Was darf Bayern entscheiden? Dem Strommarkt sind Söders Atomargumente egal
17.04.2023, 18:21 Uhr Artikel anhören
Isar 2 bei Nacht. Manche Politiker werden bei dem Anblick nostalgisch, dem Strommarkt ist es egal.
(Foto: picture alliance/dpa)
Warum kann Bayern nicht im Alleingang aus dem Atomausstieg aussteigen? Welchen Beitrag könnten die letzten Kernkraftwerke noch leisten zur Stromversorgung in Deutschland? Und wie reagiert der Strompreis auf die Abschaltung am Wochenende? Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Atomdebatte:
Welche Forderungen zur weiteren Nutzung von Atomkraft stehen im Raum?
Angesichts der in den vergangenen beiden Jahren stark gestiegenen Energiepreise hadern Befürworter der Atomkraft schon länger mit dem seit 2011 für Ende 2022 beschlossenen und dann kurzfristig noch einmal auf Mitte April 2023 verschobenen Aus für die letzten Kernkraftwerke in Deutschland. Zum einen wird gefordert, die Laufzeit der zuletzt abgeschalteten Reaktoren noch einmal zu verlängern, um in einer angespannten Situation vor allem auf dem Strommarkt in Süddeutschland mehr Stromerzeugungskapazität bereitzustellen. Zum anderen ist immer wieder die Rede davon, mit neuen Atomkraftwerken in diese Art der Stromerzeugung neu einzusteigen oder sich diese Möglichkeit zumindest offenzuhalten.
Was ist neu an Söders Vorstoß?
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder hat diese Positionen der Atomkraftbefürworter noch einmal bekräftigt und um eine weitere Idee ergänzt: Bayern solle die notwendigen, bisher beim Bund liegenden Kompetenzen bekommen, Atomkraftwerke im Freistaat zu betreiben. So könnte nach seiner Darstellung das am Wochenende vom Netz genommene Kraftwerk Isar 2 in Bayern mittelfristig weiterbetrieben werden. Söder deutete zudem an, seine rechtlichen Spielräume zu nutzen, um eine endgültige Stilllegung des nun vom Netz genommenen Meilers hinauszuzögern.
Zudem will Söder in die Nuklearforschung investieren und möglicherweise einen Forschungsreaktor bauen, um technologisch wettbewerbsfähig zu bleiben.
Wo und wie ist die Zuständigkeit für die Kernkraftnutzung in Deutschland geregelt? Kann man das ändern, um Isar 2 weiterzubetreiben?
Das Grundgesetz legt in Artikel 73 fest, dass die alleinige Gesetzgebungskompetenz für die Atomkraft beim Bund liegt. Die Regelungen im Einzelnen stehen im Atomgesetz beziehungsweise im Atomausstiegsgesetz. Angesichts der Mehrheit der Ampelkoalition im Bundestag ist nicht realistisch, dass die Verfassung oder auch das Atomgesetz in Söders Sinne kurzfristig geändert wird.
Von welchen rechtlichen Möglichkeiten Bayerns redet Söder dann?
Söder spielt offenbar darauf an, dass das bayerische Umweltministerium für Genehmigungen von Atomkraftwerken im Freistaat zuständig ist. Das gilt auch für die Genehmigung des sehr aufwendigen Rückbaus von Isar 2.
Kann Bayern also dafür sorgen, dass Isar 2 betriebsbereit bleibt und im Notfall wieder ans Netz gehen könnte?
Laut den im Atomgesetz verankerten Bestimmungen zum Ausstieg aus der Kernkraft muss der Rückbau zeitnah, nach der Abschaltung beginnen. Bundesumweltministerin Steffi Lemke machte darauf aufmerksam, dass auf den Freistaat Schadenersatzansprüche zukommen könnten, wenn er verhindert, dass der Betreiber - im Fall von Isar 2 die Eon-Tochter Preussen Elektra - dieser Pflicht nachkommt. Das Unternehmen rechnet nach eigenen Angaben bis Ende dieses Jahres mit der Rückbaugenehmigung. Um die abgeschalteten Kraftwerke wieder hochzufahren, bräuchten sie laut Lemke nicht nur eine erneute Verlängerung der Laufzeit, sondern komplett neue Genehmigungen.
Was sagen die Betreiber der letzten drei Kernkraftwerke?
Der Isar-2-Betreiber-Konzern Eon hatte die Entscheidung, den Meiler abzuschalten, im Vorfeld bedauert, aber sich bereits auf den Rückbau vorbereitet. Ein Wiederhochfahren der nun abgeschalteten Anlage wäre dem Unternehmen zufolge aufwendig und nur mit neuen Brennstäben möglich. Ähnlich ist die Position von ENBW. Der Konzern hat nach eigenen Angaben bereits die erforderlichen Genehmigungen für den Rückbau seines Atomkraftwerks Neckarwestheim 2. Für RWE als Eigentümer des Kraftwerks Emsland ist laut Konzern-Chef Markus Krebber das Kapitel Atomkraft "nun abgeschlossen". Jetzt komme es darauf an, "die ganze Kraft dafür einzusetzen, neben Erneuerbaren Energien auch den Bau von wasserstofffähigen Gaskraftwerken möglichst schnell voranzutreiben". Kein Kraftwerksbetreiber in Deutschland setzt sich derzeit aktiv für einen kurz- oder langfristigen Wiedereinstieg in die Atomkraft ein.
Welchen Einfluss hat die Abschaltung der letzten Reaktoren auf die Stromversorgung?
Die Versorgungssicherheit ist in Deutschland laut verschiedenen Studien auch ohne die letzten drei Kernkraftwerke gesichert. Sie deckten zuletzt nur noch rund fünf Prozent des Strombedarfs. Selbst an windschwachen, bewölkten Tagen, wenn Wind- und Photovoltaikkraftwerke nur wenig Strom liefern, ist dieser Beitrag in den meisten Teilen Deutschlands nicht entscheidend. Gelegentliche Probleme gab es allerdings auch mit Kernkraftwerken zuletzt schon in Süddeutschland. Denn hier steht auch dank der lange ablehnenden Haltung Bayerns unter Führung Söders und seiner CSU gegenüber Windrädern und neuen Stromtrassen weniger erneuerbare Energie zur Verfügung. Eine einfache Verlängerung des sogenannten Streckbetriebes von Isar 2 mit den vorhandenen Brennstäben wäre dabei jedoch keine große Hilfe, denn dabei geht die Leistung des Kraftwerks immer weiter zurück.
Wie reagiert der Strompreis?
Zunächst gar nicht. An der Strombörse gab es infolge der Abschaltung keine signifikanten Ausschläge. Da der Zeitpunkt allen Marktteilnehmern bekannt war, war dies auch nicht erwartet worden. Bereits in den vergangenen Monaten hatte der Streckbetrieb der drei letzten Reaktoren laut Experten kaum Einfluss auf die Preise. Nach zeitweise extremen Ausschlägen an der Strombörse im vergangenen Sommer, die auch zu steigenden Preisen für private Stromkunden geführt hatten, sind die Preise für neue Stromverträge zuletzt nahezu wieder auf das Niveau von vor der russischen Invasion in der Ukraine gefallen. Die Terminkontrakte an der Strombörse für die kommenden Monate deuten daraufhin, dass dies vorerst auch so bleibt. Söders Vorstellung, dass Deutschland derzeit "jedes Fitzelchen" Energie brauche, teilen die Marktteilnehmer an der Börse offensichtlich nicht.
Quelle: ntv.de