
Klinsmann grinste - das kam gar nicht gut an.
Vor zwanzig Jahren zählt Schalkes legendärer Manager Rudi Assauer den neuen Bundestrainer Jürgen Klinsmann heftig an und der DFB ist für ihn ein "Karnickelzuchtverein". Ein Interview, das große Wellen schlägt.
"Den achten Mann, der angefragt wurde, haben sie dann genommen!" Das Jahr 2005 fing für den neuen Bundestrainer Jürgen Klinsmann im fernen Orange County in den USA alles andere als entspannt an. Schalkes Manager Rudi Assauer ließ auch nach nur einer Niederlage in Klinsmanns ersten sieben Spielen als DFB-Coach nicht locker. Schon damals, als der Schwabe im Sommer 2004 nach dem Ausscheiden von Rudi Völler als Bundestrainer, nach einem längeren Auswahlprozess verpflichtet worden war, hatte Assauer die Entscheidung heftig und deutlich kritisiert: "Bei der Trainersuche haben sich DFB und DFL präsentiert wie ein Karnickelzuchtverein." Spöttisch hatte Assauer noch hinzugefügt: "Das ist eine Notlösung aus der achten Schublade. Eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für ehemalige Nationalspieler."
Tatsächlich hatte es im Sommer nach der katastrophalen Europameisterschaft in Portugal lange Diskussionen um die Nachfolge von Rudi Völler gegeben - oder wie Rudi Assauer die intensive öffentliche Suche mit gewohnt markigen Worten umschrieb: "Das Rumeiern ging mir auf den Keks". Als man schlussendlich doch noch zu einem Ende kam, waren nicht wenige etablierte Fußballoffizielle alles andere als glücklich über die Wahl von Jürgen Klinsmann als Bundestrainer. Coach Eduard Geyer merkte nicht ganz zu Unrecht an: "Es wurden so viele Pappnasen ins Spiel gebracht, da fragt man sich, warum kein Trainer aus dem Osten dabei war."
Doch die "falsche" Herkunft von Klinsmann war damals alles andere als das Hauptproblem des Weltmeisters von 1990. Seine unbekümmerte Art und seine neuen Trainingsmethoden stießen den alten Hasen im Geschäft auf. So meinte Bayerns Nachwuchscoach Hermann Gerland in den Anfangstagen von Klinsmann als DFB-Trainer: "Als das Gummiband-Training im Fernsehen kam, habe ich mich gefragt, ob wir den 1. April haben." Und auch sein Kollege Hans Meyer sparte nicht mit beißendem Spott: "Ich habe die Sorge, dass, wenn wir Fußball-Weltmeister werden sollten, Achtjährige anfangen, über Gummiringe zu springen."
Aufregung über "Grinse-Klinsi"
Doch nicht nur die neuartigen Methoden waren damals vor zwanzig Jahren ein Gesprächsthema in Fußball-Deutschland, das elektrisierte. Auch ein halbes Jahr nach der Verpflichtung von Klinsmann und seinen ersten Erfolgen als DFB-Coach ("Alles Momentaufnahmen!") hatte sich Schalker Manager Rudi Assauer noch immer nicht beruhigt. Besonders Klinsmanns Wohnort in den USA kritisierte Assauer in einem bemerkenswerten Interview mit der "Sport Bild" vehement: "Er hat das ganze Jahr über hier zu sein und sich jedes Spiel anzugucken." Auch wenn Stefan Effenberg zwischendurch den neuen Bundestrainer verteidigte ("Wenn er den WM-Titel holt, dann kann er sogar nach Hawaii ziehen"), sollte genau dieses Thema Klinsmann fast bis zum Schluss immer wieder einholen.
Denn nach der sportlich relativ entspannten Anfangsphase kamen mit den ersten Rückschlägen auch die Sorgen auf, dass Deutschland bei der Heim-WM katastrophal abschneiden könnte. Und als man dann Anfang 2006, nur wenige Wochen vor dem Start der Weltmeisterschaft, legendär bei einem Testspiel in Italien mit 1:4 unterging, schlug die nationale Presse kollektiv Alarm: "Fußball-Deutschland liegt 98 Tage vor der WM am Boden. Und was macht Bundestrainer Jürgen Klinsmann? Grinst und kichert im TV und bei der Pressekonferenz."
