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Nach Studie zu CO2-Emissionen Existiert Deutschlands "kürzeste private Flugroute" gar nicht?

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Turboprop-Flugzeug Cessna 208 - eine Maschine dieses Typs soll 2022 mehrfach von Stuttgart nach Böblingen geflogen sein. Doch wo landete sie?

Turboprop-Flugzeug Cessna 208 - eine Maschine dieses Typs soll 2022 mehrfach von Stuttgart nach Böblingen geflogen sein. Doch wo landete sie?

(Foto: picture alliance/dpa)

Zwischen Stuttgart und dem benachbarten Böblingen soll laut einer Studie Deutschlands kürzeste Privatflugroute verlaufen. Eine einzige Klimasünde, keine Strecke hierzulande war 2022 demnach CO2-intensiver. Doch etwas ist seltsam: Böblingen hat gar keinen Flughafen.

Das Flugzeug nehmen für 15 Kilometer Strecke? Ende März sorgte eine von Greenpeace in Auftrag gegebene Studie über das Ausmaß klimaschädlicher Privatflüge in Europa für Aufsehen. Prominent wird darin auch "die kürzeste private Flugroute" in Deutschland erwähnt. Diese verläuft demnach zwischen Stuttgart und der benachbarten 50.000-Einwohner-Stadt Böblingen und soll 14,82 Kilometer lang sein. Damit ist sie auch die klimaschädlichste Route Deutschlands. Doch etwas daran kann nicht stimmen.

Worum ging es in der Privatflug-Studie? Das niederländische Beratungsunternehmen Delft hatte für Greenpeace einen Überblick über Privatflüge und deren Emissionen in Europa zusammengetragen. Dabei griff Delft auf Flugdaten zurück, die von dem Unternehmen Cirium gesammelt und verarbeitet wurden. Hintergrund der Studie ist, dass Privatflüge regelrechte CO2-Schleudern sind: Die Emissionen von Privatjets pro Passagier sind laut einer anderen Untersuchung 5- bis 14-mal höher als bei kommerziellen Flügen und 50-mal höher als bei Zugfahrten.

Und je kürzer eine Flugroute, desto klimaschädlicher. Denn beim Start wird mehr Treibstoff verbraucht, was in der Gesamtrechnung die durchschnittlichen Emissionen pro Kilometer nach oben treibt. So tauchen in der Studie unter den "Top-10-Routen mit der höchsten CO2-Intensität im Jahr 2022" besonders kurze Strecken auf. Auf Platz vier die besagte Strecke zwischen Stuttgart und Böblingen.

Böblingen hat gar keinen Flughafen

Doch etwas ist seltsam an der Geschichte: Denn Böblingen hat gar keinen Flughafen oder ein Flugfeld. Zwar gab es in der Stadt einst einen Flughafen, der jedoch seit den 1950er-Jahren nicht mehr in Betrieb ist. Seit Anfang der 2000er werden dort Wohn- und Gewerbegebäude errichtet, es gibt dafür sogar eine eigene Webseite. Bei der Stadt Böblingen kann man sich auf Nachfrage von ntv.de auch nicht erklären, wie die insgesamt 18 Flüge aus der Studie zustande kamen. "Es gibt keine Rollbahn, kein Rollfeld. Da wo früher die Landebahn war, hat man jetzt einen See angelegt", sagte ein Stadtsprecher zu ntv.de.

Bei Greenpeace nachgefragt, wiegelt man auf Anfrage von ntv.de zunächst ab: Böblingen verfüge immer noch über einen IATA-Code, jenes dreistellige Flughafen-Kürzel, das man von Gepäckanhängern beim Einchecken kennt. Da es sich bei den Flugzeugen auf der Strecke Stuttgart-Böblingen ausschließlich um kleine Turboprop-Flugzeuge des Typs C208 handele, schreibt ein Sprecher von Greenpeace European Unit, sei es "durchaus möglich, dass sie hier oder in der Nähe starten und dass die Transponder die Flugzeuge mit dem Flughafen PHM (Böblingen) verbinden".

Delft veröffentlicht Korrektur

Aber wo diese Flugzeuge starten und landen, bleibt rätselhaft. Die nächsten Flugfelder sind meilenweit entfernt. Hat das Mercedes-Werk im benachbarten Sindelfingen, das an den ehemaligen Flughafen Böblingen grenzt, etwas damit zu tun? Auf Nachfrage von ntv.de gab es bislang keine Antwort des Autobauers.

Immerhin ziehen die Macher der Studie nach der ntv.de-Anfrage Konsequenzen aus dem bislang unaufklärbaren Kurzflug und veröffentlichen eine Korrektur: "Nach der Veröffentlichung des Berichts wurden wir darauf aufmerksam gemacht, dass einer der in dem Bericht genannten Flughäfen, Böblingen in Deutschland, nicht mehr in Betrieb ist", heißt es darin. Dies bedeute, dass die kürzeste Strecke in Deutschland im Jahr 2022 nicht 15 Kilometer beträgt. Dieser Titel geht damit an die Strecke von Friedrichshafen nach Altenrhein in der Schweiz - nur 22 Kilometer Flug quer über den Bodensee.

Kleine Routen nicht alle überprüft

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Doch wie konnte die Böblingen-Panne passieren? Von den kürzesten Routen in der Studie seien nicht alle im Detail überprüft worden, räumte Greenpeace gegenüber ntv.de ein: "Wir konzentrieren uns bei unseren Überprüfungen auf die wichtigsten Ergebnisse des Berichts", darunter die häufigsten Routen und am stärksten genutzten Flughäfen. "Der Datenanbieter Cirium untersucht derzeit, warum diese Flüge dem Flughafen Böblingen zugeordnet wurden und von wo sie stattdessen gestartet sind", heißt es in der Korrektur von Delft.

Delft betont zudem, dass die wegfallenden 18 Flüge der ominösen Strecke Stuttgart-Böblingen im Jahr 2022 kaum ins Gewicht fielen bei insgesamt 58.424 Flügen, die von deutschen Flughäfen aus gestartet waren. Der Einfluss der Böblingen-Flüge auf die CO2-Emissionen sei zudem "vernachlässigbar". Insgesamt verursachten die für 2022 erfassten Privatflüge laut der Studie knapp 3,4 Millionen Tonnen CO2-Emissionen - was der Jahresmenge von mehr als einer halben Million EU-Einwohnern entspreche.

Quelle: ntv.de

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