EM-Gruppe F unter der n-tv.de-Lupe Wilde Wikinger, Ronaldo - und Porno-Marko
06.06.2016, 09:12 Uhr
Kicken kann er ja; Cristiano Ronaldo.
(Foto: AP)
In Österreich ist die Euphorie nach der ersten Qualifikation für eine Fußball-EM so groß, dass die Fans vom Titel träumen. Portugal scheitert an altbekannter Schwäche und Island hat mehr als wilde Wikinger. Und dann ist da noch Ungarn.
Gestatten, Portugal
Portugal, ach Portugal - es könnte doch alles so gut sein. Technisch können die Herren Nani, João Moutinho und João Mário alle überdurchschnittlich gut fummeln, kombinieren und tricksen. Und mit Cristiano Ronaldo steht da auch in einer in vorderster Spitze, der die Vorleistungen seiner Teamkollegen veredeln kann. Aber jener Cristiano Ronaldo, der bei Real Madrid einen Torrekord nach dem nächsten aufstellt, steht sinnbildlich für das Dauer-Dilemma der Südeuropäer. Sie haben - wir zitieren hier nur Titan Oliver Kahn - keine "Eier".
Dienstag, 14. Juni
18 Uhr, Bordeaux: Österreich - Ungarn
21 Uhr, Saint-Étienne: Portugal – Island
Samstag, 18. Juni
18 Uhr, Marseille: Island - Ungarn
21 Uhr, Paris: Portugal – Österreich
Mittwoch, 22. Juni
18 Uhr, Lyon: Ungarn - Portugal
18 Uhr, Paris: Island - Österreich
Niemand im Kader, auch nicht der weltbeste Kicker, ist in der Lage, eine Mannschaft mitzureißen, sie aufzurichten. Wenn's nicht läuft, dann läuft's eben nicht. Damit finden sich die Portugiesen nur allzu schnell ab. Das Problem daran: Die Frustbewältigung darüber findet bei dem einen oder anderen Hitzkopf, unter anderem bei Real Madrids Innenverteidiger Pepe, in Form von ziemlich unbeherrschten Aktionen statt.
Nützliches Wissen für Ahnungslose: Die EM 2004 in Portugal ist die bis heute einzige, die ein gleiches Eröffnungs- und Endspiel hatte, nämlich: Portugal gegen Griechenland. Und jetzt nicht auf dünnes Eis begeben und sich mit dem Europameister Portugal entlarven lassen: Nein, Griechenland gewann das Championat. Mit 1:0 durch ein Tor des Ex-Bremers Angelos Charisteas.
Gestatten, Island

Herz und Hirn der Mannschaft: Gylfi Sigurdsson, links, hier mit dem Kollegen Aron Einar Gunnarsson.
(Foto: AP)
Denken Sie sich einfach genau das Gegenteil von dem, was sie gerade gelesen haben: Island ist das Anti-Portugal schlechthin. Fußballerisch deutlich limitierter als die Ballstreichler von der iberischen Halbinsel, sind die kantigen Nordeuropäer Sammer'sche Mentalitätsmonster. Rennen, kämpfen, köpfen - so etwa lässt sich die Erfolgsformel der 'son-Männer (nur ein Spieler im Kader endet nicht auf -son) stark verkürzt beschreiben. Doch wer jetzt eine wütende, alles niederknüppelnde Wikingerbande vermutet, der irrt. Denn auch Island, das in etwa genauso viele Einwohner zählt, wie Bielefeld, hat wirklich gute Fußballer hervorgebracht. Zum Beispiel Gylfi Sigurdsson, der Ex-Hoffenheimer und aktuelle Swansea-Profi ist Herz und Hirn der Mannschaft, technisch gut ausgebildet schlägt er sehr gefährliche Standards. Potenzielle Abnehmer sind die beiden Bundesliga-Profis Alfred Finnbogason (FC Augsburg) und Jon Bödvarsson (1. FC Kaiserslautern) und Eidur Gudjonsen (Molde FK). Der ist zwar schon 37 Jahre alt und spielt nur noch in der ersten norwegischen Liga, gilt aber nach wie vor als bester Fußballer den das Land je hervorgebracht hat. Mit dem FC Chelsea gewann er die englische Meisterschaft und mit dem FC Barcelona sogar die Champions League.
Nützliches Wissen für Ahnungslose: Die Isländer sind für die Geburt des "Weizenbier-Waldi" verantwortlich. Nach einem 0:0 der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen die Inselkicker im September 2003 attackierte der damalige Nationaltrainer Rudi Völler seinen Interviewpartner Waldemar Hartmann mit den Worten: "Du sitzt hier locker und bequem auf deinem Stuhl, hast drei Weizenbier getrunken..."
