
Unzertrennlich: Kena und ihr Rott.
(Foto: Ember Lab)
Liebenswerte Charaktere, eine bildgewaltige Welt und eine emotionale Story - diese Zutaten stecken sonst nur in Animationsfilmen von Disney und Pixar. Das mystische Action-Adventure "Kena: Bridge of Spirits" kann da vollends mithalten und hat noch einiges mehr zu bieten.
Flauschig, klein, riesengroße Kulleraugen, zuckersüß, aber mit enormer Kraft - das sind die Rott. Die kleinen Waldgeister folgen der Heldin in "Kena: Bridge of Spirits" auf Schritt und Tritt und sorgen für Faszination und haufenweise Schmunzler. Doch das Action-Adventure von Ember Lab hat viel mehr zu bieten als den feuchten Traum jedes Disney-Marketing-Managers. Neben einer mystischen Geschichte in einer atemberaubenden Welt kann das Gameplay zur echten Herausforderung werden. Ganz ohne Makel ist das Spiel allerdings nicht.
In der Third-Person-Perspektive schlüpft der Spieler in die Rolle von Kena, einer jungen Geisterführerin, die verlorene Seelen aus dem Dies- ins Jenseits überführt. Durch eine Explosion am heiligen Bergschrein hat sich Gift in den Wäldern verteilt, das böse Geister heraufbeschworen hat. Was am Gipfel passiert ist, muss Kena nun herausfinden. Gleich zu Beginn trifft sie die beiden drolligen Geister-Zwillinge Beni und Saiya, die sie zum Schrein führen wollen, sofern Kena ihren Bruder Taro befreien kann. Um den Geist von Taro samt seiner Geschwister ins Jenseits überführen zu können, muss Kena Relikte sammeln, die an ihn erinnern. Dabei stellen sich ihr böse Waldgeister entgegen.
Was vom Gift befallen ist, wird im Wald zu wundersamen Wurzelwesen und Steinkreaturen, die auf Kena losgehen. Meist gibt es eine zentrale Rankenpflanze, von der die Vergiftung eines bestimmten Abschnitts ausgeht. Zerstört man deren Knospe, reinigt das den befallenen Bereich. Um sich in der zauberhaften Welt zurechtzufinden, hat Kena einige spannende Fähigkeiten: Mit einem Energieimpuls kann sie Kristalle aktivieren, deren Energie die Wälder speist. So lassen sich beispielsweise Tore öffnen oder Rätsel lösen.
Daneben kann sie eine Energiekugel erzeugen, in der sie sich zwar nur äußerst langsam bewegt, aber für eine bestimmte Zeit vor Angriffen geschützt ist. Ein mit einem Kristall versehener Stab ist Schlagstock und Bogen in einem. Wirbelattacken und Hammerschläge werden so mit dem Abschießen von Geisterpfeilen kombiniert. Dazu kann sie kleine Energiebomben werfen, die Strukturen bei Gegnern und Umgebung kurzzeitig verändern können. Beispielsweise müssen Steinwesen in der Regel erst aufgesprengt werden, bevor man sie ausschalten kann.
In einem übersichtlichen Fähigkeitenbaum lassen sich die drei Waffen und der Schutzschild noch aufbessern und mit den Rott kombinieren. So lernt man im Verlauf des Spiels nützliche neue Attacken oder kann Pfeilbomben verschießen. Kenas Fähigkeiten alleine machen das Spannende am Gameplay aber nicht aus, sondern die Kombination mit den Rott. Die sind im Grunde zwar ängstlich, sobald sie aber genügend Mut gesammelt haben, werden sie nützlich und effektiv. Erleidet oder verteilt Kena im Kampf Schaden, wächst der Mut der Rott und deren Fähigkeiten werden aktiviert. Kena kann sie zur Ablenkung auf Gegner hetzen oder als Geschosse einsetzen. Erst Attacken mit Rott-Beteiligung machen so richtig Schaden.
Neben den Kämpfen braucht man die Rott auch um Rätsel zu lösen, beispielsweise um schwere Gegenstände zu bewegen. Denn im Laufe des Spiels findet Kena immer mehr Rott, die sich im Wald verstecken. Am Ende wird sie von einer kleinen Horde umringt. Und viele Kleine können am Ende Großes bewegen.
