"Geschichte für Stefan Raab!" Das bizarrste Torhüter-Eigentor der Bundesliga
24.06.2023, 09:33 Uhr
Hatte sich einst fatal verschätzt: Tomislav Piplica.
In der Saison 2001/02 wurde Peter Neururer endlich erlöst, der 1. FC Köln übernahm einen alten Negativ-Rekord. In Leverkusen erlebten sie eine wundersame Spielzeit. Am Ende wurde Vizekusen dreimal Zweiter. Und in Cottbus sorgte ein Keeper für einen unvergesslichen Internet-Hit.
Peter Neururer war erleichtert. Endlich hatte eine Mannschaft seinen Rekord aus der Spielzeit 1992/93 gebrochen. Damals hatte sein Team, der 1. FC Saarbrücken, 964 Minuten keinen Treffer erzielt. Ein Rekord für die Ewigkeit, hatte Neururer damals befürchtet und freute sich nun umso mehr, diese "eigenartige" Bestmarke an den 1. FC Köln weitergegeben zu haben. Zuletzt hatte der FC am 14. Spieltag zu Hause gegen St. Pauli ein Tor erzielt. Nun, am 25. Spieltag, war Hertha BSC zu Gast in Köln. Als es nach sechs Minuten immer noch 0:0 stand, sangen die verzweifelten FC-Fans: "Und wir haben den Rekord, halleluja".
Saarbrücken hingegen war ihn los. Doch die Uhr tickte erbarmungslos weiter. Erst in der 75. Spielminute erlöste Thomas Cichon den Klub und seine Anhänger von dem bösen Tor-Fluch. Geschlagene 1.034 Minuten musste der 1. FC Köln auf einen Treffer warten. Am Ende stieg der FC in die zweite Liga ab. 26 Tore in einer kompletten Spielzeit waren einfach zu wenig für den Klassenerhalt.
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Die Bayern wedelten in der Saison 2001/02 hingegen mal wieder mit ihrem Scheckheft die Bundesliga ordentlich durcheinander. Erst zahlten sie an den Freiburger Sebastian Kehl ein "Darlehen" in Höhe von 1,5 Millionen Mark, weil er zugesagt hatte, demnächst zu den Münchnern wechseln zu wollen, und dann stellten sie dem Herthaner Sebastian Deisler einen Scheck über 20 Millionen Mark aus. Die Sache kam heraus, weil ein Bankangestellter den Fall öffentlich machte. Deisler zahlte die volle Summe an die Bayern zurück, als das Finanzamt erste Forderungen erhob. Bei Kehl stellte sich der Sachverhalt komplizierter dar, weil er schließlich doch einen anderen Arbeitgeber wählte und zu Borussia Dortmund wechselte. Die hatten durch den Börsengang offensichtlich noch mehr Geld zu verteilen als die Münchner.
Bereits in der Winterpause der Vorsaison hatte man beim BVB 29 Millionen Mark in Tomas Rosicky investiert, nun legte man weitere 21 Millionen für Jan Koller und über 50 Millionen für Marcio Amoroso auf den Tisch. Und es lief gut an für die Borussia. Amoroso schwärmte: "Wenn ein Tomas Rosicky in deiner Mannschaft steht, hast du als Stürmer einen Vertrag zum Toreschießen!"
Es wird bitter für Bayer
Neben dem BVB spielte auch Leverkusen eine sehr gute Runde. Bayer-Trainer Klaus Toppmöller wähnte im Erfolg sogar die Anhänger eines Rivalen im Titelkampf auf seiner Seite: "Ich komm ja viel rum, da gibt es sogar viele Bayern-Fans, die uns die Daumen drücken. Man kann sich ja auch totsiegen. Bayern war jetzt dreimal Meister, Pokalsieger, Champions-League-Gewinner, Weltpokal-Sieger. Wenn du die Spieler 100-mal im Fernsehen gesehen hast, kannst du die Gesichter nicht mehr sehen."
Und lange Zeit sah es für Bayer Leverkusen richtig gut aus im Meisterschaftsrennen. Noch nach dem 31. Spieltag hatte die Mannschaft von Klaus Toppmöller fünf Punkte Vorsprung auf Borussia Dortmund. Doch dann brach Bayer ein. Am 32. Spieltag unterlag man zu Hause 1:2 gegen Werder Bremen, während der BVB durch ein Tor von Amoroso in der 89. Minute 2:1 gegen den 1. FC Köln gewann. Die Sticheleien aus Dortmund wurden lauter und intensiver. "Am Ende gewinnt immer der Jäger", hieß es vonseiten des BVB, doch Toppmöller wischte solche Phrasen lächelnd beiseite: "An diese Kindergarten-Psychologie glaube ich nicht." Musste er aber schließlich doch.
