Wirtschaftsregierung soll kommen Bangen um den Euro geht weiter
17.12.2010, 16:05 Uhr
Die europäische Wirtschaftsregierung ist noch Zukunftsmusik. Sie soll die Krisenländer in ihre Schranken weisen.
(Foto: dpa)
Milliardenschwere Hilfspakete für Griechenland und Irland und riesige Rettungsschirme reichen offenbar nicht aus. Das ist die Lehre nach einem Jahr Euro-Krise. Deshalb machen Kanzlerin Merkel und ihre EU-Kollegen jetzt Ernst: Eine Wirtschaftsregierung muss her. Gleichzeitig machen sie Montenegro offiziell zum Beitrittskandidaten.
Nach dem Beschluss eines ständigen Euro-Krisenfonds auf dem EU-Gipfel in Brüssel sind die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten dennoch nicht in Feierlaune. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte zum Abschluss des Treffens, sie könne für das Jahr 2011 "keinen konkreten Ausblick geben". Die Teilnehmer einigten sich aber auch darauf, künftig in der Wirtschaftspolitik enger zusammenzuarbeiten.
Die EU-Staaten bekundeten auf dem zweitägigen Gipfel nach den Worten Merkels ihre Entschlossenheit, dass "alles getan wird, um die Stabilität des Euro zu erhalten". Die EU sei auf dem Weg zu einer Wirtschaftsregierung. Schon im nächsten Jahr werde es dazu konkrete Absprachen geben, kündigte Merkel an.
Zum Schutz des Euro beschlossen die EU-Staaten als letzte in einer Reihe von Maßnahmen eine Änderung des EU-Vertrags von Lissabon, damit ein ständiger Krisenfonds für angeschlagene Euro-Länder aufgelegt werden kann. EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy sagte, die EU habe einen weiteren grundlegenden Schritt "in der Arbeit dieses Jahres getan, um die europäischen Volkswirtschaften krisenfester zu machen".
Gipfel will sich nicht festlegen
Hoch verschuldeten Euro-Ländern sollen damit auch ab 2013 Milliardenkredite zur Verfügung stehen. Der vorläufige Notfonds über 750 Milliarden Euro und die Hilfen für Griechenland über weitere 110 Milliarden Euro laufen dann aus. Die genaue Höhe des neuen Fonds ließ der Gipfel offen. In Brüssel hieß es aber, nötig seien mindestens die bisherigen 750 Milliarden Euro, um kein negatives Signal an die Finanzmärkte zu senden. "Wenn der Euro fällt, wird Europa in diesem Moment explodieren", rechtfertigte Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy den neuen Rettungsfonds.
Nach Merkels Worten zwinge die Schuldenkrise viele EU-Staaten im kommenden Jahr zu einer Fülle von Reformen. Die Einigung auf den Euro-Rettungsmechanismus sei ein wichtiger Schritt, erklärte die Kanzlerin. Neben der Stabilisierung der nationalen Haushalte stehe eine bessere Wettbewerbsfähigkeit der EU-Staaten auf der Agenda. Zudem müssten die Einzelheiten des Euro-Rettungsschirms ab 2013 geklärt werden.

Barroso will die EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten besser aufeinander abstimmen.
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Als Lehre aus der Krise wollen die EU-Staaten in Zukunft nicht nur ihre Haushalte konsolidieren, sondern sich auch in der Wirtschaftspolitik enger abstimmen. Das sei das Thema des nächsten Jahres, kündigte Merkel an. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso forderte, die EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten müssten besser abgestimmt handeln. Offiziell wurde der Begriff europäische Wirtschaftsregierung in den Sprachgebrauch aufgenommen.
