Niedrigzinsphase nicht genutzt Bund hätte Milliarden an Zinszahlungen sparen können
16.01.2023, 17:34 Uhr
Als Finanzminister hielt Olaf Scholz lange an der sogenannten Schwarzen Null fest, bevor er zur Bekämpfung der Corona-Krise erhebliche neue Schulden aufnahm.
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Jahrelang konnte die Bundesregierung nahezu zum Nulltarif Schulden aufnehmen. Diese Zeiten sind offenbar schneller vorbeigegangen als man im Finanzminisiterium erwartete. Die Chance, sich gegen steigende Zinsen abzusichern, wurde verpasst.
Die gigantische Summe von 539 Milliarden Euro muss der Bund in diesem Jahr gemäß der eigenen Finanzplanung am Kapitalmarkt aufnehmen. Der Großteil davon - 325 Milliarden Euro - sind notwendig, um auslaufende Anleihen durch neue zu ersetzen. Dieses Überwälzen von Schulden ist für die zuständige Bundesfinanzagentur Routinearbeit. In normalen Zeiten ist es auch politisch - im Gegensatz zur Aufnahme neuer Schulden - kein Thema. Doch die Zeiten auf den Finanzmärkten sind nicht normal, sondern von der Zinswende geprägt.
2022 hat die EZB - wie andere Notenbanken auch - ihre Politik des billigen Geldes beendet und die Zinsen so schnell angehoben wie nie zuvor. Für den deutschen Staat heißt das, dass er auch für neue Anleihen wieder mehr Zinsen zahlen muss. Waren die Renditen für Bundesanleihen vor Jahresfrist noch negativ, werden inzwischen am Kapitalmarkt wieder mehr als zwei Prozent vom deutschen Staat verlangt. Das heißt, je mehr Schulden der Bund derzeit umwälzt, desto stärker steigt die Zinsbelastung.
Die Belastung hätte zu einem erheblichen Teil vermieden werden können, wenn die Bundesregierung die Niedrigzinsphase genutzt hätte, Anleihen mit längeren Laufzeiten herauszugeben. Damit hätte man sich die günstigen Finanzierungsbedingungen noch für viele Jahre sichern können, etwa wie sich viele Eigenheimbesitzer niedrige Zinsen durch Hypothekenverträge mit langjähriger Zinsbindung gesichert haben. Wie die "FAZ" unter Berufung auf Daten des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung berichtet, hat die Bundesregierung an Laufzeiten ihrer Schuldentitel fast nichts verändert. Die durchschnittliche Laufzeit deutscher Staatsanleihen veränderte sich demzufolge zwischen 2007 und 2021 nur marginal von 6,5 auf 6,8 Jahre.
Steigende Zinsen schlagen sich erst nach und nach nieder
Andere Regierungen gaben in den vergangenen Jahren dagegen Staatsanleihen mit ultralangen Laufzeiten von dreißig oder mehr Jahren aus. Österreich und auch Nordrhein-Westfalen legten gar erfolgreich 100-jährige Anleihen auf. Im Durchschnitt konnten die Staaten der Industrieländerorganisation die durchschnittliche Laufzeit ihrer Anleihen immerhin von 6,3 auf 7,6 Jahre innerhalb des Zeitraumes von 2007 bis 2021 verlängern.
Hätten die deutschen Finanzminister - das waren während der extremen Niedrigzinsphase vor allem Wolfgang Schäuble und der heutige Bundeskanzler Olaf Scholz - bei der Verlängerung der Anleihe-Laufzeiten diesen Durchschnitt erreicht, hätte Deutschland allein dieses Jahr eine Milliarde Euro an Zinszahlungen sparen können. Die entgangenen Einsparungen dürften, wenn die Zinsen wie erwartet noch etwas weiter steigen, in den kommenden Jahren weiter steigen. "Es dauert, bis sich die höheren Zinsen niederschlagen", zitiert die FAZ den Chefökonom der Landesbank Baden-Württemberg, Moritz Krämer.
Die Frage, warum sich die Bundesregierung die Chance entgehen ließ, sich niedrige Zinsen auf viele Jahre hinaus zu sichern, erklärt das Finanzministerium auf "FAZ"-Anfrage nicht. Allerdings hätte eine solche Absicherung gegen das sogenannte Zinsänderungsrisiko auch etwas gekostet. Für langlaufende Anleihen verlangen Investoren in der Regel etwas höhere Zinsen als für kurzfristige. Offenbar hat man im Finanzministerium einfach nicht mit einem nennenswerten Zinsanstieg gerechnet und daher eine langfristige Absicherung nicht für notwendig erachtet. Nun zeigt sich allerdings, dass im Vergleich zum Zinsanstieg in den vergangenen Monaten diese Aufschläge für längere Anleihelaufzeiten erheblich günstiger gewesen wären.
Quelle: ntv.de, mbo