Kampf gegen die Deflation Rückkehr der Inflation macht China Hoffnung
09.09.2023, 22:49 Uhr Artikel anhören
Zinssenkungen reichen zur Stimulation der chinesischen Wirtschaft nicht aus. Diskutiert werden derzeit unter anderem Direktzahlungen an die Haushalte, um den Konsum anzukurbeln.
(Foto: picture alliance / Zoonar)
Die meisten Länder kämpfen gegen hohe Inflationsraten, doch China hat andere Sorgen. Sinkende Preise sowie eine ausgeprägte Konsumzurückhaltung, eine Immobilienkrise und schrumpfende Exporte könnten einen deflationären Teufelskreis auslösen. Neue Daten sorgen für - ein wenig - Entspannung.
Die chinesische Inflation ist im vergangenen Monat zurückgekehrt, nachdem die Verbraucherpreise im Sommer gesunken waren. Für Peking ist das ein hoffnungsvolles Zeichen, dass die Gefahr einer Deflation etwas eingedämmt ist. Dennoch sind Volkswirte der Auffassung, dass die Deflation noch nicht überwunden hat, da die Verbraucherpreisinflation nur knapp über Null liegt und die Erzeugerpreise den elften Monat in Folge fallen, wenn auch langsamer als zuvor.
Die Verbraucherpreise in China stiegen im August im Vergleich zum Vorjahr um 0,1 Prozent, nachdem sie im Juli im Jahresvergleich um 0,3 Prozent gefallen waren. Wie aus den Daten des chinesischen Statistikamtes hervorgeht, wurde die Inflation durch höhere Preise für Dienstleistungen angetrieben, da die Preise für Flugtickets, Tourismus und Unterkünfte während der Sommerpause gestiegen sind.
Deflation ist das Gegenteil von Inflation und bezeichnet den Rückgang des allgemeinen Preisniveaus. Ein Preisverfall auf breiter Ebene entsteht, wenn sich Verbraucher in Erwartung immer weiter sinkender Preise mit Käufen zurückhalten, was wiederum Umsatz, Gewinn und Investitionen von Unternehmen drückt.
Mit einer Reihe von Maßnahmen versucht die chinesische Regierung, den kriselnden Immobilienmarkt wiederzubeleben und die Verbraucher zum Kaufen anzuregen. Doch nach Ansicht vieler Ökonomen muss die Politik noch aggressiver vorgehen, um eine Erholung zu fördern, die stark genug ist, um die Inflation wieder auf ein gesundes Niveau zu bringen. Nach Ansicht der meisten Zentralbanken wäre das bei etwa zwei Prozent erreicht.
Erzeugerpreise im Sinkflug
Die Kerninflation, bei der Lebensmittel und einige andere volatile Posten nicht berücksichtigt werden, lag bei 0,8 Prozent und damit auf demselben Niveau wie im Juli, was darauf hindeutet, dass sich der allgemeine Preisdruck in der Wirtschaft nicht wesentlich verändert hat. Die schwache Inflation in China steht im Gegensatz zu den sich abkühlenden, aber immer noch hohen Werten in den meisten Ländern Asiens, den USA und Europa. Die Inflationsrate in den USA lag im Juli bei 3,2 Prozent, während der jährliche Preisanstieg in den 20 Ländern, die den Euro verwenden, im August 5,3 Prozent betrug.
Der deflationäre Druck in China spiegelt die aktuellen Schwierigkeiten der chinesischen Wirtschaft wider. Nachdem die strengen Covid-19-Kontrollen aufgegeben wurden, ist ein kurzer Konsumboom weitgehend verpufft. Ein langwieriger Einbruch im Immobiliensektor erweist sich als schwere Wachstumsbremse. Die Exporte sinken, während der Rest der Welt unter der Last höherer Zinssätze taumelt. Am Donnerstag veröffentlichte Daten zeigen, dass Chinas Exporte im August den vierten Monat in Folge gesunken sind. Auch die Importe schrumpften weiter.
Die Daten zeigen zudem, dass die Erzeugerpreise in China im August weiter gesunken sind, und zwar um 3 Prozent gegenüber dem Vorjahr, verglichen mit einem Rückgang von 4,4 Prozent im Juli. Die Schwäche der Erzeugerpreise spiegelt die Überkapazitäten in der chinesischen Industrie wider, da die Exporte versiegen und die inländischen Verbraucher sich gegen höhere Ausgaben sträuben.
Wachstumsziel gerät außer Reichweite
Die politischen Entscheidungsträger in Peking haben in den letzten Tagen eine Reihe von Maßnahmen angekündigt, um den Immobilienmarkt anzukurbeln und das Verbrauchervertrauen wiederzubeleben. So sollen Banken dazu angehalten werden, bestehenden Hausbesitzern niedrigere Hypothekenzinsen anzubieten und einige Beschränkungen für den Erwerb von Wohneigentum in Großstädten zu lockern. Regierungsvertreter betonten ihre Zuversicht, dass ihre Maßnahmen greifen. Der chinesische Premierminister Li Qiang sagte in der vergangenen Woche, er erwarte, dass die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt ihr offizielles Wachstumsziel von rund 5 Prozent in diesem Jahr erreichen werde.
Analysten zufolge gerät dieses Ziel allerdings zunehmend außer Reichweite, es sei denn, die Regierung ergreift mutigere Maßnahmen zur Ankurbelung des Wachstums. Beispielsweise könnte sie Finanzhilfen direkt an die Haushalte auszahlen oder die Steuern für angeschlagene Kleinunternehmen senken. "Wir sehen nicht die bedeutenden Stimulierungsmaßnahmen, die wir in früheren Abschwüngen gesehen haben", sagte Katrina Ell, eine leitende Wirtschaftswissenschaftlerin bei Moody's Analytics. Ell hat vor kurzem ihre Prognose für das Wirtschaftswachstum in China in diesem Jahr von 5,1 Prozent auf 4,9 Prozent gesenkt, teilweise als Reaktion auf die ihrer Meinung nach zögerliche Stimulierung durch die Regierung.
Sollte China mit einem ernsthafteren deflationären Umfeld konfrontiert werden, gibt es ein weiteres Problem: Die traditionellen Methoden zur Bekämpfung der Deflation sind in Peking entweder unpopulär oder aufgrund der hohen Schuldenlast des Landes nicht wirksam genug. Peking ist misstrauisch gegenüber großen defizitfinanzierten Ausgabenprogrammen, während die Zinssenkungen bisher nicht dazu beigetragen haben, die Zurückhaltung der Verbraucher und Unternehmen bei der Kreditaufnahme und den Ausgaben zu überwinden.
Quelle: ntv.de, mbo/DJ