Politik

Lukaschenko nur noch Marionette Russland hat Belarus längst übernommen

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Durch seine Isolation ist Lukaschenkos Regime völlig abhängig vom Kreml.

(Foto: picture alliance/dpa/TASS)

Spätestens seit der blutigen Niederschlagung der Proteste im Jahr 2020 ist Alexander Lukaschenko in Belarus nicht mehr Herr der Lage. Er regiert zwar weiterhin mit harter Hand, doch die wichtigen Entscheidungen werden in Moskau getroffen. Die vollständige Einverleibung von Belarus durch Russland scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein.

Mehrere europäische Medien berichteten vor wenigen Tagen von einem Geheimdokument, das aus der Moskauer Präsidialverwaltung stammen und die Pläne der schrittweisen Übernahme von Belarus durch Russland beschreiben soll. Während im Westen die Veröffentlichung für viel Aufmerksamkeit und Entsetzen sorgte, reagierte die Gesellschaft in Belarus zurückhaltender. Denn dort erlebt man bereits seit Jahren oder gar Jahrzehnten, wie die Pläne des Kremls umgesetzt werden.

Im internen Kreml-Dokument mit dem Titel "Strategische Ziele der russischen Föderation in Belarus" aus dem Sommer 2021 wird laut Medienberichten beschrieben, wie sich Russland das Nachbarland bis zum Jahr 2030 Stück für Stück einverleiben will, ohne dass es einer militärischen Intervention bedürfte. Demnach soll die Bevölkerung immer mehr prorussisch beeinflusst werden, westliche Einflüsse dagegen sollen zurückgedrängt werden. 2030 solle aus Russland und Belarus schließlich ein "Unionsstaat" werden, mit einheitlicher Grenz-, Zoll- und Steuerpolitik, gemeinsamer Militärführung und einer gemeinsamen Währung. Russisch solle die dominierende Staatssprache werden.

Die Idee, einen Unionsstaat zu schaffen, ist nicht neu und kein Geheimnis. Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko und der damalige russische Präsident Boris Jelzin unterschrieben bereits 1997 einen Vertrag über die Union beider Staaten. Umgesetzt wurde das Vorhaben bisher nicht. Lukaschenko, der im Bund mit Russland wohl eine lediglich untergeordnete Rolle hätte spielen können, gelang es noch bis vor kurzem, einer engeren Integration mit Russland ausweichen. Die Proteste nach der gefälschten Präsidentenwahl im August 2020 änderten die Lage schlagartig.

Russland tut alles, um einen "Staatsstreich" zu verhindern

Lukaschenko, der friedliche Kundgebungen mit exzessiver Gewalt niederschlagen ließ, wurde aus einem zwischen Russland und dem Westen geschickt manövrierendem Präsidenten zum Ausgestoßenen, der nur dank der Hilfe aus dem Kreml an der Macht bleiben konnte. Russland hatte damals nicht nur Lukaschenkos Wahlsieg anerkannt - was sonst nur wenige Länder der Welt getan haben -, sondern sein Regime auch noch mit einem milliardenschweren Kredit gestützt. Und Putin erklärte bereits im August 2020, er würde Lukaschenko mit russischen Sicherheitskräften zur Seite zu stehen, sollten die Proteste eskalieren. Russland sei bereit gewesen, dem Regime "jede Unterstützung zu leisten, um einen Staatsstreich zu verhindern", räumte der russische Außenminister Sergej Lawrow im Juni vergangenen Jahres im belarussischen Staatsfernsehen ein.

"Ein energischerer Protest hätte eine bewaffnete Intervention Russlands hervorgerufen", schrieb neulich der politische Analyst Juri Drakochrust in einem Artikel des Nachrichtenportals Zerkalo. "Was Russland im Februar 2022 in der Ukraine getan hat, wäre 2020 in Belarus geschehen."