Und nicht nur die Medien gerieten in Panik, auch einige Politiker verloren kurzfristig den Verstand, als sie forderten, Bundestrainer Jürgen Klinsmann solle man vor den Bundesausschuss vorladen. Einzig Heiko Maas fand damals besänftigende Worte, als er ziemlich deutlich meinte: "Politiker, die sich aktiv in den Fußball einmischen wollen und einen solchen Schwachsinn fordern, sollten sich eventuell mal vom Amtsarzt des Bundestags auf die volle Zurechnungsfähigkeit untersuchen lassen. Vielleicht haben sie ja in ihrer Jugend zu viele Kopfbälle geübt."
"Nicht ständig in Kalifornien rumtanzen"
Da angesichts der brenzlichen Lage natürlich dennoch öffentlichkeitswirksam etwas getan werden musste, wurde eine "Taskforce" rund um den Vorsitzenden Uli Hoeneß wiederbelebt. Und der Bayern-Manager stieß dann auch in seiner ersten Stellungnahme nicht gerade zufällig genau in das Horn, in das Rudi Assauer bei seiner Abrechnung mit dem Bundestrainer ebenfalls schon geblasen hatte: "Der soll hierherkommen und nicht ständig in Kalifornien rumtanzen und uns hier den Scheiß machen lassen!"
Der Einzige, der damals in diesen stürmischen Zeiten für den deutschen Fußball ruhig blieb, war Jürgen Klinsmann selbst. Und das hatte wohl genau mit diesem weit entfernten Ort in den USA zu tun, den der Schwabe bewusst - trotz aller Kritik und Anfeindungen - beibehalten hatte, weil er schon im Januar 2005 wusste: "Ich brauche Gelassenheit für die WM 2006. Denn da kommen viel Druck und Stress auf uns zu." Eine bemerkenswerte Weitsicht, die am Ende wohl maßgeblich mit dazu geführt hat, dass Deutschland auch sportlich das berühmte "Sommermärchen" feiern durfte.
- Ben Redelings ist ein Bestseller-Autor und Komödiant aus dem Ruhrgebiet.
Jüngst ist das Buch "Ein Tor würde dem Spiel guttun. Das ultimative Buch der Fußball-Wahrheiten" frisch in einer aktualisierten und erweiterten Neuauflage erschienen!
Mit seinen Fußballprogrammen ist er deutschlandweit unterwegs. Infos & Termine auf www.scudetto.de.
Und bei all der heftigen Kritik, die Rudi Assauer damals vor zwanzig Jahren äußerte, zollte der Schalker Manager auch Respekt für die Arbeit des neuen Bundestrainers Jürgen Klinsmann: "Ich finde das prinzipiell richtig und gut, dass er seine Linie konsequent beibehält. Wenn er der Meinung ist, dass das für ihn wichtig ist, soll er das machen. Da muss er auch mal sagen: 'Okay, ich stoße auf Widerstand, aber ich ziehe das durch.' Davor ziehe ich den Hut!"
Schließlich hatten damals ohnehin alle nur ein Ziel: Den Titel des Fußball-Weltmeisters im eigenen Land holen! Das ging zwar bekanntlich knapp daneben, doch bis heute sind die Tage und Wochen im Sommer 2006 unvergessen. Und nachdem man unglücklich im Halbfinale gegen Italien gescheitert war, konnte sich Fußball-Deutschland einen anderen DFB-Trainer als Klinsmann eigentlich gar nicht mehr vorstellen. Doch der Schwabe hatte andere Pläne - und erzählte später einmal: "Der Kaiser hat gesagt: 'Mach ja weiter!' Und ich habe gesagt: 'Schau'n mer mal.'" Kurz danach trat er zurück - und flog nach Hause, in seine ferne Heimat Kalifornien!
Quelle: ntv.de