Am 33. Spieltag verloren die Leverkusener mit 1:0 in Nürnberg, während der BVB 4:3 in Hamburg siegte. Zwar mit der Unterstützung des Schiedsrichters, wie HSV-Manager Beiersdorfer meinte ("Da fällt ein 2,02-Meter-Mann, als habe er Luftballons im Bauch. Und Fandel fällt darauf rein"), aber am Ende war das natürlich egal. Der BVB hatte die Tabellenführung übernommen und wollte sie nun selbstverständlich nicht mehr hergeben. Doch dafür mussten die Dortmunder im letzten Saisonspiel Werder Bremen schlagen. Lange Zeit sah es in dieser Partie nach der Bremer Führung durch Stalteri und trotz Kollers Ausgleich noch vor der Pause nicht gut aus. Doch als in der 74. Minute Ewerthon die Führung schoss, war das Spiel gelaufen. Der BVB wurde nach einer packenden Aufholjagd Deutscher Meister.
"Was habe ich verbrochen?"
Und in Leverkusen war man niedergeschlagen. Weil das Team innerhalb von elf Tagen nicht nur den Meistertitel verspielte, sondern auch das Champions-League-Endspiel gegen Real Madrid (1:2) und das Pokalfinale gegen Schalke (2:4) verlor, war Bayer nun endgültig zu Vizekusen geworden. In der Bundesliga hatte der Verein viermal in den letzten sechs Jahren den zweiten Platz in der Endabrechnung belegt. Ulf Kirsten, der schon ein Jahr zuvor in Unterhaching voller Pathos in der Stimme gefragt hatte: "Was habe ich verbrochen, dass ich nie Deutscher Meister werde?", war völlig aufgelöst.
Ein denkwürdiges Datum in der Fußball-Bundesliga war der 22. September. An diesem Tag stand in der Startformation von Energie Cottbus erstmals in der Liga-Geschichte kein einziger deutscher Spieler. Die Partie gewann der Gast aus München locker-leicht mit 3:0. Als die Begegnung abgepfiffen wurde, spielten an diesem Tag bei den Bayern übrigens ebenfalls neun Ausländer. Nur Torhüter Oliver Kahn und Michael Tarnat waren gebürtige Deutsche.
Und noch einmal Cottbus: Bis heute ist dieses Tor ein Internethit - und wurde millionenfach geklickt. Im April hatte der Cottbus-Profi Radoslav Kaluzny einen harmlosen Schuss des Gladbachers Marcel Witeczek abgefälscht. Der Ball machte anschließend eine hohe Bogenlampe, senkte sich unmittelbar vor der Torlatte wie ein schwerer Stein nieder und tropfte dann vom Hinterkopf des verdutzten bosnischen Torwarts Tomislav Piplica zum 3:3-Endstand ins eigene Netz. Nie zuvor hatte die Bundesliga ein bizarreres Torhüter-Eigentor gesehen! Der Keeper von Energie Cottbus war damals mehr als konsterniert: "Es ist meine Schuld. Ich habe gedacht, der Ball fällt auf die Latte." Doch Marcel Witeczek hatte direkt nach dem Spiel bereits eine Vermutung, dass dieser kuriose Treffer der Fußballgemeinde noch lange erhalten bleiben wird. Schmunzelnd meinte er: "Fast schon eine Geschichte für Stefan Raab."
"Die letzte Grätsche!"
Kuriose Randnotiz dieser Spielzeit: In Stuttgart gab am Anfang der Saison Trainer Felix Magath ein ganz besonderes Versprechen ab: "Der VfB ist meine letzte Station als Bundesliga-Trainer." Hätte er sich mal lieber am alten Philosophen Paul Gascoigne orientiert: "Ich mache nie Voraussagen und werde das auch niemals tun." Wie wir heute wissen: Noch zwanzig Jahre später sollte er der Bundesliga erhalten bleiben.
Und zum Schluss ein trauriger Abschied: Jürgen Kohler hing die Schuhe an den berühmten Nagel. Der "Fußballgott" ging nach 398 Bundesligaspielen, und der "kicker" titelte ihm zu Ehren voller Pathos: "Die letzte Grätsche!" Zum Schluss verriet Jürgen Kohler noch ein Geheimnis über sein Verhältnis zu Udo Lattek: "Ich bin Halbwaise und hätte mir einen wie ihn als Vater gewünscht." Der erfolgreiche Bundesliga-Trainer zeigte sich gerührt.
Quelle: ntv.de