Die kongenialen Brüder "America First!" hilft deutscher Autoindustrie
18.12.2022, 12:01 Uhr
Erst Donald Trump, dann Joe Biden: Protektionismus soll die US-Wirtschaft wieder auf Vordermann bringen und zukunftsfähig machen. Die deutsche Autoindustrie könnte davon profitieren.
(Foto: picture alliance/dpa)
"Wir müssen sicherstellen, dass die Zukunft in Amerika gebaut wird." US-Präsident Biden hat die Elektromobilität entdeckt und fährt schwere Geschütze auf: Milliardenschwere Subventionen sollen die heimische Wirtschaft reindustrialisieren. China wiederum soll außen vor bleiben. Und die deutschen Autobauer?
Der Mensch ist zwar bekanntlich seines Glückes Schmied, manchmal jedoch muss er auch zu seinem Glück gezwungen werden. So ähnlich lässt sich die Situation der deutschen Autoindustrie beschreiben, will man die Folgen des Gesetzesvorhabens der US-Regierung unter Präsident Joe Biden - den sogenannten Inflation Reduction Act (IRA) - auf die hiesigen Hersteller wie Zulieferer herunterbrechen. Mit diesem "Inflationssenkungsgesetz" will die US-Regierung ein 738 Milliarden Dollar schweres Investitions- und Subventionsprogramm auf den Weg bringen, das nicht nur die Inflation bekämpfen und das Klima schützen soll.
Das Gesetz zielt auch auf den grünen Umbau der US-Wirtschaft ab - und damit auch des Automobilmarktes. Zudem sollen damit geopolitisch China und Russland in die Schranken gewiesen werden. "IRA" ist die praktische Umsetzung des Trump-Mottos "MAGA!" - "Make America Great Again!"
Fördern und fordern
Was will Biden? Bis 2030 sollen 50 Prozent der im Land verkauften Neuwagen über einen alternativen Antrieb verfügen - das schließt neben reinen Elektroautos auch Hybride und Brennstoffzellenfahrzeuge mit ein: "Die Zukunft der Autoindustrie ist elektrisch, und es gibt kein Zurück mehr. Die Frage ist, ob wir vorangehen oder zurückfallen", erklärte der US-Präsident. Damit werden die USA zum Gamechanger bei der klimafreundlichen Ausrichtung der Mobilitätspolitik zugunsten des Elektroautos.
Ab 2023 gewährt die US-Administration gestaffelte Subventionen von 7500 Dollar Grundzuschuss beim Kauf eines Elektroautos, zuzüglich 2500 Dollar für Fahrzeuge, deren Endmontage in Nordamerika stattfindet. Weitere 2500 Dollar gibt es, wenn die E-Autos in gewerkschaftlich organisierten US-Werken produziert werden. Gefördert werden Elektroautos bis zu einer Preis-Obergrenze von 50.000 Dollar bei PKW und 80.000 Dollar bei den in den USA so beliebten SUV/Pick-ups. Die Batterien müssen größer als sieben Kilowattstunden sein, und die Subventions-Empfänger dürfen nicht mehr als 150.000 Dollar Jahreseinkommen haben. Tesla-Fahrzeuge ebenso wie die meisten deutschen Marken erfüllen diese Bedingungen nicht, GM und Ford aber schon.
Aber die Regierung Biden fördert nicht nur, sie fordert auch. An die Kaufsubventionen für E-Autos angehängt ist eine Lösung der strategischen Abhängigkeit der USA von bisher unverzichtbaren Rohstoff- und Batterie-Importen aus China. Angestrebt wird eine Reindustrialisierung der USA durch Ersatz von Importen durch Produktion in den USA selber. Konkret müssen ab 2023 für die steuerliche Förderfähigkeit 40 Prozent der kritischen Ressourcen in einer Traktionsbatterie wie etwa Lithium aus den USA oder einem Land stammen, das ein Freihandelsabkommen mit den USA hat. Zum Beispiel aus Kanada (USMCA). Dieser Wert steigt jährlich um 10 Prozentpunkte bis auf 80 Prozent für 2027. Bei den Materialien, die nicht als kritisch bewertet werden - Stahl etwa -, wächst der Mindestanteil von 50 Prozent für 2023 auf 100 Prozent für 2029. Deutschland wäre außen vor.
