gestandenen Bundesligaprofi nicht. Nur zwei Einsätze in der 1. Liga und ein Einsatz in der Europa League sprangen heraus. Der Ruf als Top-Talent, er bekam die Fritz-Walter-Medaille im selben Jahr wie Mario Götze und Marc-André ter Stegen, war für ihn rückblickend mehr Fluch als Segen. "Vielleicht konnte ich damit als junger Spieler noch nicht richtig umgehen. Das ist ein Lernprozess", sagt er. "Vielleicht habe ich im Unterbewusstsein gedacht: Ich spiele U-Nationalmannschaft, ich habe die Fritz-Walter-Medaille bekommen - möglicherweise macht man dadurch im Training einen Schritt weniger."

Trotz Auszeichnung nur in 3. Liga

Verliert ein junger Profi den Anschluss an das Top-Niveau, geht es schnell bergab. Bertram wurde bis in die 3. Liga durchgereicht - auch aufgrund gesundheitlicher Probleme. Erst beim Halleschen FC wurde er Stammspieler und empfahl sich dank dreier guter Spielzeiten für höhere Aufgaben. Nun ist er immerhin ein etablierter Zweitligaspieler.

Marc-André Kruska bekam einst massig Vorschusslorbeeren.

Marc-André Kruska bekam einst massig Vorschusslorbeeren.

(Foto: imago/Team 2)

Das ist keine Selbstverständlichkeit. Einige Gewinner der Fritz-Walter-Medaille blieben trotz vieler Vorschusslorbeeren auf der Strecke. Ein Beispiel: Als die Medaille im Jahre 2005 erstmals verliehen wurde, gewannen Florian Müller, Marc-André Kruska und Sergej Evljuskin die Auszeichnung in Gold und galten somit als das größte Talent ihres Jahrgangs. Nur einer von ihnen, nämlich Kruska, hat es bis in die Bundesliga geschafft. Evljuskin kam über die 3. Liga nie hinaus. Müller wiederum hatte zwar einige Zweitligaspiele, konnte sich aber nie etablieren und beendete seine Karriere mit 27 Jahren.

Grote: Europameister mit Özil und Neuer

Dennis Grote gewann nie die Fritz-Walter-Medaille, wurde dafür aber im Jahr 2009 U21-Europameister. Seine Mannschaftskameraden hießen unter anderem Manuel Neuer, Mesut Özil, Sami Khedira, Mats Hummels und Jerome Boateng. Sie alle spielen heute bei internationalen Top-Vereinen. Grote hingegen kämpft mit dem drittklassigen Chemnitzer FC gegen den Abstieg in die Regionalliga. "Sicherlich hatten diese Spieler etwas mehr Qualität als ich", sagt Grote über seine früheren U21-Kameraden.

Auch Dennis Grote spielt heute unterklassig - und ist zufrieden.

Auch Dennis Grote spielt heute unterklassig - und ist zufrieden.

(Foto: imago/Picture Point)

Auch Grote hat in jungen Jahren erstklassig gespielt, kam auf 69 Bundesliga-Einsätze für den VfL Bochum. Sein Stern sank mit dem Abstieg im Jahr 2010. Der damalige Trainer Friedhelm Funkel wollte den Mittelfeldspieler gegen dessen Willen zum Linksverteidiger umschulen. Grote wechselte daraufhin im Winter zum Liga-Konkurrenten FC Rot-Weiß Oberhausen - und stieg in die 3. Liga ab. "Das war ein Knackpunkt", sagt er heute. Plötzlich stand er ohne Vertrag da. Frühere Erfolge hatten keine Relevanz mehr. "Fußball ist ein schnelllebiges Geschäft. Manchmal braucht man nur vier oder fünf gute Spiele, um einen neuen Vertrag zu bekommen. Andersherum genügen ein paar schlechte Spiele oder eine Verletzung, um in Vergessenheit zu geraten", weiß er.

Arbeitslosigkeit statt Real Madrid

Ein halbes Jahr war Grote vereinslos. Und das zu einer Zeit, als seine ehemaligen U21-Kollegen Özil und Khedira gerade bei Real Madrid spielten. Grote absolvierte ein Probetraining bei dem englischen Zweitligisten Leeds United, wurde aber wieder nach Hause geschickt. "Eine Erklärung dafür bekommt man als Fußballer nicht. Da heißt es einfach, schön, dass sie da waren und tschüs", erzählt er.

Kaum vorstellbar, dass Jann-Fiete Arp in der Versenkung verschwindet.

Kaum vorstellbar, dass Jann-Fiete Arp in der Versenkung verschwindet.

(Foto: imago/DeFodi)

Bei seinem Heimatverein Preußen Münster bekam er eine neue Chance, wechselte später zum MSV Duisburg, dann nach Chemnitz. Auch wenn er wohl nie wieder in der Bundesliga zu sehen sein wird, ist der 31-Jährige mit seinem Leben als Fußballprofi glücklich. "Natürlich denkt man manchmal darüber nach, was hätte anders laufen können. Aber in der Karriere eines Fußballers hängt viel davon ab, ob man zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist", erzählt er. "In der 3. Liga macht das Fußballspielen auch viel Spaß. Man wird zwar nicht reich damit, ist aber Profi, trainiert unter professionellen Bedingungen, wird medial wahrgenommen und spielt vor vielen Zuschauern."

Vom U-Nationalspieler in die 6. Liga

Diese Erlebnisse blieben Dennis Richter verwehrt. Der 22-Jährige spielt heute beim Buxtehuder SV in der sechstklassigen Landesliga Hansa. Dabei zählte auch er einmal zu den Top-Talenten des Landes. Richter spielte für die deutsche U15- und U18-Nationalmannschaft - zusammen mit den heutigen Bayern-Stars Joshua Kimmich und Niklas Süle.

Seine eigene Karriere geriet bei den A-Junioren des HSV ins Stocken. Die Mannschaft spielte gegen den Abstieg. Wiederkehrende Probleme mit dem Rücken und dem Knie warfen ihn zurück. "Letztendlich wurden nur zwei Spieler aus der U19 des HSV in die U23 befördert. Ich war nicht dabei", erzählt er. Richter versuchte sein Glück beim Regionalligisten Lüneburger SK, wollte sich für höhere Aufgaben empfehlen. Doch bereits nach zwei Einsätzen kehrte das Verletzungspech zurück. Der Traum vom Profifußball zerplatzte. "Anfangs fiel es mir schwer, das zu akzeptieren. Wenn man schon für die Nationalmannschaft gespielt hat, ist es schwierig, damit abzuschließen", gibt er zu. Heute ist Fußball nur noch ein Hobby für ihn. Mit diesem Schicksal steht er nicht alleine da: Nur 30 bis 40 Prozent aller U-Nationalspieler schaffen den Sprung in die 1. oder 2. Liga.

Karrieren verlaufen nicht immer wie geplant. Verletzungsprobleme, der falsche Trainer oder ein unglücklicher Vereinswechsel können eine Laufbahn in die Sackgasse führen. Heute ist es absolut undenkbar, dass Mega-Talent Arp irgendwann in der 2. oder 3. Liga spielt. Andererseits: Bei Sören Bertram und Dennis Grote war das auch nicht unbedingt zu erwarten.

Quelle: ntv.de

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