365 Tage nach Klinsmann Van Gaals Bayern trumpfen auf
28.04.2010, 12:33 UhrAusgerechnet am ersten Jahrestag der Entlassung Jürgen Klinsmann liefern der FC Bayern und sein Trainer Louis van Gaal ihr vorläufiges Meisterstück ab – und stehen nach dem 3:0-Sieg in Lyon im Finale der Fußball-Königsklasse. Das ist eine Überraschung. Was ist bloß passiert?

Welch ein Spaß: Thomas Müller, links, und Miroslav Klose feiern den Torschützen Ivica Olic.
(Foto: dpa)
Mit dem FC Bayern ist es wie mit dem kleinen Neffen, den man lange nicht gesehen hat – und ihn dann beim Wiedersehen begrüßt: "Junge, bist Du aber groß geworden!" Wären wir im vergangenen Jahr extraterrestrisch unterwegs gewesen und hätten die Entwicklung der Münchner nicht verfolgt – wir wären ernsthaft überrascht, zumal ihr Vorstoß in die Elite Europas weit weniger vorherzusehen war als das altersgemäße Wachstum des Neffen. "Jungs, Ihr spielt aber tollen Fußball." Und das sagen wir, obwohl wir uns den FC Bayern und ihren Trainer Louis van Gaal Woche für Woche ganz genau angesehen haben.
Ein Jahr nach der Entlassung von Jürgen Klinsmann hat Louis van Gaal im Stade Gerland zu Lyon mit dem 3:0-Sieg des FC Bayern bei Olympique im Halbfinal-Rückspiel der Champions League sein vorläufiges taktisches Meisterstück in seiner zehnmonatigen Amtszeit geliefert. Genau 365 Tage ist es her, dass Jürgen Klinsmann am 27. April 2009 in seinem schwarzen Audi Q7 das Vereinsgelände an der Säbener Straße verließ, die Entlassungspapiere im Handschuhfach und im Kofferraum die Trümmer seines gescheiterten, nur zehn Monate dauernden Projekts. Am Ende der Saison stand der ruhmreiche FC Bayern ohne Titel da, gescheitert an den eigenen Ansprüchen und daran, dass sie von Konzepten redeten, aber den schnellen Erfolg wollten. Wie das so ist im Fußballgeschäft, erst Recht in München.
Jürgen Klinsmanns letzte Worte als Trainer der Bayern waren, dass er "den Grundstein für die Zukunft gelegt" habe. So gesehen ist der Erfolg der aktuellen Mannschaft ein später Triumph, auch wenn ein kausaler Zusammenhang, wie das so ist im Fußball, schwer nachzuweisen ist. Aber es war Jürgen Klinsmann, der im Sommer 2008 Ivica Olic vom Hamburger SV an die Isar holte. Und der hat die Bayern mit seinen drei Toren am Dienstag in Lyon ins Finale der obersten europäischen Fußballklasse geschossen. Damit sind die Münchner viel schneller und viel eher dort, wo sie ihrer Meinung nach hingehören. Und das ist eine Überraschung.
"Wir haben noch nichts gewonnen"
Und so ist Louis van Gaal schlau genug, auch in der Stunde des Triumphes vor zu viel Selbstzufriedenheit zu warnen. "Wir haben noch nichts gewonnen. Wir können noch alles verlieren." Der Mann hat Recht, die Voraussetzungen aber sind gut. Vier Spiele noch, vier Samstage noch – und der FC Bayern könnte sich als Dreifachsieger feiern lassen. Zunächst stehen die Spiele in der Bundesliga gegen den VfL Bochum am kommenden Samstag ab 15.30 Uhr und bei Hertha BSC am 8. Mai ab 15.30 Uhr an. Gewinnen die Bayern beide, sind sie Deutscher Meister. Am Samstag, 15. Mai ab 20 Uhr folgt das Finale im DFB-Pokal gegen Werder Bremen, eine Woche später das Champions-League-Endspiel in Madrid ab 20.45 Uhr.
Vielleicht aber ist Louis van Gaal auch deshalb so zurückhaltend, weil er weiß, wie schmal der Grat war, auf dem er in den vergangenen zehn Monaten gewandelt ist. Schließlich wäre auch er wie Jürgen Klinsmann beinahe an dem Anspruch gescheitert, einerseits eine Mannschaft mit Perspektive aufzubauen, andererseits den schnellen Erfolg zu garantieren. Im Krisenherbst 2009 fragte sich selbst der geneigte Beobachter, wohin dieses langweilige Kurzpass-Ballgeschiebe führen soll. Seine Bilanz nach hundert Tagen: acht Spiele, zwölf Punkte und nur Tabellenrang acht in der Bundesliga. Und in der Champions League drohte dem FC Bayern zum ersten Mal seit sieben Jahren das Aus bereits in der Vorrunde. Die Mannschaft, so schien es, war drauf und dran, bereits im November die ganze Saison zu verspielen. Das es nicht so kam, hat nicht nur mit Können, sondern auch mit Glück und Fügung zu tun.
Der Mann hat Recht behalten
Louis van Gaal jedenfalls ertrug die Diskussionen um seine Person und sein Spielsystem – und setzte stoisch darauf, dass die Zeit für ihn und die Mannschaft arbeitet. Dann kam das Spiel bei Juventus Turin. Die Bayern siegten nach einer Gala mit 4:1 und zogen ins Achtelfinale der Champions League ein. Und das Van-Gaal-System nahm Konturen an, in Lyon erreichte es seinen vorläufigen Höhepunkt: Jeder Spieler weiß, was er zu tun hat, jeder hat seine feste Position und rochiert nach einem festgelegten Muster. Das Ergebnis: schnelle Kombinationen, harte und saubere Flachpässe, viele Tore. Und die Gegner rennen nur hinterher – wenn sie den Zweikampf suchen, ist der Ball schon weg. Nun, hinterher, wissen wir: Louis van Gaal hat Recht behalten. Und der hatte in Lyon sogar noch Zeit für einen Scherz: "Zehn Monate mit Louis van Gaal leben - das ist nicht einfach." Aber vielleicht war das auch gar nicht witzig gemeint.
Es ist zwar eine Binse, dass es immer noch auf die Spieler ankommt, aber es ist sein System, das sie verinnerlicht haben und tragen. Drei Pärchen ragen dabei heraus: Kapitän Mark van Bommel und Bastian Schweinsteiger in der Zentrale im defensiven Mittelfeld, Arjen Robben und Franck Ribéry – oder wie in Lyon Hamit Altintop ("Jetzt muss ich mich mal für meine Spielintelligenz loben.") – auf den Flügeln sowie Ivica Olic und Thomas Müller im Angriff. Und so darf sich Louis van Gaal auch hinstellen und sagen: "Bayern kann jede Mannschaft schlagen. Wir haben eine großartige Leistung geschafft."
Beim Sieg in Lyon ist der FC Bayern München in so wuchtig, so kompakt, so leidenschaftlich und zugleich so effektiv wie lange keine deutsche Mannschaft mehr. Egal, gegen wen sie im Finale spielen werden, ob gegen Inter Mailand oder den FC Barcelona, sie gehen zwar immer noch als Außenseiter in diese Partie. Aber chancenlos sind sie nicht. "Jungs, Ihr spielt aber tollen Fußball."
Quelle: ntv.de