Wirtschaft

Interview zu Öl-Sanktionen "Russlands Wirtschaft wird auf das Niveau Nordkoreas sinken"

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Putins Politik habe dafür gesorgt, dass Russland außer dem Energieexport kein wirtschaftliches Standbein habe, sagt Rochlitz (Archivbild).

(Foto: picture alliance / Alexei Druzhinin/POOL SPUTNIK KREMLIN/AP/dpa)

Die Öl-Sanktionen der EU treffen den Kreml hart. Neue Abnehmer wie China diktieren niedrige Preise. Die Situation sei so katastrophal, weil Präsident Putin es versäumt habe, Russlands Wirtschaft auf die Zukunft vorzubereiten, sagt Michael Rochlitz, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bremen, im Interview mit ntv.de.

ntv.de: Seit Dezember darf kein russisches Rohöl mehr per Tanker in die Europäische Union eingeführt werden, seit Februar gilt das Embargo auch für Raffinerieprodukte wie Diesel. Wie empfindlich treffen diese Sanktionen die russische Wirtschaft?

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Michael Rochlitz, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bremen und Experte für russische Wirtschaft.

(Foto: Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bremen und Experte für russische Wirtschaft)

Michael Rochlitz: Russland hatte mit der EU einen der wichtigsten Abnehmer für Rohöl, aber auch für Raffinerieprodukte. Der bricht jetzt für einige Jahre weg, vielleicht sogar für immer. Der Kreml muss versuchen, andere Abnehmer zu finden. Das ist nicht so einfach. Man muss für den Transport das Öl umleiten und die Infrastruktur umbauen. Außerdem ist Russland jetzt abhängig von neuen Abnehmern und daher in einer schwachen Verhandlungsposition. Je mehr Abnehmer man hat, desto besser kann man sie gegeneinander ausspielen. Russland kann das jetzt nicht mehr.

Neue Kunden für russisches Öl sind zum Beispiel Indien und China. Aber das Geschäft mit ihnen läuft nicht reibungslos, oder?

China und Indien verstehen es durchaus, zu verhandeln. Die Preise für russisches Rohöl sind deshalb unter das Niveau von 50 Dollar pro Barrel gefallen. Durch die niedrigen Preise fehlt Geld im russischen Haushalt. Es wird in Zukunft schwer, die gleiche Menge an Öl effizient zu exportieren. Mittlerweile verwendet China eigene Supertanker, um zusätzliches russisches Rohöl zu importieren. Dies stärkt auch noch einmal Chinas Verhandlungsposition. Langfristig müsste Russland wahrscheinlich eine weitere große Pipeline nach China bauen, weil die bestehende ausgelastet ist.

Welche Folgen hat diese Abhängigkeit vom Ölverkauf für die russische Wirtschaft?

Wie viele andere Öl- und Rohstoffländer muss auch Russland seine Wirtschaft diversifizieren. Wir sehen das in anderen großen Ölnationen, in Saudi-Arabien oder den Vereinigten Arabischen Emiraten. Diese Länder versuchen die Ressourcen, die sie jetzt haben, einzusetzen, um mittelfristig unabhängig zu sein von Öl und Gas. In autokratisch regierten Staaten am Golf hat man sich tatsächlich Gedanken gemacht: Wie können wir unsere Länder nachhaltig umbauen, damit sie langfristig konkurrenzfähig bleiben? Diese Debatte fand in Russland nicht statt. Jetzt hat das Land außer dem Energieexport keine anderen wirtschaftlichen Standbeine mehr. Außerdem haben viele hoch qualifizierte Spezialisten das Land verlassen, welche den Umbau der Wirtschaft hätten vorantreiben können.

Das heißt also, das Öl-Embargo hat die russische Wirtschaft zwar empfindlich getroffen, aber nicht so hart wie die Fehlentscheidungen von Präsident Putin?

Das Embargo wirkt kurzfristig, dadurch hat der Kreml weniger Geld in der Haushaltskasse. Mittel- und langfristig ist das Problem, dass Putin Russland die wirtschaftliche Zukunft genommen hat. Es gibt keinen Plan, keine Strategie und auch keine Möglichkeit mehr, dieses Land auf die Zukunft vorzubereiten. Wichtig sind in diesem Zusammenhang auch die Sanktionen auf den Export von Hochtechnologieprodukten nach Russland. China, Europa und die USA sind in starkem Wettbewerb im Bereich Zukunftstechnologien. Russland hat sich diese Tür selbst verschlossen. Die russische Wirtschaft befindet sich damit langfristig nicht mehr auf Augenhöhe mit China oder den USA, sondern wird auf das Niveau von Nordkorea, Kuba oder Venezuela sinken.

