Tränen an Kumaritaschwilis Sarg "Warum habe ich dich überlebt?"

Letztes Geleit: Junge Sportler tragen den Sarg.

Letztes Geleit: Junge Sportler tragen den Sarg.

(Foto: REUTERS)

Fünf Tage nach dem tödlichen Unfall bei den Olympischen Winterspielen in Kanada wird die Leiche des georgischen Rodlers Nodar Kumaritaschwili in seine Heimat überführt. Bei der Ankunft des Sargs spielen sich herzzerreißende Szenen ab. Auch Kritik an den Olympiaorganisatoren wird laut, die dem jungen Rodler die Schuld an seinem tödlichen Unfall gegeben haben.

Mariam Kumaritaschwili am Sarg ihres toten Bruders.

Mariam Kumaritaschwili am Sarg ihres toten Bruders.

(Foto: AP)

Tief erschüttert und von schmerzvoller Trauer gezeichnet haben die Eltern des bei den Olympischen Winterspielen in Vancouver tödlich verunglückten Rodlers Nodar Kumaritaschwili den nach Georgien überführten Sarg mit dem Leichnam ihres Sohnes in Empfang genommen. Mutter Dodo weinte völlig aufgelöst, war dem Zusammenbruch nahe und rief verzweifelt: "Warum habe ich dich überlebt?" Sein Vater David sprach oft leise den Namen seines Sprösslings vor sich hin, als eine Ehrengarde junger Sportler den Holzsarg auf dem Flughafen von Tiflis in Georgiens weiß-rote Nationalflagge hüllte und der Familie für die Überfahrt in Kumaritaschwilis Heimatort Bakuriani übergab. Auch bei der Ankunft des Sargs in seinem Heimatdorf spielten sich herzzerreißende Szenen ab.

In dem 180 Kilometer von der georgischen Hauptstadt Tiflis entfernten Wintersport-Städtchen bleibt der Sarg für mehrere Tage im Haus der Familie aufgebahrt. Die Fassade des Hauses ist mit einem überdimensionalen Porträtfoto des Toten geschmückt. Am Samstag soll Kumaritaschwili mit einem Gedenkakt, zu dem auch Patriarch Ilia II. kommt, im Hof einer orthodoxen Kirche beigesetzt werden.

In Bakuriani trägt die Straße, in der er aufwuchs, künftig seinen Namen. Das entschied die Verwaltung des Ortes. Seine Eltern wohnen jetzt in der Nodar-Kumaritaschwili-Straße 32. "Mein Sohn war sehr tapfer", sagte Nodars Vater David mit tränenerstickter Stimme. "Von dieser Kurve, in der er starb, sprach er am Telefon. Diese Kurve ist sehr schwer, sagte er. Aber Angst? Angst hatte er nie."

"Nodars Tod ist ein großer Verlust"

Am Flughafen von Tiflis hatte mehrere Dutzend Menschen und Athleten dem Toten die letzte Ehre erwiesen. Zu den Trauernden gehörte auch Gewichtheber-Olympiasieger Georgi Asanidse: "Nodars Tod ist ein großer Verlust, nicht nur für Georgien, sondern für den Sport in der ganzen Welt. Nodar verdient jede denkbare Ehrung für sein heldenhaftes Opfer", sagte der Goldmedaillen-Gewinner von Athen 2004.

"Die Leute haben geweint - in Vancouver, in München und hier."

"Die Leute haben geweint - in Vancouver, in München und hier."

(Foto: AP)

Der Chef des georgischen Olympischen Komitees, Gia Natswlischwili, schämte sich nicht für seine Tränen. Er hatte den Sarg begleitet. "Hunderte haben uns in Vancouver verabschiedet, auch bei der Zwischenlandung in München kamen wildfremde Menschen auf uns zu", sagte der Funktionär. "Die Leute haben geweint - in Vancouver, in München und hier. Diese Reise werde ich nie vergessen."

Letzter Wunsch geht in Erfüllung

"Er wusste, dass es eine schwierige Stelle auf der Bahn gab, aber er hatte keine Angst": David Kumaritaschwili.

"Er wusste, dass es eine schwierige Stelle auf der Bahn gab, aber er hatte keine Angst": David Kumaritaschwili.

(Foto: REUTERS)

In Bakuriani hatten sich viele Einwohner der Stadt zum letzten Geleit für den im Alter von 21 Jahren Verstorbenen versammelt. Während Kumaritaschwilis Mutter und seine Schwester im Haus am offenen Sarg um ihren Angehörigen weinten, wiederholte David Kumaritaschwili gegenüber Journalisten seine Vorwürfe wegen der unzureichenden Sicherheitsvorkehrungen im Whistler Sliding Centre. "Er wusste, dass es eine schwierige Stelle auf der Bahn gab, aber er hatte keine Angst. Es war auch nicht Nodars Fehler", sagte Kumaritaschwili senior.

Sein Sohn habe davon geträumt, dass es in Bakuriani einmal eine Strecke für Rennrodler gebe, sagte David Kumaritaschwili. Nun soll dieser Wunsch in Erfüllung gehen. Präsident Michail Saakaschwili kündigte vor wenigen Tagen den Bau an - die Strecke wird Nodars Namen tragen. "Und die Kinder von Bakuriani werden dort trainieren können", sagte David Kumaritaschwili mit einer Mischung aus Trauer und trotzigem Stolz.

Offizielle Erklärung "eine Schande"

In Tiflis wurden auch kritische Stimmen laut. "Vor dem tragischen Lauf wurde die letzte Kurve der Bahn mit Tüchern verhängt, aber das wusste niemand vorher", sagte Felix Kumaritaschwili. Sein Neffe habe dadurch die Unglückskurve nicht richtig einsehen können. "Klar, erfahrene Sportler kennen die Strecke auswendig, aber Nodar war eben nicht so erfahren. Er war ja erst 21 Jahre alt." Wer aber sage, der Sportler sei ein schlechter Fahrer gewesen, liege falsch. "Nach dem ersten Lauf lag er auf dem zwölften Platz. Wenn er von den Tüchern gewusst hätte, wäre er vielleicht langsamer gefahren. Aber er wollte eben nicht langsam sein. Nodar träumte von einer Medaille."

Auch Sportfunktionär Irakli Dschafaritse ist zornig. "Es heißt, dass Nodar aus Unerfahrenheit und mangelnder Professionalität gestorben sei. Das ist eine Schande!" Dies seien bloß Ausreden der Olympia-Organisatoren, um die Verantwortung loszuwerden. "Alle machen Fehler - besonders Sportler. Und sollen Sportler wegen ihrer Fehler sterben?" Er hoffe auf künftig bessere Schutzmaßnahmen im Rennrodeln, sagte Dschafaritse. "Dann ist Nodar nicht umsonst gestorben."

Menschliches Versagen der Organisatoren

Nodar Kumaritaschwili war am vergangenen Freitag kurz vor der Eröffnungsfeier in Vancouver bei einem Trainingsunfall auf der Olympia-Bahn ums Leben gekommen. Der Pilot verlor in Kurve 16 die Kontrolle über seinen Schlitten und wurde gegen einen Stahlträger geschleudert.

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) und der Rodel-Weltverband FIL führten den Todesfall auf menschliches Versagen zurück, erhöhten nach dem Unglück allerdings auch die Sicherheitsmaßnahmen auf der Hochgeschwindigkeitsbahn.

Quelle: ntv.de, sid/AFP/dpa

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