Wirtschaft

Hält das Renault-Nissan-Bündnis? "Ghosn hat die Japaner jahrelang degradiert"

Ein Abgang in Schimpf und Schande: So hat sich Carlos Ghosn Weihnachten 2018 nicht vorgestellt.

Ein Abgang in Schimpf und Schande: So hat sich Carlos Ghosn Weihnachten 2018 nicht vorgestellt.

(Foto: REUTERS)

Die Verhaftung von Carlos Ghosn in Japan ist ein Schock für die Autowelt. Greifen jetzt die Japaner in der Dreierallianz von Renault, Nissan und Mitsubishi nach der Macht? Jetzt sei die Zeit "Claims abzustecken", sagt Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer n-tv.de.

n-tv.de: Carlos Ghosn hat das Bündnis aus Renault, Nissan und Mitsubishi geschaffen. Wird es nach seinem Abgang zerbrechen?

Ferdinand Dudenhöffer: Ich glaube, wenn sich der Staub gelegt hat, den der Gehaltsskandal aufgewirbelt hat, werden alle drei Konzerne sehen, dass sie nur mit dieser Allianz gut fahren. Ich glaube, sie werden sie fortführen. Keiner der Autobauer wäre ohne das Bündnis dort, wo er ist. Gemeinsam haben sie es geschafft, die Nummer 3 der Welt zu werden. Nissan oder Mitsubishi gäbe es ohne Renault wohl nicht mehr. Durch die Überkreuzbeteiligungen lässt sich das Bündnis auch nicht so leicht aufkündigen. Ghosn befand sich ohnehin schon auf dem Rückzug. Bei Nissan hatte er das operative Geschäft bereits vor zwei Jahren abgegeben. Und Renault plante den Führungswechsel 2020.

Sind die Japaner froh, dass Ghosn nun schneller weg ist?

Sicherlich war die Art und Weise, wie er Nissan oder Mitsubishi gerettet hat, wenig demokratisch. Ghosns Führungsstil ist sehr autoritär. Man könnte auch selbstherrlich sagen. Aber so ist sein Naturell. Er sagt, wo es lang geht. Und wenn es Widerspruch gibt, rollen Köpfe.

Unterwerfung ist also der Preis, den die Konzerne für ihre Rettung bezahlen mussten?

So kann man es sagen. Nissan war vor 30 Jahren völlig zerfleddert: Zig verschiedene Autos, unterschiedliche Plattformen. Der Konzern schrieb immer größere Verluste. Dann kam Ghosn und hat knallhart saniert. Er hat die Modelle zusammengestrichen und Einkaufskooperationen in der Allianz geschmiedet. Sein Managementstil ist typisch amerikanisch. Es gibt klare Zielvorgaben, werden die nicht erreicht, greift der Chef ein. Vom Typ ist Ghosn eher ein Investmentbanker als ein klassischer Automanager.

Wer hätte das Potenzial, ihn zu beerben?

Theoretisch könnte PSA-Chef Carlos Tavares seinen Posten übernehmen. Er hat jahrelang für Nissan in den USA gearbeitet, danach war er 32 Jahre Führungskraft bei Renault. Tavares war immer so etwas wie ein Stellvertreter von Ghosn. Beide denken ähnlich. Tavares besitzt allerdings mehr Produktgefühl. Bei Ghosn stand immer das Controlling im Vordergrund. Am reinen Produkt zu arbeiten, war nie sein Ding. Das sieht man auch an der Produktpalette. Gegen Tavares spricht, dass er PSA und Opel vorsteht. Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass er da weggeht. Alternativ kämen Interne in Frage. Der "Kronprinz" von Ghosn bei Renault, Thierry Bolloré, zum Beispiel. Er hat jetzt den Interimsposten übernommen. Er hätte wohl gute Chancen, in Zukunft eine noch wichtigere Rolle zu spielen.  

Ist eine Machtkonzentration, wie Ghosn sie gepflegt hat, überhaupt noch zeitgemäß?

