Atomgesetz ohne Vetorecht Schwarz-Gelb wähnt sich sicher
09.06.2010, 12:15 UhrDie Bundesregierung will unbedingt die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängern und dafür Milliarden von den Betreibern kassieren. Die Fraktionen sind mit einer einzigen Ausnahme dafür, dem Bundesrat in dieser Frage kein Vetorecht einzuräumen. Diese Stimme gehört ausgerechnet dem zuständigen Minister.

Atomkraftgegner protestieren vor dem Bundestag gegen eine Laufzeitverlängerung deutscher Atomkraftwerke.
(Foto: dpa)
In der Regierungskoalition ist eine Vorentscheidung darüber gefallen, dass der Bundesrat kein Vetorecht bei der Verlängerung der Atomlaufzeiten erhalten soll. "Es gibt keinen anderen Weg", hieß es in Koalitionskreisen. Der Weg über ein zustimmungsfreies Gesetz werde von allen maßgeblichen Personen in der Regierung und den Regierungsfraktionen bis auf Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) favorisiert. Dazu gehörten das Kanzleramt, Innen-, Finanz- und Justizministerium und die Fraktionsführungen von Union und FDP. "Eine Vorentscheidung ist längst gefallen", hieß es. In der Länderkammer haben Union und FDP keine eigene Mehrheit.
Mit Sparmaßnahmen begründet
Formell will die Regierung aus Rücksicht auf Röttgen diese Frage erst Mitte Juli entscheiden. Letzte Klärung brachte jetzt offenbar die Aufstellung des Sparpakets. Denn die Regierung möchte auf jeden Fall ab dem kommenden Jahr 2,3 Milliarden Euro von den Atomkonzernen kassieren – und auch dafür den Bundesrat nicht einschalten. Zudem wird darauf verwiesen, dass der Bundesregierung gar keine andere Wahl bleibe, als ein zustimmungsfreies Verfahren zu wählen. "Würde sie jetzt für einen zustimmungspflichtigen Weg votieren, würde sie gleichzeitig einräumen, dass bereits das Ausstiegsgesetz rechtswidrig war, das ebenfalls ohne Bundesrat beschlossen wurde", betonte ein Koalitionsvertreter. Die Folge wären unkalkulierbare Schadenersatzforderungen der Konzerne.

Ein Modell eines Brennelements mit Brennstäben im Besucherzentrum des Atomkraftwerks Krümmel.
(Foto: dpa)
Am Dienstag hatte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Peter Altmaier, offen gemahnt, "dass der politische Gegner nicht Schiedsrichter spielen darf". Er spielte damit darauf an, dass die schwarz-gelbe Koalition seit der Wahl in Nordrhein-Westfalen keine Mehrheit im Bundesrat mehr hat. Das macht eine Zustimmung der Länderkammer zu der im Koalitionsvertrag angestrebten Laufzeitverlängerung sehr unwahrscheinlich.
Entscheidung tatsächlich noch offen
Ein Gutachten des Justiz- und Innenministeriums bezeichnet die ins Auge gefasste Umgehung der Länder bei der geplanten Verlängerung zwar als wohl "noch vertretbar". Allerdings sei dies mit einem nicht unerheblichen verfassungsrechtlichen Risiko verbunden, mahnen die Verfassungsexperten. Ein anderes Gutachten des kürzlich ausgeschiedenen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, für das Umweltministerium war von einer Zustimmungspflicht des Bundesrates ausgegangen. Papier kommt zu dem Schluss, dass selbst die Begrenzung der Laufzeiten im Jahr 2002 zustimmungspflichtig gewesen sei. Diese hatte damals das Gesetzgebungsverfahren ohne das Ja des Bundesrats passiert. Die Zustimmungspflicht leitet sich laut Papier aus der Atomaufsicht ab, die die Länder im Auftrag des Bundes ausüben.
Geld bereits verplant
Die geplante neue Brennelemente-Steuer soll nach Angaben des Finanzministeriums auch eine Milliardenlücke bei der Sanierung des Atommüll-Lagers Asse II in Niedersachsen schließen. Hier seien Kosten von drei bis vier Milliarden Euro für den Bund noch nicht gedeckt, sagte Ministeriumssprecher Michael Offer.
Die Asse ist nach Wassereinbrüchen einsturzgefährdet. Unter der Erde liegen tausende Fässer mit schwach- und mittelradioaktivem Atommüll. Die Sanierungsarbeiten sollen im November beginnen.
Zwei Fragen oder eine?
Umstritten ist offenbar, ob die Verlängerung der Laufzeiten unabhängig von der neuen Brennelemente-Steuer ist oder nicht. Während Vize-Regierungssprecher Christoph Steegmans dies verneint, spricht Unionsfraktionschef Volker Kauder von einer "Einheit" der beiden Entscheidungen.
Quelle: ntv.de, rts/dpa