Wirtschaft

Aktien für 155 Millionen Euro So wild zockte der Wirecard-Chef im Crash

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Ex-Wirecard-Chef Braun hat durch den Crash gigantische Verluste gemacht.

(Foto: REUTERS)

Erst gibt Wirecard Luftbuchungen in Milliardenhöhe zu. Nun kommt heraus: Ex-Chef Markus Braun hat im Crash massiv Aktien verkauft. Ist er ein Betrüger, der sich mit Insiderwissen finanziell sanieren wollte? Offenbar hat er sich auf Pump verzockt. Die Bafin ist alarmiert.

Im Bilanzskandal bei Wirecard reißen die Hiobsbotschaften nicht ab. Erst schockte der Münchner Tech-Konzern am Donnerstag mit der Enthüllung, dass ein Viertel seines Geldes offenbar nicht existiert. Nach dem Crash der Aktie trat Wirecard-Chef Markus Braun am Freitag zurück, am Dienstag wurde er festgenommen, am nächsten Morgen auf Kaution freigelassen. Nun kommt heraus: Der gefallene Dax-Manager hat mitten im Crash der Wirecard-Aktie millionenschwere Anteilspakete an seinem eigenen Unternehmen verkauft.

Einen solchen Hagel schlechter Nachrichten in so kurzer Zeit hat es bei einem Dax-Konzern selten gegeben. Anleger und Journalisten rätseln seitdem nicht nur, ob der Shootingstar der deutschen Börse, ob die größte Tech-Hoffnung Deutschlands auf Luftbuchungen basiert. Auch eine weitere Frage drängt sich auf: Ist Wirecard-Chef Markus Braun ein Betrüger, der beim Absturz der Aktie vergangene Woche auf Kosten von Anlegern Kasse gemacht hat?

Die vier Pflicht-Meldungen zu den Aktienverkäufen von Markus Braun, die Wirecard gestern Abend veröffentlicht hat, werfen jedenfalls mehr Fragen auf, als sie beantworten. Laut den Mitteilungen hat Braun Papiere im Wert von gut 155 Millionen Euro abgestoßen, rund zwei Drittel aller Wirecard-Anteile, die er besitzt. Als Gründer und Chef der Firma war Braun bis dahin mit sieben Prozent größter Einzelaktionär des Zahlungsdienstleisters gewesen.

Margin Calls für den Möchtegern-Manager

Brauns Verkäufe erfolgten laut Wirecard "aufgrund von Margin Calls". Das bedeutet, dass er seine regelmäßigen großen Aktienkäufe offenbar mit Bankkrediten finanziert hat. Bei solchen Margengeschäften muss der Käufer ähnlich wie bei einem Hauskauf einen Eigenanteil als Sicherheit hinterlegen, den Rest gibt die Bank als Kredit. In den Kreditbedingungen wird festgelegt, wann weiteres Geld als Sicherheit nachgeschossen werden muss - für den Fall, dass der Aktienkurs extrem fällt.

Die entscheidende Frage ist nun: Haben die finanzierenden Banken beim Crash der Wirecard-Aktie mehr Geld als Sicherheit von Braun verlangt - und hat er die Aktien daraufhin selbst verkauft, um seine Schulden zu begleichen? Oder waren Brauns Wirecard-Aktien laut Kreditvertrag so verpfändet, dass die Bank sie bei fallenden Kursen automatisch selbst verkaufen durfte? "Im Fall von Braun könnte es sein, dass der Gegenwert von Sicherheiten für einen persönlichen Kredit durch den Kursabsturz der Wirecard-Aktie so stark gefallen ist, dass er oder die Bank offenbar verkaufen musste", sagt NordLB-Analyst Wolfgang Donie ntv.de. Ob diese Transaktionen gesetzeskonform seien, müsse geprüft werden.

Wirecard will zur Aufklärung nichts beitragen. Auf einen umfangreichen Fragenkatalog von ntv.de zu den Aktienverkäufen des Ex-Chefs gibt es keine Antwort. Stattdessen teilt eine beauftragte PR-Agentur mit: "Die Wirecard AG gibt derzeit keine weiteren Stellungnahmen ab." Solange das so bleibt, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen, ob Braun nur ein Möchtegern-Manager war, der nicht gemerkt hat, dass in seiner Firma ein gigantischer Bilanzbetrug im Gange ist. Oder ob er Mittäter war, der die Finanztricks vertuscht und versucht hat, im Crash zu retten was zu retten ist.