Schauen Sie sich Herbert Diess bei Volkswagen an. Bei Toyota ist es Akio Toyoda. Und GM hat Mary Barra. Konzerne werden nun mal nicht durch demokratische Abstimmungen in jeder Frage geführt. Sie brauchen Strategievorgaben von ganz oben.

Für die Japaner ist Ghosns Abgang die Chance, mehr Macht im Dreierbündnis zu bekommen. Sind Veränderungen in den komplizierten Überkreuzbeteiligungen denkbar?

Ferdinand Dudenhöffer leitet das Center Automotive Research an der Universität Duisburg-Essen.

Ferdinand Dudenhöffer leitet das Center Automotive Research an der Universität Duisburg-Essen.

Dass jemand jetzt versucht, Claims abzustecken, wäre nicht untypisch. Ghosn wollte die Konzerne in den vergangenen Jahren zu hundert Prozent integrieren. Das ist ihm allerdings nicht ganz gelungen. Ich könnte mir einerseits Kräfte vorstellen, die das jetzt bewerkstelligen wollen. Andererseits könnte es aber auch solche geben, die am Auseinanderdriften werkeln. Ghosn hat die Japaner durch sein sehr strenges autokratisches Auftreten über lange Zeit degradiert. Möglicherweise fühlten sie sich ein bisschen versklavt. Die japanische Mentalität ist ruhiger und obrigkeitshöriger. Gleichzeitig sind Japaner aber auch sehr höflich und zuvorkommend. Ghosn könnte mit seiner ungewohnt direkten Art Misstrauen geweckt haben. Insofern ist ein neuer Manager vielleicht auch eine Chance, die Kulturen so zusammenzubringen, dass sie sich gleichwertiger fühlen. Dass sie gemeinsam versuchen, Ziele zu erreichen. Einzeln sind alle Drei auf jeden Fall verloren.

Ghosn wollte mit seinem Autoreich Volkswagen und Toyota den Rang als weltgrößter Hersteller ablaufen. Profitiert die Konkurrenz jetzt von seinem Abgang?

Da muss man erst einmal abwarten. Mit einer neuen Führung - das könnte auch eine Doppelspitze aus einem Japaner und einem Europäer sein -  könnte es Renault-Nissan schaffen, seine Position zu halten, ohne großen Schaden zu nehmen. VW und Toyota laufen eigenständig. Sie interessieren sich weniger für Renault und Nissan, auch weil sie beide im Produktverständnis besser sind. Für das französisch-japanische Bündnis dürften Lada und Russland eine große Rolle spielen. Lada ist profitabel und Russland ist einer der Zukunftsmärkte. Nur wegen der Krim-Annexion hat sich das Auto-Geschäft halbiert. Diese Eiszeit mit Putin wird irgendwann zu Ende sein, dann wird Russland wieder wichtig. Dann bekommt das Dreierbündnis eine vierte Stütze.

Welche Baustellen gibt es außer der Ghosn-Nachfolge noch im Renault-Nissan-Bündnis?

Bei Kosten und Effizienz sind alle drei hervorragend aufgestellt. Alle drei haben aber nur preisgünstige Produkte, Standardautos mit wenig Glanz. Was ihnen fehlt, ist ein neues Produktverständnis und Ideen, wie sie in das Premiumsegment vordringen können. Obwohl sie Spitzentechnik können, haben sie es nie geschafft, sie in ihre Autos zu integrieren. Bei Umweltwerten zum Beispiel schneiden sie schlecht ab.

Würden Sie sagen, Ghosns Nachfolger übernimmt ein gut bestelltes Feld?

Ja. Die Entscheidungen sind getroffen. Es läuft. In den nächsten zwei, drei Jahren sehe ich kein Problem. Die Frage ist, was danach kommt, wenn die Welt noch mehr Elektrofahrzeuge braucht. Wichtig ist, dass man als Autobauer ins Autonome Fahren geht. Das braucht riesige Investitionen und Kooperationen. Würden die drei jetzt auseinanderdriften, wäre das absolut schädlich.

Mit Ferdinand Dudenhöffer sprach Diana Dittmer

Quelle: ntv.de

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