Wirtschaft

Russland ersetzt den Westen Wie Putin Belarus wirtschaftlich an sich kettet

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Nicht nur Lukaschenkos Macht, auch die Wirtschaft seines Landes ist abhängig von Putin.

Nicht nur Lukaschenkos Macht, auch die Wirtschaft seines Landes ist abhängig von Putin.

(Foto: IMAGO/SNA)

Nach Kriegsbeginn stürzt die belarussische Wirtschaft ab. Doch inzwischen kann Russland die westlichen Sanktionen abfedern. Diktator Lukaschenko zahlt dafür einen hohen Preis.

Die Zeit, in der Belarus als das Silicon Valley des Ostens galt, ist nicht lange her. Ab Mitte der Nullerjahre entwickelte sich eine florierende IT-Branche, die vom Staat weitgehend in Ruhe gelassen wurde. Startups schossen reihenweise aus dem Boden und wurden steuerlich begünstigt. Westliche Unternehmen entdeckten die Ex-Sowjetrepublik als Brücke zwischen Ost und West, einheimische Firmen wie der Spieleentwickler Wargaming drängten auf den Weltmarkt. 2019 hatte die Tech-Industrie einen Anteil von über sechs Prozent an der Wirtschaftsleistung des Landes, Tendenz stark steigend. Die Hauptstadt Minsk war voll mit jungen und hoch spezialisierten Menschen.

Alleinherrscher Alexander Lukaschenko protegierte die Entwicklung unter der Prämisse, dass sich die Tech-Branche aus der Politik heraushält. Das hat gut funktioniert, bis er sich zum Sieger der manipulierten Präsidentschaftswahl 2020 erklärte. Die anschließenden Massenproteste, an denen sich viele IT-Experten beteiligten, wurden von Lukaschenko mit Schützenhilfe aus Moskau niedergeschlagen. Ein Exodus von Fachkräften folgte, der sich mit dem russischen Angriff auf die Ukraine nochmal verstärkte. Westliche Unternehmen wandten sich ab, große einheimische Player wie Wargaming siedelten über ins Ausland. Die Erfolgsgeschichte vom IT-Paradies Belarus nahm ein jähes Ende.

Belarus erlebte "großen Schock"

Der Niedergang der Tech-Branche ist Sinnbild für die schwere Wirtschaftskrise, in der das Land heute steckt. "Nach Ausbruch des Krieges gab es einen großen Schock", sagt Lev Lvovskiy vom Belarusian Economic Research and Outreach Center (BEROC), ein Thinktank mit Sitz im litauischen Vilnius, ntv.de. Aufgrund der westlichen Sanktionen, die verhängt wurden, weil Belarus den russischen Angriffskrieg unterstützt, sei die Wirtschaftsleistung eingebrochen, wie seit 1995 nicht mehr. Einige belarussische Banken wurden vom Swift-System verbannt, die baltischen Länder schlossen ihre Häfen für den Binnenstaat. Der Exporthandel mit der Europäischen Union halbierte sich, der mit der Ukraine entfiel ganz. Die vielversprechende IT-Branche nahm irreparable Schäden. Kurzum, die Sanktionen wirkten.

Doch mittlerweile schafft es Belarus, sich anzupassen, sagt Ökonom Lvovskiy. "Die Wirtschaft erreicht langsam wieder das Vorkriegsniveau." Die sanktionsbedingten Löcher konnten teilweise von Russland gestopft werden. Schon vor dem Krieg betrug der russische Anteil am Handel 40 Prozent, heute schätzt ihn Lvovskiy auf 70 Prozent. Nach BEROC-Berechnungen hat Russland dem Nachbarn nach Kriegsausbruch ein Darlehen von 1,5 Milliarden US-Dollar bereitgestellt und einen Aufschub der Schuldenzahlungen gewährt.

Die belarussischen Exporte nach Russland hätten sich seither um 40 Prozent erhöht, wobei unklar sei, ob das auf ein höheres Handelsvolumen oder auf höhere Preise zurückgeführt werden könne, sagt Lvovskiy. Darüber hinaus erhält Belarus Vorzugskonditionen bei der Lieferung von Öl und Gas aus Russland. Das bedeutet nicht nur, dass Belarus billige Energie bekommt. Untersuchungen von BEROC ergaben, dass Belarus im vergangenen Jahr 1,7 Milliarden US-Dollar mit dem Weiterverkauf von russischem Öl verdient hat. Die Kehrseite: Der Kreml setzt Energie immer wieder als machtpolitische Waffe ein. Die Abhängigkeit Lukaschenkos von diesen Lieferungen macht ihn erpressbar.