Gestatten, Österreich
Jaja, die Österreicher, sie trauen ihrer Mannschaft, Obacht, den Titel zu! Ja, seid's denn narrisch, liebe Nachbarn? Nein, sind sie nicht. Denn der Kader, den sich Ex-Bochum-Trainer Marcel Koller da zusammengestellt hat, ist ganz schön gut. So gut, wie noch nie vielleicht. Unbestrittener Boss der Mannschaft ist Bayerns David Alaba. Kaum ein Spieler, vielleicht noch Philipp Lahm, wurde von Münchens scheidendem Coach Josep Guardiola so heftig und überschwänglich gelobt, wie der 23-Jährige. Nun, das heißt ja per se nix, denn auch Mario Götze gehörte ja zu jenen Kandidaten, bei den sich der Katalane vor Superlativen beinahe einnässte. Aber anders als bei Götze und Co. dürfen die Lobhudeleien bei Alaba durchaus ernstgenommen werden. Denn der Außenverteidiger macht die großen Vereine in ganz Europa, trotz Slapstick-Eigentor zuletzt gegen Malta, verrückt. Jüngst fühlte Real Madrid vor, ob ein Vereinswechsel möglich sei. Doch die Lichtgestalt des Alpenfußballs ist kein Solist im Knabenchor, er hat ein paar Jungs an seiner Seite, die international auf hohem Niveau konkurrenzfähig sind. Zum Beispiel Christian Fuchs, der gerade erst mit Sensationsmeister mit Leicester City in England wurde, oder Stokes geläuterter Außenstürmer Marko Arnautovic (siehe unten). Lediglich eine Position dürfte dem Trainer Sorgen bereiten. Im Sturmzentrum steht mit Marco Janko nur ein halbwegs treffsicherer Stürmer zur Verfügung, dahinter lauern mit Hansi-Hinterseer-Enkel Lukas (Ingolstadt) und Rubin Okotie (1860 München) eher Spieler aus der Kategorie "Kannste bringen, musste aber nicht."
Nützliches Wissen für Ahnungslose: Österreich nimmt erst zum vierten Mal an einer EM teil. Aber während die ÖFB-Auswahl bei den ersten beiden Titelkämpfen 1960 und 1964 gesetzt war, beziehungsweise ein Freilos erhielt und 2008 als Gastgeber automatisch teilnahmeberechtigt war, gelang jetzt erstmals die sportliche Qualifikation.
Gestatten, Ungarn
Tja, plötzlich sind sie da und die Fragezeichen groß. Was kann diese Mannschaft des deutschen Trainers Bernd Storck? Je nachdem welche Fachlektüre man studiert, bilden sich die folgenden Qualitäten heraus: Pressing (aber nicht über 90 Minuten) und Standards. Klingt erst einmal nicht besonders viel - und ist es vermutlich auch nicht. Der Mannschaft fehlt ein herausragender Spieler. Die meisten Akteure spielen in der zweitklassigen heimischen Liga oder im Ausland, sind da aber nur selten Stammspieler, siehe Adam Szalai (Hannover 96) oder Laszlo Kleinheisler (Werder Bremen). So konzentriert sich fast alles auf Bursaspors Mittelfeldmann Balazs Dzsudzsak. Der hat zwar keine besonders gute Saison hinter sich, tritt aber technisch anspruchsvolle und gefährliche Standards. Nun, belassen wir es dabei und freuen uns, dass Ungarn nach exakt 30 Jahren mal wieder an einem großen Turnier teilnimmt. Beim 0:2 im Testspiel gegen die deutsche Mannschaft am Samstag in Gelsenkirchen deutete wenig darauf hin, dass ihnen in Frankreich der ganz große Wurf gelingt.
Nützliches Wissen für Ahnungslose: Ungarn gelang vor 34 Jahren bei der Weltmeisterschaft in Spanien der höchste WM-Sieg aller Zeiten. Mit 10:1 überrollten die Magyaren El Salvador. Drei Tore steuerte László Kiss bei - ein weiterer Rekord. Kiss ist damit nämlich der einzige Einwechselspieler bei Weltmeisterschaften, der drei Tore in einem Spiel erzielte.
Auf diesen Spieler müssen Sie achten
Marko Arnautovic. Einst lieferte er sich auf der A1 illegale Autorennen mit Kumpel Eljero Elia bei Werder Bremen. Einst erklärte er einem Polizisten während einer Verkehrskontrolle, dass er dessen "Leben kaufen könnte." Einst ließ er sich von einem Komiker überraschen, der sich am Telefon als Nationaltrainer ausgab und ihm erklärte, dass er wegen Pornofilmen nicht mehr zum ÖFB-Aufgebot gehöre. All diese mal mehr, mal weniger lustigen Eskapaden hat Arnautovic mittlerweile hinter sich gelassen und sich auf das besonnen, was er eigentlich mal gelernt hat: Nämlich verdammt gut Fußball spielen. In dieser Saison gelang dem technisch so versierten 27-Jährigen starke 17 Scorerpunkte für Stoke City, was ihn zu einem der besten Außenstürmer der Premier League macht – und zum Hoffnungsträger für Österreich.
Wie geht die Gruppe aus?
1. Österreich
2. Island
3. Portugal
4. Ungarn
Quelle: ntv.de