Lukaschenko ist nur noch eine Marionette des Kremls

Spätestens nach der Niederschlagung der Proteste wurde Lukaschenko zu einer Marionette des Kremls. Die Gegenzahlung für die politische und wirtschaftliche Unterstützung ließ nicht lange auf sich warten. Im November 2021 knickte Lukaschenko nach jahrelangem Zögern ein und unterschrieb ein Dekret über eine Integration in einen Unionsstaat mit Russland. Das Dokument sieht insgesamt 28 Integrationsprogramme vor - darunter eine abgestimmte Militärdoktrin.

Wenige Monate später marschierten Russlands Truppen unter anderem von Belarus aus in die Ukraine ein. Seitdem wird andauernd darüber spekuliert, dass Belarus auch bald mit seinen Streitkräften in den Krieg einziehen könnte. Im November vergangenen Jahres gab Lukaschenko unter Verweis auf die Militärdoktrin des Unionsstaates die Schaffung einer gemeinsamen Truppe mit Russland bekannt.

An diesen Beispielen kann man sehen, wie weit Russland in seinen Plänen der Einverleibung von Belarus bereits fortgeschritten ist. Durch seine Isolation ist Lukaschenkos Regime jetzt schon politisch und wirtschaftlich völlig abhängig vom Kreml.

Belarussische Journalisten durch RT-Propagandisten ersetzt

Auch in anderen Bereichen lässt sich eine deutliche Ausweitung des russischen Einflusses beobachten. In den vergangenen zwei Jahren zerschlug das Regime die Medienlandschaft des Landes. Keine einzige unabhängige Redaktion ist in Belarus geblieben, einige setzen ihre Arbeit jedoch im Ausland fort. Staatliche Medien verbreiten verstärkt Narrative der russischen Propaganda.

Beobachter machen auf die zunehmend aggressive Rhetorik in der Berichterstattung aufmerksam, die seit dem russischen Überfall auf die Ukraine um ein weiteres verschärft wurde. Das lässt sich unter anderem mit der Tatsache erklären, dass Lukaschenko zahlreiche belarussische Journalisten staatlicher Medien nach einer massiven Kündigungs- und Streikwelle im Herbst 2020 durch Propagandisten des Kreml-Senders RT ersetzen ließ.

Belarussisch spricht kaum jemand mehr

Die belarussische Sprache, die seit Lukaschenkos Machtantritt 1994 vehement unterdrückt wird, führt heute nur noch ein marginales Dasein. Im Alltag wird sie kaum benutzt. Wer etwa in Minsk in der Öffentlichkeit Belarussisch spricht, wird komisch angeschaut. Wenn im Jahr 2005 noch rund ein Viertel der Schüler in ihrer Heimatsprache unterrichtet wurden, sind es heute nach offiziellen Angaben nur noch zehn Prozent, Tendenz sinkend.

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In den vergangenen Jahren ließ die Regierung mehrere belarussischsprachige Verlage und Buchhandlungen schließen - wie etwa "Knihauka" in Minsk. Das Geschäft wurde im Mai 2022 im Zentrum von Minsk eröffnet, bereits wenige Stunden später kam die Polizei in die Buchhandlung, durchsuchte sie und nahm den Gründer und eine Mitarbeiterin fest. Kurz zuvor hatten drei bekannte Propagandisten nach einem Besuch im Geschäft in sozialen Medien bemängelt, es gebe "kein einziges Buch auf Russisch hier".

Die nun geleakten Pläne des Kremls und die Entwicklungen der letzten Jahre zeigen, wie Lukaschenko die belarussische Staatlichkeit für seinen Machterhalt aufs Spiel setzt. Sie machen auch deutlich, dass es für Belarus aktuell nur noch zwei Szenarien möglich sind: entweder sich widerstandslos von Russland einverleiben lassen oder für die Unabhängigkeit zur Wehr zu setzen. Wie schwierig das ist, zeigt das Beispiel der Ukraine, die seit nunmehr neun Jahren erbittert um ihre Freiheit kämpft.

Quelle: ntv.de

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