Ein Bericht aus Kiew "Diese Wahl verdient Respekt"
27.10.2014, 14:29 Uhr
Die Ukrainer haben sich klar für einen proeuropäischen Kurs entschieden.
(Foto: REUTERS)
Die grüne Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck war während der Parlamentswahlen in der Ukraine. Sie berichtet von großer Professionalität in einer extremen Situation. Die Gefahr, dass Moskau das Land weiter destabilisiert, hält sie aber noch nicht für gebannt.
n-tv.de: Wie lief die Wahl ab?
Marieluise Beck: Die Wahlhelfer waren sehr sorgfältig. Alles wirkte sehr sauber. Insofern war der Eindruck ganz hervorragend.
Die Stimmung der Wähler auch?
Die Stimmung war nicht so euphorisch wie bei den Präsidentschaftswahlen. Es herrscht nach wie vor eher Krieg als Waffenstillstand im Osten des Landes. Über der Ukraine liegt zudem die Furcht, dass der russische Präsident Wladimir Putin seine aggressive Politik weiter fortsetzt. Niemand weiß, ob die Städte Mariupol, Charkiw, Odessa seine nächsten Ziele sein werden.
Und den Menschen geht es auch sonst nicht gut …
Über Kiew strahlt ein blauer Himmel, aber es ist eisig kalt. Die Heizungen in den großen Wohnblocks der Stadt sind nicht eingeschaltet, weil Putin kein Gas schickt. Keiner weiß, was da noch auf die Menschen zukommt, wenn der Winter richtig hereinbricht.

Grünen-Politikerin Marieluise Beck: "Wenn der Kreml jetzt die Legitimität der Wahlen anzweifelte, wäre das ein durch und durch doppeltes Spiel."
(Foto: picture-alliance / dpa/dpaweb)
Die Wahlbeteiligung lag nur knapp über der 50-Prozent-Marke. Haben die Bürger den Glauben in Politik und Demokratie angesichts ihrer schwierigen Lage endgültig verloren?
Es wird sicherlich noch Zeit brauchen, bis die Ukrainer wieder Vertrauen in die parlamentarische Repräsentation fassen. Die Menschen haben hier in den letzten Jahren viele schlechte Erfahrungen gesammelt. Da war die große Enttäuschung nach der orangenen Revolution. Und das letzte Parlament war durchsetzt von Handlagern der Oligarchen.
Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund das Ergebnis der Wahl? Erste Hochrechnungen sind ja bereits im Umlauf.
Wir schauen in Deutschland ja immer sehr stark auf die rechten Kräfte in der Ukraine. Das hat viel zu tun mit der russischen Propaganda, die sich darum bemüht, die Bürger und Freiheitsbewegung des Maidan in einen antisemitischen und faschistischen Aufstand umzudeuten. Dass die Mehrheit der Bürger in ihrer schwierigen Situation - Angst vor Putin, kein Gas aus Russland - rechtspopulistischen, nationalistischen Kräften eine Absage erteilt hat, verdient Respekt.
Welches Signal geht insgesamt von dieser Wahl aus?
Es gibt zwei Grundbotschaften der Wähler. Erstens: "Wir wollen einen proeuropäischen Kurs." Zweitens: "Wir wollen eine Regierung der Reformen." Und das sind gute Botschaften. Drei große Parteien, die alle für Reformen stehen, der Block Poroschenko, die Partei von Ministerpräsident Jazenjuk und die neu gegründete Somopomoschtsch (Selbsthilfe), haben gewonnen. Gerade Somopomoschtsch steht für die Botschaft: "Nehmt euer Schicksal selbst in die Hand. Wartet nicht auf den Staat. Verabschiedet euch vom Paternalismus der alten Zeit." Ich gehe davon aus, dass diese drei Kräfte die Modernisierung des Landes voranbringen. Dazu gehört unbedingt, der endemischen Korruption zu Leibe zu rücken, staatliche Institutionen aufzubauen, die nicht der Selbstbedienung dienen können, und Rechtstaatlichkeit herzustellen, damit Sicherheit für die Bürger, aber auch für die Wirtschaft besteht.