Sofern man nicht den Storymodus - also die niedrigste Stufe - als Schwierigkeitsgrad auswählt, ist Kenas Abenteuer vor allem in Kämpfen eine echte Herausforderung. Kleine Gegner sind oft kein Problem, Zwischen- und Endbosse aber meistens nicht im ersten Anlauf zu bezwingen. Ähnlich zu Spielen wie "Dark Souls" muss man erst Schwächen ausmachen und die Angriffsmuster lernen, um im richtigen Moment auszuweichen und zum Gegenschlag anzusetzen.
Auch die Rätsel sind an vielen Ecken nicht aus der Kategorie kinderleicht. Einfach durch die Story des Spiels zu rasen, funktioniert nicht. Der genaue Blick in die faszinierende und detaillierte Umgebung ist zwingend erforderlich, um verborgene Schalter oder Kristalle zu entdecken, die dann erst ein Voranschreiten ermöglichen.
Bei der tollen Optik im Spiel werden natürlich Erinnerungen wach. Der Pixar-Look ist ja nicht wegzudiskutieren. Liebenswerte Charaktere, eine atemberaubende Welt, eine emotionale Geschichte mit spirituellem Ansatz - das könnte auch aus dem so erfolgreichen Tochterunternehmen von Disney kommen. Bei Filmen endet das dann oft in Plüschtieren, Spielzeug oder sogar in Videospielform. Und ja, Kena und die Rott haben genau dieses Kuschel-Potenzial für Spielzeugläden. Das ist dann im Fall des Erstlingswerks von Ember Lab aber eher der Ritterschlag für Action-Adventures. Denn Pixar-Werke sind nicht umsonst das oberste Regal der Animationsfilme. "Kena: Bridge of Spirits" kann auf allen Eben mit den Werken des Animationsriesen mithalten. Dazu tragen vor allem die geniale Grafik, das bombastische Sounddesign und eine herausragende Synchronisation bei. Die Geschichte ist packend erzählt, die Mischung aus süß, liebenswert, mystisch und anspruchsvollem Gameplay geht voll auf - es ist der spielbare Pixar-Film sozusagen, ohne Disney-Beteiligung.
Die Schwächen im Spiel sind technischer Natur. Beim Test auf der PS5 kamen uns einige Bugs unter - und zwar der unschönen Natur. Wenn Kena plötzlich an Stellen landet, aus denen es kein Herauskommen mehr gibt, ist das noch erträglich. Ein weiterer Bug nach einem Bosskampf setzte unserem ganzen Durchlauf ein Ende: Das Spiel wechselte nach dem siegreichen Duell in die Ego-Shooter-Perspektive, das dabei erlangte story-vorantreibende Relikt war verschwunden. Selbst nach mehrfachen Laden des Spielstands ging es für uns an dieser Stelle nicht weiter. Der Bug ist den Entwicklern bekannt, tritt aber natürlich nicht in jedem Fall auf.
Ein dickes Plus ist dafür: Der Titel entfaltet sein ganzes bildgewaltiges Potenzial auch auf der Playstation 4. Die Entwickler haben das Maximum der alten Konsolengeneration rausgeholt. Auf der PS5 lässt sich noch zwischen 4K-Modus mit 30 Bilder pro Sekunde (FPS) und Performance Modus wechseln. Letzterer erlaubt 60 FPS, dafür wird das 4K-Erlebnis auf 1800p heruntergeschraubt. Das Bild ist so insgesamt noch etwas flüssiger. Für die schönsten Momente gibt es sogar noch einen Foto-Modus. Spürbare Unterschiede gibt es lediglich bei den Ladezeiten, denn auf der PS5 gibt es quasi keine.
"Kena: Bridge of Spirits" lohnt sich also egal auf welcher Plattform. Herausgekommen ist bei dem Debütprojekt von Ember Lab am Ende ein sehr geradliniges Spielerlebnis ohne Nebenquests, die auch nur von der tollen Hauptstory ablenken würden. Knifflige Rätsel und Kämpfe, gepaart mit einem ganz eigenen Charme und ein audiovisueller Augen- und Ohrenschmaus - bis zu 15 Stunden dauert die Kena-Erfahrung, die so viel mehr ist als ein spielbarer Pixar-Film.
"Kena: Bridge of Spirtis" ist über den Playstation Store oder Epic Games Store erhältlich.
Quelle: ntv.de