Russland ersetzt Ware aus der EU

Das Beispiel des staatlichen Landmaschinenherstellers Bobruiskagromash zeigt den ökonomischen Umbruch im Land. Früher importierte das Unternehmen Vakuumpumpen, die es für den Bau von Traktoren braucht, aus Italien. Weil die EU aber einen Einsatz der Maschinen im Ukraine-Krieg befürchtet, beschloss sie ein Exportverbot. Inzwischen erhalte Bobruiskagromash die benötigten Pumpen aus Russland, sagt Marketingdirektor Vladimir Daineko der "Financial Times". "Nach den Sanktionen im letzten Jahr haben wir sechs bis zehn Monate gebraucht, um herauszufinden, wie wir alle benötigten Teile ersetzen können, aber wir haben es geschafft", so Daineko.

Auch der belarussische Halbleiterhersteller Integral, seit dem Krieg auf der US-Sanktionsliste, erhält Beistand aus Moskau. Im Rahmen eines Subventionsprogramms seien 350 Millionen Dollar an das Minsker Unternehmen geflossen, sagt der belarussische Militäranalyst Alaksandr Alesin der "Financial Times". Die Investitionen sollen demnach auch Signalwirkung auf andere Länder haben, sich nach Russland und nicht nach China zu orientieren. "Putin muss den Krieg gewinnen, aber er will Belarus auch zu einem Beispiel für eine erfolgreiche und friedliche Integration machen", sagt Alesin.

Lukaschenko blickt nach China

Tatsächlich versucht Lukaschenko, sich China anzunähern. Bei einem Besuch in Peking Ende Februar betonten er und der chinesische Präsident Xi Jinping, ihre Handelsbeziehungen vertiefen zu wollen. Für Lukaschenko ist es die letzte verbleibende Möglichkeit, eine komplette Abhängigkeit von Russland abzuwenden. Für China hat Belarus zuletzt jedoch an Bedeutung verloren.

Bezeichnend dafür ist der Great-Stone-Industriepark, ein mit chinesischen Milliarden erbauter Megakomplex unweit von Minsk, den Xi einst "Perle des Seidenstraßenprojekts" getauft hatte. Es war der Versuch, in der aufstrebenden Hauptstadt einen Handelsumschlagplatz zwischen China und der EU zu etablieren. Doch spätestens mit dem Ukraine-Krieg erlosch Pekings Interesse, der Geldfluss verebbte. Heute exportieren die im Park angesiedelten Firmen laut "Financial Times" zu 80 Prozent nach Russland.

Plant Putin die Annexion?

Hatte Lukaschenko vor Kriegsbeginn noch versucht, sich eine Tür zum Westen und seinen Märkten offenzuhalten, ist er durch die vollumfängliche Unterstützung nicht nur machtpolitisch, sondern auch wirtschaftlich von Russland abhängig. Putin nutzt Belarus derweil als Parkplatz für seine Atomwaffen, russische Soldaten fielen von dort aus in die Ukraine ein. Lukaschenko verwehrt sich zwar gegen eine aktive Teilnahme am Krieg, hat Putin aber nicht viel entgegenzusetzen.

Beide Länder haben zudem einen Vertrag unterschrieben, um ihre Steuerpolitik anzugleichen und "Hemmnisse im gegenseitigen Handel" zu beseitigen, wie die Wirtschaftsseite bne Intellinews berichtet. Unter anderem wurde ein gemeinsames System eingeführt, das Daten aller Umsatzsteuerzahler aus Russland und Belarus speichert. "Moskau erhält praktisch vollen Zugang zu den Informationen belarussischer Unternehmen", sagt Lvovskiy. "Das bedroht die Souveränität von Belarus".

Eine Idee von Putins Zukunftsvision in Belarus gibt ein geleaktes Moskauer Geheimdokument, das von der "Süddeutschen Zeitung" veröffentlicht und von Experten als glaubhaft eingestuft wurde. Darin sind Wegmarken formuliert, die vorgeben, wie sich der Kreml den Nachbarstaat bis 2030 einverleiben will. Ein zentrales Ziel ist die Unterwanderung der Wirtschaft, an deren Ende eine einheitliche Währung und ein gemeinsamer Zoll- und Steuerraum stehen soll. Zunächst sollen aber Handelshemmnisse beseitigt, Gesetze angeglichen und belarussische Produkte über Häfen in Russland statt im Baltikum verschickt werden. Damit kommt der Kreml offenbar Schritt für Schritt voran.

Quelle: ntv.de

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