Erforschen, Expandieren, Ausbeuten und Vernichten - die Grundbedürfnisse jedes digitalen Chefstrategen werden in "Humankind" bestens bedient. Gleichzeitig wirbelt das Strategiespiel die Menschheitsgeschichte durcheinander und erlaubt Spielern damit mehr Flexibilität.
Am Ende steht sie da: ein Traum von einer Nation. Pulsierende Städte, gespickt mit Weltwundern wie dem Koloss von Rhodos und dem Eiffelturm. Dazu eine Gesellschaft, in der Harmonie zwischen mehreren Religionen, Kapitalismus und Nachhaltigkeit herrscht. Geprägt von Kulturen der Römer, Angelsachsen und Spanier. Eine Utopie, ganz klar. Aber im Strategiespiel "Humankind" gibt es zahllose Wege, die Entwicklung der Menschheit umzuschreiben.
Das Spiel aus dem Hause Amplitude führt rundenbasiert durch alle Epochen bis in die Gegenwart. Zwischen Krieg, Handel, Forschung und Diplomatie kann der Spieler andere Völker unterjochen oder evolutionstechnisch überholen. Und das macht den Charme von Humankind aus, auch wenn die französischen Entwickler in Sachen Innovationen nicht die ganz großen Wagnisse eingehen. Das 4X-System wird allerdings bestens und umfangreich bedient: explore, expand, exploit, exterminate. Also Erforschen, Expandieren, Ausbeuten und Vernichten.
Das Spiel startet in der frühen Steinzeit. Als nomadischer Stamm wird der Spieler zum Jäger und Sammler. Mammuts erlegen, die schicke Hexfeld-Karte erkunden, Ressourcen finden - und das so lange bis die eigene Kultur genug Erfahrung gesammelt hat, um sesshaft zu werden. Ab hier geht "Humankind" so richtig los. Der Spieler muss sich für eine Startkultur entscheiden und kann im Laufe des Spiels zwischen 60 verschiedenen Völkern auswählen. Das ergibt an die eine Million Kombinationsmöglichkeiten. Setzt man zu Beginn auf die Ägypter, werden Bauwerke rasch fertiggestellt, die Römer sind spezialisiert auf die Ausweitung des Territoriums, Phönizier setzen auf Handel. Aber das sind ja nur drei der möglichen Startszenarien.

Eine Stadt unter russischer Herrschaft mit dem Big Ben als Wahrzeichen. In "Humankind" zählt jedes Detail.
(Foto: Koch Media)
Der Spieler muss in erster Linie Territorien mit relevanten Ressourcen besetzen und sein Reich stetig vergrößern, dabei aber die Bedürfnisse des eigenen Volkes nicht vernachlässigen. Die einzelnen Städte können in ihrem Umland mit Bezirken bebaut werden und so für Nahrung, Industriegüter, Geld oder Forschungspunkte sorgen. Diese vier Basiselemente regeln den Wohlstand und das Vorankommen der eigenen Nation. Daneben gibt es noch relevante Ressourcen, die sich erst mit bestimmten Einrichtungen wie Bergwerken oder Ställen abbauen lassen.
Innerhalb der Stadt muss ebenfalls aufgerüstet werden: Stadtmauern, Brunnensysteme oder militärische Ausbildung - alles bringt seine Vor- und in manchen Fällen auch Nachteile mit sich. Leider werden diese Elemente in der Iso-Perspektive nur selten sichtbar im Stadtbild. Für jeden kleinen Fortschritt erhält der Spieler Ruhmpunkte. Wer nach einer bestimmten Rundenanzahl den meisten Ruhm eingestrichen hat, gewinnt die Partie. Bis zu zehn Spieler können die riesige Weltkarte bevölkern und um die Vorherrschaft ringen. Im Online-Modus kann man sich auch mit anderen Spielern messen.
Den letzten beißen die Hunnen
Schreitet das Volk in seiner Entwicklung voran und sammelt Fortschrittssterne für Bevölkerungswachstum, Handel oder auch Kriegsführung, steht die nächste Epoche an. Und hier kommt der feine Kniff bei "Humankind": Man darf mit jeder Epoche auch die Kultur wechseln. Das ergibt nicht nur einen schönen Mix am Ende, sondern ist auch ein taktisches Element, um seine Schwächen auszubalancieren. Denn die einzelnen Kulturen verfügen jeweils über unterschiedliche Boni. Hat man in der Antike als Seefahrervolk der Phönizier in militärischen Auseinandersetzungen Probleme mit den starken Einheiten der Gegner, kann man im Altertum auf die Durchschlagskraft der Hunnen oder Kelten vertrauen. Jede Kultur bringt dann eine neue Spezialeinheit und ein besonderes repräsentatives Gebäude mit sich - und dessen passive Eigenschaften bleiben über jede kommende Epoche erhalten. Es gibt allerdings keine Dopplung bei den Kulturen. Bedeutet: Wer sein Volk sehr schnell entwickelt, der hat die große Auswahl. Wer sich Zeit lässt, wählt aus den Kulturen, die noch übrig sind.
Zu Konflikten um Ressourcen und Territorien kommt es fast zwangsläufig. Dann trifft man sich auf dem Schlachtfeld wieder. Und in "Humankind" sind die Kämpfe sehr gelungen. Vor allem das Gelände spielt eine große Rolle. Es gibt auch hier je nach Beschaffenheit unterschiedliche Boosts für die Nah-, Fernkampf oder berittene Einheiten: Im Waldgebieten ist die Einheit für den Gegner schlechter zu erkennen und bekommt einen Bonus auf die Verteidigung. In Flussgebieten wird die Angriffskraft reduziert, weil die eigenen Kämpfer weniger mobil sind. Auch Höhenvorteile lassen sich in den rundenbasierten Duellen geschickt nutzen. So spielt die Auswahl des Schlachtfeldes schon vorab eine wichtige Rolle.
Die Eroberung anderer Territorien ist ein Weg zum Erfolg, ganz ohne Handel und Diplomatie geht es aber nicht. Denn einige Ressourcen liegen oft im Reich der Konkurrenz, werden aber benötigt, um bestimmte Fortschritte zu ermöglichen. So kann man in "Humankind" Handelsbündnisse schließen, Informationen über die Karte teilen, die Grenzen dicht machen oder auch Nichtangriffspakte ausmachen. Ein Weg die anderen Völker von der eigenen Kultur zu überzeugen, ist dann die Religion.
Zwar ist das System nicht ganz so ausgereift und tiefgreifend, aber dennoch ein wichtiges Element. Grenzregionen werden stets von mehreren Religionen beeinflusst und sollte die eigene religiöse Ausrichtung besonders stark und stabil sein, kann das die angrenzenden Regionen zum Überlaufen bewegen. Auch so ließe sich das eigene Territorium ausweiten. Überläufer verärgern aber in der Regel die Gegner. Entweder man kauft/handelt sich aus dem Groll der Kontrahenten heraus oder es bleibt erneut der militärische Konflikt.
Detail- und umfangreich
In irgendeinem Bereich sollte man dem Gegner in jedem Fall voraus sein. Der Bereich Forschung kann da entscheidend sein. Was mit der Erfindung des Rads beginnt, endet dann mit der Atombombe und letztlich mit einer bemannten Marsmission. Hier steuert der Spieler das Vorankommen und den Zugang zu bestimmten Gebäuden und Einheiten, die im Spiel gewichtige Vorteile bringen können. Gleichzeitig wird auch die Gesellschaft mit Innovationen und Gesetzgebungen stabilisiert.
Die KI in Runden gegen den Computer ist je nach Schwierigkeitsgrad - und davon gibt es gleich sieben unterschiedliche in "Humankind" - unnachgiebig. Fehler wie verlorene Kriege oder zerrüttete Handelsbündnisse bedeuten in der Regel, dass die Siegchance vertan ist.
"Humankind" ist also voll gepackt mit Strategieelementen, die ein sehr abwechslungsreiches Spielerlebnis bringen. Dazu sind Soundtrack und Detailgrad für einen Strategietitel wirklich gelungen. Von der Fauna in der Natur bis hin zu Autos auf den Straßen - der Zoom in das wabernde Landschaftsbild lohnt sich.
Kritikpunkte gibt es auch, die sind aber nicht schwerwiegend. Das Avatarmenü, also die Figur, die die eigene Nation von Anfang bis Ende anführt, ist zwar sehr individuell, was am Ende dabei rauskommt, hat oft keinen echten Charakter. Sieht nett aus, ist aber nicht sehr einprägsam. Insgesamt fehlen "Humankind" dann am Ende vielleicht die großen Innovationen, die es vom Genre-Primus "Civilization" absetzen könnte. Mithalten kann es aber in jedem Fall.
Ob Kriegstreiber, Handelsspezialist und Top-Diplomaten, wer gerne mal ganz strategisch die Welt erobern und dabei seine ganz eigene Menschheitsgeschichte schreiben möchte, der hat jetzt mit "Humankind" die Gelegenheit dazu. Für rund 50 Euro ist das PC-Spiel zu haben, im Gamepass ist es auch auf der Xbox bereits zu spielen.
Quelle: ntv.de