Wirtschaft

Inflation auf Rekordniveau "Die EZB macht alles richtig"

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Die EZB geht davon aus, dass die Inflation auch ohne Zinserhöhung wieder sinkt.

(Foto: imago images/imagebroker)

Die Inflation ist seit Monaten hoch. Doch die Europäische Zentralbank lässt die Zinsen trotzdem niedrig. Ökonom Sebastian Dullien hält das nicht für einen Fehler. "Derzeit sieht es nicht danach aus, als würden die Inflationserwartungen aus dem Ruder laufen", sagt er im Gespräch mit ntv.de.

ntv.de: Die Inflationsrate im Euroraum ist im Dezember auf 5 Prozent gestiegen und damit auf den höchsten Stand seit Einführung des Euro. Unterschätzt die EZB die Inflation?

Sebastian Dullien: Nein. Aus meiner Sicht macht die EZB bislang alles richtig. Denn was wir sehen, ist nicht Inflation in dem Sinne, dass steigende Preise zu steigenden Löhnen führen, die wiederum die Preise in die Höhe drücken. Derzeit sorgen vor allem Sondereffekte dafür, dass die gemessene Inflationsrate vorübergehend nach oben geht.

Gestörte Lieferketten und hohe Energiepreise werden in diesem Zusammenhang immer wieder genannt. Was nichts daran ändert, dass Zinserhöhungen als klassisches Mittel zur Inflationsbekämpfung gelten.

Das sind sie ja auch. Aber man muss sich klarmachen, dass Zinserhöhungen erst nach einer gewissen Verzögerung wirken, also nach etwa vier bis sechs Quartalen. Sie erzielen ihre Wirkung, indem sie die inländischen Wirtschaftsaktivitäten bremsen und dadurch tendenziell der Preisdruck nachgibt. Derzeit gehen die meisten Ökonomen aber davon aus, dass die Energiepreise zumindest nicht mehr so stark steigen werden und sich die Inflation deshalb von alleine in diesem Jahr zurückbilden wird. Ähnliches gilt für die Lieferketten. Auch hier wird allgemein damit gerechnet, dass die Störungen allmählich verschwinden. Das heißt: Eine Zinserhöhung würde in dem Moment Wirkung entfalten, wo diese Probleme wahrscheinlich nicht mehr vorhanden sind. Sie würde zu verringerter Wirtschaftsaktivität und damit zu höherer Arbeitslosigkeit führen. Damit wäre niemandem geholfen.

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Sebastian Dullien ist Professor für Allgemeine Volkswirtschaftslehre und Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der gewerkschaftseigenen Hans-Böckler-Stiftung.

(Foto: IMK)

Es gibt aber Ökonomen, wie beispielsweise den Wirtschaftsweisen Volker Wieland, die davor warnen, dass sich die Inflation festsetzt.

Wenn es so große Preisschübe gibt, besteht immer die Gefahr, dass sich in der breiten Wahrnehmung etwas verändert. Wenn dauerhaft höhere Preise erwartet werden und das im Ergebnis zu höheren Löhnen führt, dann kann sich Inflation festsetzen. Aber davon ist nichts zu sehen. Sowohl in Deutschland als auch in der Eurozone könnten die derzeitige Lohnentwicklungen sogar etwas höher sein als derzeit und wären dennoch mit einer stabilen Inflation von zwei Prozent kompatibel.

Andere Notenbanken haben die Zinswende eingeleitet und bereiten die Märkte auf weitere Zinserhöhungen vor, allen voran die US-Fed. Ist die Lage dort so anders als in der Eurozone?

In den USA gibt es - im Gegensatz zu Europa - bereits in einigen Bereichen deutliche Lohnanstiege. Das hängt auch damit zusammen, dass die wirtschaftliche Erholung in den USA weiter fortgeschritten ist als in der Eurozone. Dort kann man Engpässe am Arbeitsmarkt feststellen. Darauf muss eine Zentralbank reagieren. In Deutschland gibt es dagegen lediglich anekdotische Evidenz, dass einzelne Unternehmen über Probleme berichten, Beschäftigte zu finden. Aber das spiegelt sich nicht in den gesamtwirtschaftlichen Zahlen wider.