Sie spielen auf den großen Einfluss von Oligarchen auf die Politik in der Ukraine an. Eines der besten Ergebnisse der Wahl hat aber der Block des Präsidenten Petro Poroschenko bekommen, der selbst als einer gilt.
Das stimmt. Das Problem ist mit der Wahl nicht behoben, aber es hat sich deutlich verschoben. Der Euro-Maidan hat sich ursprünglich gegen die Herrschaft der Korruption und damit auch gegen die Herrschaft der Oligarchie gewendet. Die Aggression Russlands hat die Ukraine gegen den Willen der Bürger in eine Akzeptanz zumindest eines Teils der Oligarchie gezwungen. Die Oligarchen wurden gebraucht, um dabei zu helfen, die Souveränität des Landes zu verteidigen. Dass trotzdem eine neue Partei wie Somopomoschtsch aus dem Stand heraus so gut abschneidet, zeigt aber, wo es hingeht.
Auch die Partei des Kreml-treuen früheren Präsidenten Viktor Janukowitsch hat verhältnismäßig gut abgeschnitten.
Dafür gibt es zwei Gründe: Die russische Propaganda beeinflusst massiv die russischsprachigen Bürger im Osten des Landes. Die Separatisten haben dort als Erstes die ukrainischen Medien abgestellt. Zweitens gibt es aber auch in der Ukraine Menschen, die sich Russland sehr verbunden fühlen. Es ist vor allem die ältere Generation aus den östlichen Teilen des Landes, den alten Industrierevieren, die Russland mit ihrer guten alten Zeit in der Sowjetunion assoziieren. Das sind Menschen, die als Berg- oder als Stahlarbeiter zwar ein bescheidenes Leben fristeten, aber sich als anerkannter Teil der Gesellschaft fühlten. Diese Menschen denken, sie könnten mit Putin diese Zeiten zurückholen. Nur wissen sie nicht, dass diese Zeiten auch in Russland längst vergangen sind.
Und wenn die Menschen dann noch frieren, weil Putin kein Gas in die Ukraine lässt, verstärkt sich der Eindruck, dass es ihnen früher doch besser ging …
Ja, dahinter steht auch die Erwartung, dass man den massiven Wirtschaftskrieg, den Putin gegen die Ukraine führt, dadurch beenden könnte, dass man sich dem Kreml beugt. Aber die Menschen, die daran glauben, haben nicht im Blick, dass es dann keine Befreiung von Korruption, Oligarchie und fehlender Rechtstaatlichkeit geben kann. Zum Glück denkt das nur ein kleiner Teil der Bevölkerung. Die Mehrheit sieht es so: "Wir gehen jetzt durch ein Tal der Tränen, aber nur das ermöglicht uns eine gute Zukunft."
Rund um die Regionen Donezk und Lugansk waren praktisch keine Wahlen möglich.
Dass fünf Millionen Menschen in der Ukraine nicht an den Parlamentswahlen teilnehmen konnten, haben die Separatisten und vor allem Dingen Putin zu verantworten. Wenn der Kreml jetzt die Legitimität der Wahlen anzweifelte, wäre das ein durch und durch doppeltes Spiel.
Am nächsten Sonntag halten die Separatisten in der Ostukraine selbst Wahlen ab.
Das gehört zum Spiel. Das ist ein klarer Verstoß gegen das Minsker Abkommen, das Putin persönlich verhandelt hat. Der Präsident muss jetzt erklären, dass er die Wahlen der Separatisten nicht anerkennt. Dazu hat er sich verpflichtet. Wenn Putin diese Erklärung nicht abgibt, läuft doch alles wieder nach der Blaupause der Krim ab: Auf Grundlage einer illegitimen Abstimmung wird die Unabhängig in einem Teil des Staatsgebiets der Ukraine erklärt. Dann ist ein weiterer Teil der Zerstörung der Ukraine vollendet. Und Putin tut so, als habe er mit der Sache nichts zu tun.
Mit Marieluise Beck sprach Issio Ehrich
Quelle: ntv.de