Anhaltspunkte für mögliche Insidergeschäfte gibt es zur Genüge. Denn als Wirecard-Chef hat Braun ja selbst die Veröffentlichung kursbewegender Nachrichten gesteuert - wie etwa seinen eigenen Rücktritt oder die Mitteilung, dass fast zwei Milliarden Euro in der Bilanz fehlen. Mit diesem Wissen hätte sich Braun auf den Crash der Aktie vorbereiten und beim Kollaps schnell reagieren können. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass er womöglich selbst getraded hat, um wenigstens ein paar Schäfchen ins Trockene zu bringen, als der Ausverkauf bereits begonnen hatte.

Die Bafin ist alarmiert

Auffällig ist auch, dass Braun die Bombe, dass Wirecard ein Viertel seines Geldes gar nicht hat, nicht etwa außerbörslich platzen lässt, wie bei Informationen solcher Tragweite üblich. Sondern mitten im Handelstag, um genau 10:43 Uhr am Donnerstag. Als klar ist, dass die Wirtschaftsprüfer dem Konzern deshalb das Testat verweigern, schmiert die Wirecard-Aktie in nur wenigen Minuten von über 100 Euro auf nur noch rund 35 Euro um etwa 11:05 Uhr ab. Genau in diese ersten Minuten nach dem Offenbarungseid aus Aschheim fallen womöglich auch die ersten Aktienverkäufe von Braun: Laut Wirecard verkauft er an diesem Tag seine ersten Papiere für rund 4,4 Millionen Euro beim Kurs von 43,96 Euro. Und der wird erstmals schon kurz vor 11:00 Uhr durchbrochen - kurz nach der Adhoc-Meldung.

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Ob es genau so war, kann man allerdings nicht mit absoluter Gewissheit sagen: Die Wirecard-Aktie fuhr bis zum Handelsschluss Achterbahn und kreuzte die Kursschwelle noch mehrmals. Und zu den genauen Zeiten von Brauns Aktienverkäufen schweigt Wirecard auf Anfrage. Dafür, dass Braun an diesem Tag mit dem Finger am Abzug gesessen haben könnte, spricht auch, dass er über den ganzen Tag verteilt immer wieder Aktien abgestoßen hat, in insgesamt 15 Tranchen. Insgesamt wurde er am Tag des Crashs so Anteile für 44,8 Millionen Euro los, quasi auf den letzten Metern als Vorstandsvorsitzender.

Ins Auge sticht weiterhin, dass Braun den weitaus größeren Teil seiner Aktien aber gar nicht erst über den Xetra-Handel der Frankfurter Börse abgestoßen hat - sondern außerbörslich, also im anonymen Direktverkauf. Anteile für gut 45 Millionen Euro wurde er noch am selben Tag für 31,57 Euro je Aktie los. Und nur einen Tag später, ausgerechnet am Tag seines Rücktritts, noch zwei weitere Tranchen über 50,9 Millionen Euro und 14,4 Millionen Euro für Preise von rund 22 beziehungsweise 27 Euro. An wen Braun verkauft hat und warum, ist völlig unklar. Haben die Banken, die seine Aktiendeals auf Pump finanzierten, ihm die Papiere diskret abgenommen, bevor er abtrat? Hat Braun abseits der Börse verkauft, um den Wirecard-Kurs - und damit potenziell auch seinen eigenen Geldbeutel - zu schonen? Auch dazu kommt aus Aschheim bislang nur das gewohnte Schweigen.

Fest steht: Braun hat durch den Crash gigantische Verluste gemacht. Die sieben Prozent an Wirecard, die er einst hielt, waren am Tag vor dem Absturz auf dem Papier noch mehr als eine Milliarde Euro wert. Der weitaus größte Teil davon dürfte inzwischen verpufft sein. Doch die Frage bleibt: Hat er womöglich noch größere Verluste vermeiden können, weil er schon früher mehr wusste als die Anleger? Die Finanzaufsicht jedenfalls will sich mit den mageren Auskünften von Wirecard nicht zufriedengeben. "Selbstverständlich wird sich die Bafin die vier gestern veröffentlichten Aktienverkäufe aufgrund von Margin Calls ansehen", heißt es auf Anfrage von ntv.de. Die Behörde verweist darauf, dass Führungspersonen, die regelmäßig Zugang zu Insiderinformationen haben, ihre Geschäfte mit eigenen Aktien offenlegen müssen. "Insiderhandel ist zudem verboten und strafbar."

Quelle: ntv.de

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