Die Inflationsrate ist ja nicht nur eine abstrakte Zahl. Viele Menschen bekommen sie zu spüren - Einkäufe werden teurer, Ersparnisse verlieren an Wert. Wie lange kann sich die EZB leisten, das zu ignorieren?

Die EZB geht davon aus, dass in etwa 18 Monaten die Inflation wieder im grünen Bereich ist. Wenn aber neue Prognosen darauf hindeuten werden, das Mitte kommenden Jahres die Inflation immer noch deutlich über dem Zielwert von zwei Prozent liegt oder sich Preisanstiege dauerhaft zu höheren Löhnen führen, dann wird die EZB handeln müssen.

Ist es vor diesem Hintergrund nicht ein Fehler, dass EZB-Präsidentin Christine Lagarde Zinserhöhungen für dieses Jahr kategorisch ausschließt? Denn damit kann sie ja der Angst Vorschub leisten, dass sich die Inflation festsetzt.

Für die mittelfristige Inflation ist es nicht so wichtig, ob die EZB dieses Jahr die Zinsen erhöht oder nicht. Auch mit Zinserhöhungen erst 2023 könnte man eine Inflation wieder einfangen. Dennoch kann man natürlich kritisieren, dass die EZB Zinserhöhungen bis zum Jahresende ausschließt. Denn es kann sich die Welt so stark verändern, dass dieser Schritt unvermeidlich ist. Doch es sieht derzeit nicht danach aus, als würden die Inflationserwartungen aus dem Ruder laufen.

Inflationsangst kann zu höherer Inflation führen. Wie hoch schätzen Sie die Gefahr ein, dass es zu einer Lohn-Preis-Spirale kommt?

Ich würde lieber von einer Preis-Lohn-Spirale sprechen. Man muss sich klarmachen, was zuerst da war. Es ist ja nicht so, dass die Löhne steigen und die Preise deshalb anziehen. Es könnte höchstens dazu kommen, dass die Tarifparteien sagen, es müsse einen Ausgleich für höhere Preise durch höhere Löhne geben. Für so eine Preis-Lohn-Spirale sind aber nicht die Forderungen der Gewerkschaften entscheidend, sondern die jeweiligen Abschlüsse. Und die haben sehr viel damit zu tun, wie die Situation am Arbeitsmarkt ist, wie die wirtschaftliche Situation ist. Vor diesem Hintergrund ist es derzeit sehr unwahrscheinlich, dass es zu Lohnabschlüssen kommt, von denen eine Gefahr für die Preisstabilität ausgeht.

Spielt für die Geldpolitik der EZB auch ein anderes Motiv eine Rolle? Der Vorwurf: Sie nehme Rücksicht auf hochverschuldete Länder der Eurozone, die höhere Zinsen in erhebliche Schwierigkeiten bringen werde.

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Für die Schuldentragfähigkeit ist es doch sinnvoller, dass eine Notenbank die Zinsen rechtzeitig erhöht. Erhöht sie zu spät die Zinsen, bedeutet das, dass eine Inflation aus dem Ruder läuft. Dann müssen die Zinsen noch stärker angehoben werden. Das würde zu erheblichen Problemen führen und eine tiefe Rezession verursachen. Deshalb kann die EZB kein Interesse daran haben, die Zinsen dauerhaft niedriger zu halten als das mit ihrem Inflationsziel zu vereinbaren wäre. Außerdem würde eine schnelle Zinserhöhung beispielsweise von einem halben Prozentpunkt Länder wie Italien derzeit überhaupt nicht vor echte Probleme stellen – in den 1990er Jahren waren die Budgetbelastungen durch Zinszahlungen dort wesentlich höher, als sie derzeit selbst mit einer solchen Zinserhöhung wären.

Mit Sebastian Dullien sprach Jan Gänger.

Quelle: ntv.de

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