
Buchhalter, Mathematiker, Schriftsteller ...: Die Liste der gefährdeten Jobs ist lang.
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Künstliche Intelligenz wird die Arbeitswelt auf den Kopf stellen wie die Erfindungen des Computers oder des Smartphones. ChatGPT ist dabei der "iPhone-Moment". Diese Revolution gefährdet viele Berufe. Nur die, die keiner mehr machen will, sind noch sicher.
Als ChatGPT Ende November an den Start ging, löste das Programm in Rekordzeit eine weltweite Revolution aus. Nur zwei Monate nach seiner Veröffentlichung hatte der Chatbot rund 100 Millionen aktive Nutzer und wurde damit laut einer UBS-Studie zur am schnellsten wachsenden Internet-App aller Zeiten - noch vor Tiktok oder Instagram. Denn mit ChatGPT sind Computer nun nicht mehr nur viel schneller als Menschen. Sie sind auch schon fast so kreativ.
Generative Pretrained Transformers (GPT) sind spezielle Algorithmen, die auf Aufforderung selbst Inhalte erzeugen können. Analysten können damit Zusammenfassungen schreiben, Computerprogrammierer Software und Schüler auf Knopfdruck Hausarbeiten. Die generative künstliche Intelligenz steht mit ChatGPT kurz vor der Marktreife. Und wird die Arbeitswelt ähnlich durcheinanderwirbeln wie die Erfindung des Computers, des Internets oder des Smartphones.
"Das ist der iPhone-Moment der Künstlichen Intelligenz", sagte kürzlich Nvidia-Chef Jensen Huang bei einem Vortrag an der US-Eliteuni Berkeley. Was die Entwickler von ChatGPT geschafft hätten, sei "wirklich eine der größten Errungenschaften, die jemals für die Computertechnik geleistet worden ist". Das Anwendungspotenzial ist riesig: Von der Dateneingabe über den Kundenservice bis hin zum Kassieren im Supermarkt dürfte kein Job von ChatGPT unberührt bleiben. Und manche womöglich ganz verschwinden.
Buchhalter und PR-Spezialisten aufgepasst
Laut einer Studie der Universität von Pennsylvania und OpenAI, der Firma hinter ChatGPT, hat der Chatbot vor allem für Buchhalter, Mathematiker und Schriftsteller großes Verdrängungspotenzial. Insgesamt könnten fast 20 Prozent aller US-Arbeitnehmer ersetzt werden, weil mindestens die Hälfte ihrer Aufgaben besser und schneller von KI-Modellen wie ChatGPT erledigt werden könnte. Berufe mit starkem Bezug zur Informationsverarbeitung - PR-Spezialisten, Gerichtsreporter und Blockchain-Ingenieure - seien am meisten gefährdet, Motorradmechaniker, Köche und Bohrarbeiter am wenigsten.
Weltweit könnten bis zu 300 Millionen Vollzeitstellen durch Künstliche Intelligenz wegfallen, schätzt die US-Investmentbank Goldman Sachs. Sie hält vor allem Verwaltungsmitarbeiter und Juristen für gefährdet. In den USA und Europa seien zwei Drittel aller Jobs "in irgendeiner Form der Automatisierung durch Künstliche Intelligenz ausgesetzt" und bis zu einem Viertel aller Arbeit könne komplett durch KI erledigt werden. "Dem Arbeitsmarkt könnte eine erhebliche Disruption bevorstehen."
Eigentlich hatte OpenAI-Gründer Sam Altman genau das verhindern wollen. Er fürchtete den Schaden für die Gesellschaft, wenn Künstliche Intelligenz aus reinem Profitinteresse ohne Schutzmaßnahmen rücksichtslos auf die Welt losgelassen wird. Und organisierte seine KI-Forschung ursprünglich als gemeinnützige Stiftung, der OpenAI Foundation. Inzwischen hat die eine gewinnorientierte Tochterfirma - und einen Exklusivdeal mit Microsoft: Der Tech-Riese hat über 10 Milliarden Dollar investiert und bekommt dafür alle Lizenzen für die Programme von OpenAI.
Die Tech-Giganten liefern sich ein Wettrennen: Chinas Internetriese Baidu hat seinen ChatGPT-Konkurrenten Ernie Mitte März vorgestellt, Google seinen Chatbot Bard vor knapp zwei Wochen. Sogar Elon Musk, der einst selbst Millionen an Altmans OpenAI gespendet hat und ansonsten von der menschlichen Besiedelung fremder Planeten träumt, ist der rasante Vormarsch der KI nicht geheuer. Zusammen mit Apple-Gründer Steve Wozniak und anderen Silicon-Valley-Größen forderte der Tesla-Chef kürzlich eine sechsmonatige Zwangspause bei der KI-Entwicklung - um verbindliche Sicherheitsregeln für die Technik zu entwickeln und ein unkontrolliertes Wettrüsten zu verhindern.
Stochastischer Papagei oder Computer-Genie?
Dabei liegt in generativer KI auch großes Potenzial. Langweilige, nervige Standardprozesse wie E-Mails können automatisiert, Angestellte von lästigen, zeitraubenden Aufgaben befreit werden, damit sie mehr Zeit für kreative Tätigkeiten haben. In US-Callcentern wird ChatGPT bereits eingesetzt, um Versicherungsschäden aufzunehmen, Anrufer an die richtigen Sachbearbeiter weiterzuleiten und Servicetermine auszumachen. Ob es den Menschen dabei je völlig ersetzen kann, ist fraglich.
Denn am Ende ist ChatGPT ein Sprachmodell, das auf vorhandenem menschlichen Wissen basiert. Es wird mit Milliarden menschlicher Texte aus dem Internet trainiert und lernt dabei, die darin enthaltenen Muster zu erkennen und zu reproduzieren. Kritiker sagen deshalb: Die Maschine plappert und ahmt letztlich nur nach, was Menschen zuvor geschrieben haben. Sie käut wieder und mixt, was es bereits gibt, statt etwas wirklich Neues zu schaffen.
Doch mit erstaunlich guten Ergebnissen. Und reichlich kreativem Potenzial: ChatGPT kann auch eine Ode an die Currywurst oder einen Liebesbrief an Mickey Mouse verfassen. Dabei ist oft kaum mehr zu unterscheiden, ob ein Mensch oder eine Maschine die Texte geschrieben hat. Die Richtigkeit der von ihr generierten Inhalte kann die KI zwar nicht überprüfen, geschweige denn ethische Maßstäbe daran anlegen. Doch die Grenze zwischen Nachahmung und Schöpfung verschwimmt zunehmend: Kernleistung der KI ist es, bereits vorhandene Kreativitäts-Bausteine sinnvoll neu zusammensetzen. Und ist das letztlich nicht die Definition von schöpferischer Gestaltung?
Die galt in der Arbeitswelt zusammen mit akademischer Bildung eigentlich als Versicherung gegen Arbeitslosigkeit. Jahrzehntelang hat der technologische Wandel deshalb vor allem Geringqualifizierte bedroht. Mit KI-Bots wie ChatGPT könnte sich das umdrehen. Denn in Zukunft werden Jobs mit Fähigkeiten, die am wenigsten automatisierbar sind, am sichersten sein. Neben kritischem Denken, emotionaler Intelligenz und Kreativität dürften das vor allem handwerkliche Tätigkeiten sein: Bauarbeiter, Mechaniker, Schneider und Klempner wird keine KI so schnell ersetzen können. Jedenfalls nicht, solange die Robotertechnik keinen ähnlichen Durchbruch erlebt wie die Künstliche Intelligenz mit ChatGPT.
Quelle: ntv.de