"Am liebsten würde ich losheulen" Olympia-Fiasko schockt Boll

Wenn Olympia beginnt, endet bei Timo Boll die Lockerheit. Resultat ist meist ein frühes Aus für den Mitfavoriten.

Wenn Olympia beginnt, endet bei Timo Boll die Lockerheit. Resultat ist meist ein frühes Aus für den Mitfavoriten.

(Foto: EPA)

Timo Boll und Olympia - das passt nicht. Auch im vierten Anlauf verpasst der Tischtennis-Star die ersehnte Einzel-Medaille. Und wieder einmal scheitert der beste Nicht-Chinese der Welt an einem Nicht-Chinesen. "Verkrampfung" lautet ein Erklärungsversuch des 31 Jahre alten WM-Dritten. Ein anderer: Tischtennis bei Olympia ist für ihn "wie ein anderer Sport".

Timo Boll bewahrte in einer der bittersten Stunden seiner Tischtennis-Karriere die Contenance. Dem WM-Dritten war zwar nach dem vorzeitigen Olympia-Aus in London eigentlich zum Heulen zumute, Gefühlsregungen dieser Art in der Öffentlichkeit sind dem 31-Jährigen eher fremd. Mit einem Lächeln, etwas gequält und süß-sauer, wie es der China-Freund beim Essen mag, beantwortete der hoch gehandelte und tief abgestürzte Rekord-Europameister die Fragen nach dem Warum.

"Verkrampfte Phasen habe ich öfters in einem Match, aber nicht, dass sich die Verkrampfung durch ein ganzes Spiel zieht", analysierte Boll die sensationelle 1:4-Pleite gegen den Rumänen Adrian Crisan im Achtelfinale. "Das ist eben typisch für Olympia", fügte er mit einem Hang zum Mystischen hinzu: "Das ist dann wie ein anderer Sport. Das bekomme ich einfach nicht gebacken." Der "Olympia-Fluch" zieht sich wie ein roter Faden durch seine Laufbahn. Die Hilfe eines Sportpsychologen hat der Mann, der so häufig die richtige Balance zwischen Nervosität und Druck findet, bisher nicht in Anspruch genommen.

"Timo ist mental stark"

Das hält Hans-Wilhelm Gäb, Ehrenpräsident des Deutschen Tischtennis-Bundes (DTTB) und Mentor des Weltranglisten-Siebten, auch nicht für nötig. "Timo ist mental stark. Sein nächster Sieg muss sein, mit dieser Niederlage fertig zu werden", sagte Gäb. "Das ist bitter, die Stimmung ist entsprechend", kommentierte Verbandspräsident Thomas Weikert die große Niedergeschlagenheit am Tag danach. Trotz einer optimalen Vorbereitung ohne große Verletzungen oder Erkrankungen verpasste der gebürtige Hesse zum vierten Mal nach 2000, 2004 und 2008 die ersehnte Einzel-Plakette.

Diesmal hieß die Endstation Adrian Crisan.

Diesmal hieß die Endstation Adrian Crisan.

(Foto: EPA)

Zum dritten Mal in Folge ging er als Mitfavorit in das  Einzel-Turnier - und scheiterte, bevor Edelmetall oder einer der gefürchteten Chinesen in Sichtweite kamen. 2004 endete der Traum im  Viertelfinale gegen Schwedens Jan-Ove Waldner, vier Jahre darauf in  Peking im Achtelfinale gegen Südkoreas Oh Sang Eun - und nun hieß die Endstation Adrian Crisan. Ob er 2016 in Rio die Medaillen-Lücke schließen kann, ist fraglich. "Alles ist möglich, aber in vier Jahren bin ich 35, da werden meine Chancen immer geringer", sagte Boll.

Die Uhr läuft langsam ab

Dabei ist Tischtennis auch ein Sport für Männer im vorgerückten Alter. Boll-Bezwinger Crisan (32) hatte in der Runde zuvor den 50-jährigen He Zhiwen (Spanien) besiegt, das Ü-40-Trio Jörgen Persson (Schweden/46), Zoran Primorac (Kroatien/44) und Jean-Michel Saive (Belgien/42) absolvierte in London das siebte Olympia-Turnier. Doch Boll wollte eigentlich kein "Tischtennis-Rentner" werden. "Die Familienplanung ist in den nächsten Jahren ein Thema. Die Uhr läuft", hatte der Düsseldorfer freimütig vor dem London-Turnier erzählt.

In der britischen Hauptstadt waren die Voraussetzungen so günstig wie nie. Erstmals durften nur zwei statt drei Chinesen mitspielen, und auch die Auslosung spielte ihm in die Karten. Crisan war früher ein Angstgegner, zuletzt hatte Boll bei der EM 2005 in Dänemark ein wichtiges Spiel gegen den Rumänen verloren. Beim Olympia-Test-Turnier in Rotenburg/Fulda konnte der Top-Star den Bremer Bundesligaspieler vor zehn Tagen mit 4:1 besiegen.

Das ganze Spiel weggebrochen

"Ich hatte Probleme mit meinem eigenen Aufschlag. Dann ist mir das ganze Spiel weggebrochen", haderte Boll. "Timos Aufschläge hatten nicht den gewohnten Effet", analysierte Bundestrainer Jörg Roßkopf. "Wir sind natürlich alle enttäuscht und sehr traurig um seinetwillen", erklärte Sportdirektor Dirk Schimmelpfennig.

Auf den Trainer- und Betreuerstab, zu dem auch der Sportpsychologe Carsten Schiel gehört, wartet eine Menge Arbeit. Boll, der ein oder zwei Tage im Selbstmitleid baden will, soll bis zum Beginn des Team-Wettbewerbs am Freitag gegen Schweden aufgebaut werden. "Ich werde mich zusammenreißen", versprach der Ausnahmesportler.

Aus der Heimat gab es überwiegend Zuspruch statt Kritik. "Kopf hoch, Timo", so beginnen fast alle Einträge auf seiner Facebook-Seite. Und auch Bolls schöner Satz "Ich habe noch nie gegen einen Chinesen ein Olympia-Einzel verloren" behält seine Gültigkeit. Der beste Nicht-Asiate der Welt muss weiterhin auf sein erstes Einzel gegen die besten Spieler der Welt warten - nach der erneuten Pleite ein schwacher Trost.

Quelle: ntv.de, dpa/sid

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