"Besonders besorgniserregende Länder"
Ab 2025 dürfen US-Elektroautos keine Rohstoffe aus China oder Russland mehr enthalten - für die Zellenproduktion der Speicherbatterien ein K.-o.-Kriterium. Kritische Metalle, die aus einem "country of particular concern" stammen, sind ab dann tabu, will man die Steuergutschrift in Anspruch nehmen. Und das wollen alle Hersteller, denn nirgendwo ist die Marge so hoch, als dass ein Autobauer eine solche Summe aus eigener Tasche bezahlen könnte, will er mit IRA-konformen Anbietern konkurrieren.
Auf dieser Liste der "besonders besorgniserregenden Länder" stehen unter anderem Russland und China. China ist nicht nur das Land, das mit CATL und BYD zwei der drei größten Batterieproduzenten weltweit beheimatet, deren Batterien in jedem Elektroauto deutscher Provenienz stecken. (Tesla arbeitet dagegen mit Panasonic.) Aus China kommen auch sehr große Anteile des Graphits, das in faktisch allen heutigen Zellen als Anodenmaterial verwendet wird. Zusätzlich veredelt China Lithium aus Ursprungsländern wie Australien in großen Mengen zu Lithiumhydroxid. Die Abhängigkeit von China bei der Lieferkette ist enorm - für fast alle europäischen und asiatischen Autobauer.
Die Anordnung des Präsidenten werde es den USA ermöglichen, die "Zukunft des E-Autos voranzutreiben, China zu überholen und die Klimakrise anzupacken", teilte das Weiße Haus mit. "Wir müssen sicherstellen, dass die Zukunft in Amerika gebaut wird." Damit ändern sich die Marktzugangsvoraussetzungen in den USA total: Für chinesische Anbieter entfallen sie komplett. Die Pläne junger chinesischer Autobauer, erst den US-Markt und dann von dort aus Europa zu erobern, wurden somit über Nacht Makulatur. Für europäischen Autohersteller erfordern die Pläne eine komplette Umstellung in Produktion, Logistik und Vertrieb. Und für deutsche Autobauer? Ihre aktuellen Logistikströme bei Produktion und Absatz sind quantitativ kaum betroffen. Für die Zukunft müssen allerdings gravierende Änderungen sämtlicher Werks-, Produktions- und Absatzplanungen erfolgen.
Schnell zu TTIP?
Aus "IRA" ergeben sich folgende Konsequenzen für die deutsche Autoindustrie: Derzeit ist kein deutsches Modell förderfähig, da auch der VW ID.4 die Preisobergrenze überschreitet. Gleichzeitig dürfte der Konkurrenzdruck von unten deutlich zunehmen. Und die zukünftigen Auswirkungen werden noch gravierender: Alle E-Produktionsstandorte und Lieferantennetzwerke weltweit müssen neu sortiert werden. Das bedeutet eine Korrektur der bisherigen Werksstrukturpläne und einen totalen Umbau des Lieferantenpools, den Stopp aller bisherigen Pläne außerhalb der "IRA"-Region und den Neubau von Werken in Nordamerika. VW hat bereits den Werksneubau für E-Autos in Wolfsburg oder der Giga-Batteriefabrik in Braunschweig abgeblasen und die Verlagerung nach Nordamerika angekündigt. Volkswagen wird den ID.4 künftig nicht mehr aus Zwickau zuliefern, sondern muss ihn für den US-Markt an einem neuen Produktionsstandort in Tennessee bauen.
Wollen die deutschen Autohersteller am künftigen Wachstum des globalen Elektroautomarkts teilhaben, müssen sie in allen drei Hauptabsatz-Regionen der Welt autonom vertreten sein. Rund 98 Prozent des heutigen Welt-Absatzes von Elektroautos werden in China, den USA und in Europa erzielt.
Mit "IRA" hat die Biden-Administration die Initiative zur Lösung von Abhängigkeiten ergriffen und damit den übrigen Staaten und Unternehmen die Last eigener Entscheidung abgenommen. Vogel, friss oder stirb! Freiwillig das Notwendige zu tun, erspart viel Frust. Man muss das nicht schlecht finden. Für Europa rächt es sich nun aber, dass das Freihandelsabkommen TTIP bis heute nicht in Kraft gesetzt wurde. Aber das könnte sich nun - dank "IRA" - schnell ändern.
Quelle: ntv.de