Putin muss also beim Ölverkauf bleiben. Ihm bleibt noch die Möglichkeit, die Förderung zu drosseln, um so die Preise hochzutreiben. Wird das funktionieren?

Kurzfristig gibt es diese Möglichkeit, aber die Verknappung von Ressourcen ist ein Glücksspiel. Der Kreml riskiert Einnahmeeinbußen, denn andere Öl-Exporteure müssen da mitspielen. Sie könnten aber auch ihre Fördermenge erhöhen. Das kann dazu führen, dass Russland der Markt wegbricht, weil Kunden nicht mehr zurückkommen. Es ist aufgrund des Krieges und der Sanktionen sowieso ein unsicherer Lieferant.

Könnte die Nachfrage nach russischem Öl dennoch in Zukunft steigen, zum Beispiel durch das Ende der Null-Covid-Politik in China?

Es könnte sein, dass wieder mehr Bedarf da ist, wenn der chinesische Wirtschaftsmotor wieder anläuft. Vielleicht werden dann auch etwas höhere Preise bezahlt. Aber Russland ist sehr abhängig von China geworden. Nicht nur in Bezug auf die Exporte, auch in Bezug auf Importe. Neben Konsumgütern müssen Technologiegüter aus China importiert werden. Deshalb kann China niedrigere Preise für russische Ölexporte diktieren. Die Situation Russlands ist ein bisschen mit der von Nordkorea vergleichbar. Ohne China würde Nordkorea wahrscheinlich nicht als Staat existieren. Aus Nordkorea importieren die Chinesen Rohstoffe, und versorgen das Land mit billigen Konsumgütern. Mit Russland versuchen sie das Gleiche. Es ist der große Nachbar geworden, den sie gut manipulieren können, weil er nicht mehr gefährlich ist.

Es häufen sich Berichte über Schlupflöcher des Embargos. Demnach liefert Russland Öl nach Indien oder Saudi-Arabien, diese Länder raffinieren es und exportieren es anschließend als Diesel in die EU. Stimmt das?

Ja, das wird zurzeit diskutiert. Das ist aber zurzeit noch Spekulation. Es wäre möglich, dass Indien oder Saudi-Arabien einspringen und Öl raffinieren. Wenn das so ist, stellt sich die Frage: Wie reagiert die EU? Wenn sie das Embargo ernst nimmt, versucht sie, sekundäre Sanktionen gegen Indien und Saudi-Arabien zu verhängen. Oder Europa und die USA sagen klar, wir kaufen dieses Öl nicht, weil es aus Russland stammt. Vom jetzigen Stand der Dinge ausgehend würde ich sagen, dass man das Spiel nicht mitspielen würde. Es würde aber einige Wochen dauern, um dieses Schlupfloch durch Sanktionen zu schließen.

Wo spart der Kreml nun, da er weniger Geld zur Verfügung hat?

Putin wird versuchen, die noch vorhandenen Ressourcen weiter in Richtung Militär zu kanalisieren, um den Krieg weiter führen zu können. Die Gehälter in Russland werden dann nicht mehr erhöht oder sogar reduziert, Sozialleistungen werden nicht mehr angepasst oder gekürzt. Russland kämpft mit einer starken Inflation. Die Menschen werden immer schlechter bezahlt. Man kann von einer Regression der Lebensqualität sprechen. Straßen und Häuser werden nicht mehr renoviert. Das kann sich nach einiger Zeit zur Entwertung einer ganzen Gesellschaft, eines ganzen Landes entwickeln.

Wie düster ist die Prognose für die russische Wirtschaft?

Russlands Wirtschaft stagniert bereits seit 2012, als Putin zurück ins Präsidentenamt kam. Es gab diese Periode während Medwedews Präsidentschaft zwischen 2008 und 2011. Damals hat man erkannt, dass sich das Modell ändern muss. Man hat versucht, Unternehmer zu schützen und in Zukunftstechnologien zu investieren. Diese kurze Erholungsphase war aber 2012 mit Putins Rückkehr ins Präsidentenamt vorbei. Das Pro-Kopf-Einkommen ist heute auf dem Niveau von 2008. Seit Putin wieder im Amt ist, gibt es unterm Strich null Prozent Wachstum.

Mit Michael Rochlitz sprach Lea Verstl.

Quelle: ntv.de

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