Wirtschaft

Wie stark werden PSA und Fiat? "Der neue Autogigant wird Druck machen"

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Gelingt die Verbindung zwischen PSA und Fiat Chrysler, würde der weltweit viertgrößte Hersteller entstehen.

(Foto: REUTERS)

Fiat Chrysler ist wieder auf Brautschau. Diesmal umwirbt der US-italienische Autobauer die französische Opel-Mutter PSA. Eine Hochzeit wäre eine Win-win-Situation, sagt Autoexperte Helmut Becker n-tv.de. Konkurrenten wie Zulieferer müssten zittern.

n-tv.de: In der kriselnden Autobranche bahnt sich eine Fusion zu einem wahren Schwergewicht an. Die Nachricht über den möglichen Zusammenschluss von Fiat Chrysler und PSA kommt bei Anlegern gut an. Ist die Euphorie gerechtfertigt? 

Helmut Becker: Ja, denn kommt es zu diesem Zusammenschluss wäre das eine ausgesprochene Win-win-Situation. Rationalisierungen oder Werkschließungen in Europa, so wie sie bei dem vor ein paar Monaten angedachten Zusammenschluss von Fiat mit Renault wahrscheinlich gewesen wären, sind nicht zu befürchten. Ebenso wenig eine große Einmischung des Staates, weil Paris nicht direkt und nicht so viele Anteile an PSA hält. Fiat wird in Europa und PSA in den USA gewinnen.

Fiat ist über Chrysler in den USA stark. PSA ist in dem Markt nicht vertreten. So gesehen ergänzen sich die beiden Firmen gut. In Europa sieht es anders aus. Hier konkurrieren die Kleinwagen von Fiat, Peugeot und Opel. Könnte das zum Problem werden?

Man muss in den Absatzregionen USA und Europa denken. Beide sind wichtig. Mit Blick auf die USA gilt: PSA hat auf dem Off-Road-Sektor nichts zu bieten. Hier kommt Fiat mit Jeep und Chrysler ins Spiel. Und mit Blick auf Europa: Auch wenn beide Autobauer sich hier nahe stehen, bedeutet das nicht, dass sie sich in die Quere kommen werden. Sie sind seit zig Jahren Wettbewerber, und das wird sich auch nach der Fusion nicht ändern. Fiat Chrysler und PSA werden vielmehr profitieren, weil sie Einkaufs- und Vertriebssynergien heben können.

Bei Fiat sieht es trotzdem ziemlich nach einer Verzweiflungstat aus. Der Konzern ist schon lange vergeblich auf Brautschau. Der Versuch, Renault als Fusionspartner zu gewinnen, ist erst in diesem Jahr gescheitert. Jetzt ist PSA plötzlich die große Liebe?

Sie sprechen den wunden Punkt an. Es ist ganz deutlich, wer den Zusammenschluss von beiden am nötigsten hat. Fiat Chrysler braucht viel dringender eine Braut. Renault oder PSA sind nicht darauf angewiesen. Insofern ist auch ganz klar, wer im fusionierten Unternehmen das Sagen haben wir. PSA wird eindeutig die dominierende Rolle haben. Der langjährige Chef von Fiat Sergio Marchionne, der als Visionär und harter Verhandlungspartner galt, ist tot. Der neue Macher heißt Tavares.

Nicht nur Absatzregionen sind ein Thema. Fiat gilt bei der Elektromobilität als schwach - dem Konzern drohen in Europa ab 2021 Strafzahlungen wegen zu hoher CO2-Emissionen. Kann der Zusammenschluss mit PSA dieses Problem lösen?

