Bundesregierung greift ein Kirche: Weitere Missbrauchsfälle
20.02.2010, 17:45 UhrAuch in Bayern gab es offenbar weitere Missbrauchsfälle in Einrichtungen der katholischen Kirche. Nun macht die Bundesjustizministerin Druck und schlägt einen Runden Tisch mit allen Beteiligten vor.
Der Skandal um den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in der katholischen Kirche weitet sich aus. Mindestens sieben weitere katholische Einrichtungen sind Medienberichten zufolge mit neuen Vorwürfen konfrontiert. Unterdessen fordert auch Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) die Bischöfe zum Handeln auf.
Die Justizministerin sagte dem "Spiegel": "Ich erwarte von der katholischen Kirche konkrete Festlegungen, welche Maßnahmen für eine lückenlose Aufklärung ergriffen werden." Die FDP-Politikerin schlug zudem Ombudsleute und einen Runden Tisch vor, an dem Vertreter der Opfer sowie aus Politik und Kirchen sitzen sollten. Ein solches Gremium sei "ein guter Weg, um die zahlreichen Missbrauchsfälle aufzuklären und der katholischen Kirche Gelegenheit zu bieten, mit den Opfern über freiwillige Entschädigungen ins Gespräch zu kommen", sagte die Ministerin.
"Strukturproblem der Kirche"
Der Hamburger Erzbischof Werner Thissen bezeichnete den Missbrauchsskandal als "Strukturproblem" der Kirche. Der 71-Jährige räumte in der "Frankfurter Rundschau" einen "in unseren Reihen sexuellen Missbrauch in einem erschreckenden Maße" ein. Die Kirche könne jetzt mit aktiver Aufklärung eine Vorreiterrolle einnehmen. Das liege im "eigenen Interesse, denn eine Kirche mit morschem Gebälk hat keinen Bestand", sagte Thissen.
Zu Kindesmissbrauch durch katholische Geistliche soll es auch in zwei ehemaligen Heimen der Salesianer Don Boscos in Augsburg und Berlin gekommen sein, wie der "Spiegel" berichtete. Ebenfalls betroffen seien ein ehemaliges Kinderheim der Vinzentinerinnen im oberschwäbischen Oggelsbeuren sowie das Maristen-Internat im bayerischen Mindelheim und das frühere Franziskaner-Internat in Großkrotzenburg bei Hanau. Massive Missbrauchsvorwürfe gebe es auch gegen frühere Mitarbeiter des Franz-Sales-Hauses in Essen, einer renommierten Behinderten-Einrichtung. Der heutige Leiter der Institution sagte laut "Spiegel", er wolle "ohne Rücksicht auf das Image der Einrichtung" für Aufklärung sorgen.
Immer weitere Fälle
Die "Frankfurter Rundschau" berichtet von einem weiteren Fall im Bonner Internat Sankt Ludwig Kolleg des katholischen Ordens der Franziskaner-Minoriten in den 70er Jahren. Der betroffene Pater sei 1976 nach Würzburg versetzt worden und würde immer noch mit Jugendlichen arbeiten.
Der Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker rechnet mit einer weiter steigenden Zahl von Missbrauchsopfern in katholischen Einrichtungen. "Wir müssen davon ausgehen, dass es weitere, uns nicht bekannte Fälle gibt", sagte Becker. Er begrüße grundsätzlich den offensiven Umgang der Jesuiten mit den Missbrauchsfällen. "Die derzeit hergestellte Öffentlichkeit für das Thema ist ein positiver Tabubruch." Eine Abschaffung des Zölibats ist seiner Ansicht nach keine Lösung. Abhilfe schaffe nur ein verantwortungsvoller "Umgang mit der eigenen Sexualität, verheiratet wie unverheiratet".
Die Vollversammlung der Bischöfe will sich auf ihrer Frühjahrskonferenz in der kommenden Woche in Freiburg mit dem jüngsten Skandal befassen, in dessen Verlauf sich bisher bereits rund 120 Opfer gemeldet haben.
Quelle: ntv.de, AFP/dpa