Motivation ist alles Desinteresse an Wahl hilft Union
16.09.2009, 12:51 UhrAlle Parteien versuchen zehn Tage vor der Bundestagswahl noch einmal das Volk zum Urnengang anzuregen. Doch dass die Appelle fruchten, glauben nur die wenigsten Beobachter. Meinungsforschungsinstitute und Wahlstatistiker halten eine historisch niedrige Wahlbeteiligung eher für wahrscheinlich.

Die öffentliche Meinung ist eindeutig: "Langweiliger Wahlkampf und Merkel gewinnt sowieso."
(Foto: dpa)
Dabei ist die Wahlbeteiligung nicht nur eine Größe zum Messen der vermeintlichen Politikmüdigkeit. Insbesondere die Stimmenanteile von CDU und CSU stehen in direktem Zusammenhang mit der Wahlbeteiligung. "Immer wenn bei den letzten Landtagswahlen die Beteiligung konstant blieb oder stieg, verlor die Union mehr als zehn Prozentpunkte. Ging dagegen die Beteiligung deutlich zurück, konnte sie ihren Stimmenanteil nahezu behaupten", rechnet Matthias Moehl von election.de vor.
Der Grund für diese Beobachtung dürfte in der Mobilisierungsfähigkeit von CDU und CSU liegen. Die beiden Unions-Parteien erreichen ihre Klientel, das vor allem katholisch geprägte Bürgertum, immer noch. Pflichtschuldig geht der Unions-Wähler zu den Wahlen – und er neigt auch nicht zu überraschenden Wechselambitionen in der Wahlkabine. Ganz anders sieht es aber bei den kleinen Parteien und vor allem der SPD aus. Gerade die SPD-Wähler kämpfen seit einigen Jahren mit Motivationsproblemen. Geht eine geringe Wahlbeteiligung aber vor allem zu Lasten der Sozialdemokraten, steigt gleichzeitig der prozentuale Anteil und das Gewicht der Union.
Stimmenanteil und Prozente von SPD und CDU/CSU bei Bundestagswahlen seit 1998
SPD Stimmen | SPD Prozent | Union Stimmen | Union Prozent | Wahlbeteiligung | |
1998 | 20,2 Mio | 40,9 % | 17,3 Mio | 35,1 % | 82,2 % |
2002 | 18,5 Mio | 38,5 % | 18,5 Mio | 38,5 % | 79,1 % |
2005 | 16,2 Mio | 34,2 % | 16,6 Mio | 35,2 % | 77,7 % |
Wenn alles längst gelaufen ist
Gering ist die Wahlbeteiligung immer dann, wenn die Sache längst entschieden scheint. "Bei den Landtagswahlen der letzten Jahre sind die Wähler immer dann zu Hause geblieben, wenn die Umfragen vor der Wahl einen eindeutigen Wahlausgang erwarten ließen", sagt Moehl. Entsprechend lag am 30. August in Sachsen angesichts einer klaren Ausgangslage die Wahlbeteiligung sieben Prozentpunkte unter der von vor fünf Jahren, nur 52 Prozent der Bürger gingen zur Wahl. Anders in Thüringen und im Saarland, wo die Demoskopen vor der Wahl verschiedene Mehrheiten und Koalitionsmöglichkeiten für realistisch hielten. In beiden Ländern stieg die Beteiligung deutlich an.
Klare Verhältnisse bei der Einschätzung der Spitzenkandidaten verstärken das Desinteresse an der Wahl. So lag 2008 in Niedersachsen angesichts der eindeutigen Ausgangslage des Duells Christian Wulff (CDU) gegen Wolfgang Jüttner (SPD) die Beteiligung fast zehn Punkte niedriger als zuvor. Ähnlich war die Situation 2006 in Berlin, als Bürgermeister Klaus Wowereit schon lange vor der Wahl als klarer Sieger gegen Friedbert Pflüger (CDU) gesehen wurde. Für große Spannung sorgten dagegen die Landtagswahl Hessen 2008 mit dem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU und SPD und die Landtagswahl Bayern 2008, bei der es um die Frage ging, ob die CSU nach 46 Jahren ihre absolute Mehrheit verliert. In beiden Fällen blieb die Beteiligung im Vergleich zur Vorwahl konstant.
Angesichts der seit Wochen konstanten Umfragen zur Bundestagswahl und nach einem bisher sehr ruhigen Wahlkampf ist bei der Bundestagswahl am 27. September eine sehr niedrige Wahlbeteiligung möglich. Schon die Wahl 2005 hatte mit 77,7 Prozent in der Geschichte der Bundesrepublik ein Rekordtief markiert. Bei den polarisierenden und auf Personen zugespitzten Wahlkampagnen der 1970er und frühen 1980er-Jahre lagen die Beteiligungen noch um 90 Prozent, mit dem Spitzenwert 91,1 Prozent bei der Brandt/Barzel-Wahl 1972.
Wahlbeteiligungen und CSU/CSU-Ergebnisse bei den Landtagswahlen seit 2005
Jahr | Land | Wahlbeteiligung | Ergebnis CDU/CSU |
2006 | Baden-Württemberg | 53,4 % (-9,2) | 44,2 % (-0,6) |
2006 | Rheinland-Pfalz | 58,2 % (-3,9) | 32,8 % (-2,7) |
2006 | Sachsen-Anhalt | 44,4% (-12,1) | 36,2 % (-1,1) |
2006 | Berlin | 58,0 % (-10,2) | 21,3 % (-2,5) |
2006 | Mecklenburg-Vorpommern | 59,1 % (-11,5) | 28,8 % (-2,6) |
2007 | Bremen | 57,5 % (-3,8) | 25,6 % (-4,2) |
2008 | Hessen | 64,3 % (-0,3) | 36,8 % (-12,0) |
2008 | Niedersachsen | 57,1 % (-9,9) | 42,5 % (-5,8) |
2008 | Hamburg | 63,5 % (-5,2) | 42,6 % (-4,6) |
2008 | Bayern | 57,9 % (+0,8) | 43,4 % (-17,3) |
2009 | Hessen | 61,0 % (-3,3) | 37,2 % (+0,4) |
2009 | Sachsen | 52,2 % (-7,4) | 40,2 % (-0,9) |
2009 | Thüringen | 56,2 % (+2,4) | 31,2 % (-11,8) |
2009 | Saarland | 67,7 % (+12,1) | 34,5 % (-13,0) |
Quelle: ntv.de, tar