Zumindest nicht kurzfristig. Wenn die Elektromobilität hier eine Rolle spielen soll, dann in fernerer Zukunft. Was beide wirklich wollen, ist gemeinsam eine Super-Elektro-Plattform für die zukünftigen Elektroautos entwickeln. Fiat Chrysler hat bei Elektromobilität wenig vorzuweisen. PSA ist eindeutig besser aufgestellt. Eine gemeinsame Plattform hätte Potenzial und würde die Kosten senken. So hat es VW auch im Konzern gemacht. BMW und Daimler planen ebenfalls so eine Plattform. Vereinheitlichung bedeutet Kostensenkung. Außerdem schultern die Konzerne auf diese Weise auch die Risiken gemeinsam.

PSA hat erst vor gut zwei Jahren, im August 2017, Opel übernommen. Sind die Franzosen überhaupt schon so weit, den nächsten Kraftakt - ob nun in Form einer Fusion oder Übernahme - zu stemmen?

Ohne Weiteres. PSA befindet sind zum einen in der Gewinnzone. Zum anderen hat der Elektroautobauer Tesla gezeigt, dass es an Geld nicht fehlt, wenn es um die Finanzierung von Elektromobilität geht. Mit 100.000 verkauften Autos ist Tesla immerhin das wertvollste amerikanische Unternehmen geworden. Dabei hat das Unternehmen seit seiner Gründung vor 15 Jahren noch nie Gewinne gemacht. Häufig feiern Anleger eben Visionen.

PSA-Chef Tavares gilt in der Branche als harter Sanierer. Nicht GM, sondern PSA hat es geschafft, Opel auf Erfolg zu trimmen und wieder profitabel zu machen. Aber Opel beschäftigt heute auch deutlich weniger Mitarbeiter. Muss Fiat im Fall des Zusammenschlusses auch zittern?

Was den europäischen Teil des fusionierten Unternehmens angehen würde, auf jeden Fall. Denn es werden definitiv Synergien gehoben werden. Das Zittern geht aber auch über Fiat hinaus. Denn diese Mega-Fusion wird auch bedeuten, dass die Unternehmen gemeinsam wegen der größeren Stückzahlen anfangen werden, die Zulieferer zu knechten. PSA und Fiat zusammen, das bedeutet: Da ist ein Neuer in der Branche, der Druck machen wird.

Sehen Sie auch Konsequenzen für andere Autobauer?

Es ist wie bei einem Stein, den man ins Wasser wirft und der dann seine Kreise zieht. Dieser Zusammenschluss wird nicht auf PSA und Fiat Chrysler beschränkt bleiben. Die Folgen dieser neuen Marktmacht werden bis nach Japan und Korea zu spüren sein. Die Konkurrenten werden durch diesen neuen Wettbewerber automatisch schwächer werden. 

Helmut Becker schreibt für ntv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt. Becker war 24 Jahre Chefvolkswirt bei BMW und leitet das "Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK)". Er berät Unternehmen in automobilspezifischen Fragen.

Helmut Becker schreibt für n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt. Becker war 24 Jahre Chefvolkswirt bei BMW und leitet das "Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation (IWK)"

Ihnen scheint bereits eine Fortsetzungsgeschichte vorzuschweben. Welche Autobauer werden dem Konsolidierungsdruck als Nächstes nachgeben?

Renault und Nissan werden sich die Augen reiben und sich nach anderen Partnern umsehen müssen. Auch der koreanische Autobauer Hyundai oder Honda in Japan könnten unter Druck geraten. Der chinesische Konzern Geely ist ein Unternehmen, das überall zugreift, wo es was zu holen gibt.

Und wie werden die deutschen Premiumhersteller die Folgen dieses Zusammenschlusses zu spüren bekommen?

Auch hier sind neue Konstellationen nicht ausgeschlossen. Die Kombination von BMW und Daimler halte ich für ausgeschlossen, aber BMW und Jaguar halte ich für möglich. Wenn Sie nach München fahren, finden Sie direkt neben der BMW-Niederlassung in Solln das Headquarter von Jaguar für den gesamten süddeutschen Raum. Diese geografische Nähe ist vielleicht schon symbolisch zu verstehen.

Mit Helmut Becker sprach Diana Dittmer

Quelle: ntv.de

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