Strittiges wird vertagt
Streit und Unstimmigkeiten hatten in den vergangenen Monaten zu den Turbulenzen in der Euro-Zone beigetragen. Kurz vor dem Gipfel hatte der von Deutschland strikt abgelehnte Vorschlag von Euro-Gruppenchef Jean-Claude Juncker für Aufsehen gesorgt, gemeinsame Staatsanleihen der Euro-Länder aufzulegen. Die Debatte wurde jedoch auf dem Gipfel auf unbestimmte Zeit vertagt, wie der luxemburgische Regierungschef sagte. Juncker zeigte sich dennoch überzeugt davon, dass gemeinsame Euro-Anleihen trotz der Ablehnung aus Deutschland und Frankreich kommen werden. "Ich bin der Meinung, dass diese Idee ihren Weg machen wird." Er werde sich mich aber nicht dazu versteigen, jeden Tag wieder mit der großen Glocke durch Europa zu reisen, um für die Euro-Bonds zu werben."
Lob und Kritik für Merkel
Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) begrüßte die Gipfelbeschlüsse. Merkel sei es gelungen, "erfolgreich europäische wie deutsche Interessen wahrzunehmen", erklärte Westerwelle in Berlin. Auf Drängen Deutschlands wird in den EU-Vertrag geschrieben, dass Hilfen aus dem neuen Rettungsfonds nur das allerletzte Mittel sein dürfen.
Grünen-Chef Cem Özdemir warf Merkel eine "engstirnige Europapolitik" vor. Sie habe eine "langwierige Änderung des Lissabon-Vertrages durchdrückt", bleibe aber untätig "bei den notwendigen Maßnahmen, um weitere Feuer und Flächenbrände in der Euro-Zone zu verhindern", erklärte Özdemir in Berlin. Der Bundestag und die 26 anderen nationalen Parlamente müssen die Vertragsänderungen für den Rettungsschirm bis Ende 2012 noch ratifizieren.
Die EU-Gipfelbeschlüsse stoßen aber auch in der deutschen Wirtschaft auf ein geteiltes Echo. Scharfe Kritik kommt aus der Export-Industrie. Außenhandelspräsident Anton Börner warf den Regierungen vor, sich lediglich Zeit gekauft zu haben. Die Bankenverbände zeigten sich dagegen erleichtert, dass es nun einen dauerhaften Euro-Rettungsschirm geben soll. Europa habe Handlungsfähigkeit bewiesen.
In der Finanzbranche überwog dagegen Optimismus. "Die dauerhafte Verankerung des Rettungsschirms stärkt die Architektur der Europäischen Währungsunion", erklärte der Sparkassenverband (DSGV). Europa habe sich klar und unmissverständlich zum Euro bekannt. Ähnliche Töne kamen vom Bankenverband (BdB), in dem die Privatbanken organisiert sind. BdB-Hauptgeschäftsführer Michael Kemmer sagte im "Deutschlandfunk", es sei vernünftig, dass mit dem neuen Euro-Rettungsmechanismus in Ausnahmefällen auch private Anleihegläubiger mit einem Forderungsaufschub oder -verzicht einbezogen würden. Er begrüßte zudem, dass der aktuelle Rettungsschirm nicht erweitert wurde.
Montenegro jetzt Beitrittskandidat

Milo Djukanovic, der Regierungschef von Montenegro, verspricht umgehend weitere Reformen in seinem Land.
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Die EU verlieh auf dem Gipfel zudem Montenegro offiziell den Status eines Beitrittskandidaten. Montenegro ist jetzt der fünfte Beitrittskandidat der Gemeinschaft. Das Land ist erst seit 2006 von Serbien unabhängig. Noch ist nicht abzusehen, wann Verhandlungen über den Beitritt aufgenommen und wie lange diese dauern werden. Die Regierung Montenegros stellte umgehend weitere Reformen in Aussicht nachdem die EU diese bei Polizei, Justiz und den Medien eingefordert hatte sowie mehr Einsatz im Kampf gegen die weit verbreitete Korruption und organisierte Kriminalität verlangte.
Montenegro ist neben Kroatien und der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien der dritte Staat des westlichen Balkans, der zum Beitrittskandidaten ernannt wurde. Andere offizielle Kandidaten sind die Türkei und Island. Andere Balkanstaaten wie Albanien, Bosnien-Herzegowina, Serbien und Kosovo wollen ebenfalls der EU beitreten, sind aber bisher lediglich "potenzielle Beitrittskandidaten". Sie sind noch unterschiedlich weit von Beitrittsverhandlungen entfernt.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts