Mit Vollgas gegen den StromHyundai Ioniq 6N - mit Starkstrom den Teufel aus dem 6er gekitzelt

Der neue Hyundai Ioniq 6N ist ein E-Auto, das wenig von Konventionen hält. Auf Knopfdruck kann er laut und böse brüllen wie ein Sportwagen und imitiert auch sonst die Verbrennerwelt täuschend echt.
Das Elektroauto an sich ist ein zurückhaltendes Wesen. Es liegt in seiner Natur, sich akustisch im Hintergrund zu halten und möglichst politisch korrekt seiner nachhaltigen Bestimmung zu folgen. So macht es auch Hyundai. Doch die Koreaner haben auch eine dunkle Seite. Und das ist die N-Abteilung, die unschuldige Hyundais in leistungsstarke Performance-Autos verwandelt.
"N" steht für das Entwicklungszentrum in Namyang und für den Nürburgring, wo die Modelle getestet und perfektioniert werden. Im Bewusstsein, dass E-Käufer irgendwann von den Mobilitätswendlern jenseits der Transformation mehr erwarten werden als nur brav zu surren, knöpft sich die N-Truppe auch ihre E-Autos vor und fährt dann mit Vollgas gegen den Strom: Bei Hyundais E-Fahrzeugen, die unter dem N-Sportlabel geboren werden, sitzt das Teufelchen serienmäßig auf dem Kotflügel.
Alles begann 2024 mit dem Ioniq 5N. Ein kompaktes Playmobil, das sich anfühlt, anhört und auch so fährt wie ein hochkarätiges Racingcar mit Verbrenner. Der 5N spielte seine Rolle als Illusionär der Sportwagenwelt so überzeugend, dass sich Hyundai entschloss, einen weiteren Elektriker zum Hochleistungssport mit Stecker zu überreden. Man entschied sich für die Fließhecklimousine Ioniq 6, die ab Frühjahr 2026 auch bei uns vorspielen wird.
Muskelmasse und Alltagstugenden
Dabei legt der 6N mächtig an Muskelmasse zu, vernachlässigt aber seine Alltagstugenden nicht. Dank 800-Volt-Architektur lädt der 6N seinen Akku theoretisch mit maximal 350 kW in 18 Minuten auf 80 Prozent und schafft bis zu 487 Kilometer mit einer Batteriefüllung. Dass war es aber auch fast schon, was wir von der Visitenkarte des Serienmodells übertragen können. Ansonsten wurde der Sechser einmal komplett auf links gedreht.
Mit Manfred Harrer, der seine Expertise bereits bei Porsche und BMW unter Beweis stellte, steht mittlerweile ein Deutscher als Entwicklungschef an der Spitze des Konzerns. Dabei hatte der Rotstift Urlaub. In Harrers Sport-Spiel-und-Spaß-Abteilung wurde der Serien-Sechser leicht auf 4,93 Meter in die Länge gezogen und die Spur um 6 Zentimeter verbreitert, wobei er nun kräftig die Backen aufpustet. Vorn sind die Überhänge etwas kürzer, hinten minimal länger.
Mächtiger Schwanenhals gibt Abtrieb
Aktive Air-Curtains und ein vollverkleideter Unterboden sorgen dafür, dass der 6N möglichst effizient durch den Wind gleitet, während der Heck-Diffusor sowie der mächtige "Swan-Neck"-Flügel für den nötigen Abtrieb sorgen. Bei 250 km/h wird der Hintern des 6N mit mehr als 100 Kilogramm auf die Straße gepresst.
Den E-Baukasten übernimmt der Ioniq 6N weitgehend vom Ioniq 5N, inklusive des 84-kWh-Akkus mit "Performance-Zellen", die ihre Energie besonders schnell abgeben. Wer den roten Knopf am Lenkrad drückt, entfesselt für einige Sekunden die volle Leistung von 650 PS und das maximale Drehmoment von 770 Newtonmeter, das sich noch spontaner über alle vier Räder hermacht. Damit spielt der 6N in der Klasse der hochgezüchteten AMGs und M-BMWs. Die brutale Leistungsabgabe erfolgt dabei aber nochmal spontaner und im Grenzbereich dessen, was ein gesunder Magen gemeinhin vertragen kann. Per Launch Control beschleunigt, schießt sich der Sechser auf Formel-1-Niveau Richtung Horizont. Linkes Pedal halten, rechtes durchtreten - loslassen. Wer jetzt noch bis drei zählen kann, notiert mit zittrigen Fingern: 3,2 Sekunden bis Tempo 100.
Wichtig: "Racetrack Capability"
Geradeaus-Performance ist aber nicht das allein, was Harrers Mannschaft glücklich macht. Auch die "Racetrack Capability", also die Fähigkeit, sich auf Rundkursen mit den Besten der Zunft anzulegen, war im Lastenheft fett unterstrichen. Dabei stand im Fokus, mindestens zwei Rennrunden auf der Nordschleife ohne Leistungsverlust zu schaffen. Eine ausgeklügelte Kühlung der E-Motoren, der Leistungselektronik sowie der Batterie soll diese Standfestigkeit garantieren.
Für die entsprechende Beinarbeit wurde in ebenso aufwendiger wie teurer Detailarbeit die komplette Fahrwerksgeometrie überarbeitet. Neu definierte Anlenkpunkte an Fahrwerk und Lenkung sorgen für spürbar direkteres Ansprechen. Dazu kommen eine höhere Achssteifigkeit, tiefere Rollzentren und neue elektronisch geregelte Dynamik-Dämpfer von ZF, die wesentlich schneller reagieren als die Seriendämpfer.
Natürlich ziehen auch racingtaugliche Bremsen mit fetten Scheiben ein. Der komplette Organismus des 6N ist auf Grip programmiert. Das elektronische Sperrdifferential mit Torque Vectoring an der Vorderachse verteilt in Kurven das Drehmoment blitzschnell zwischen den Rädern, während die eigens für den 6N entwickelten Pirelli P-Zero-Gummis (275/35 R20) sich mit dem Asphalt verbrüdern.
Push fürs Selbstbewusstsein
Das hört sich nicht nur gut an, es fährt sich auch so. Unser Selbstbewusstsein bei den Testfahrten auf dem Korea International Circuit in Yeongam, einem ehemaligen Formel-1-Kurs, stieg mit jeder Kurve ins Unermessliche. Obwohl dich auf der heimatlichen Kartbahn bereits 13-Jährige mit arrogantem Lächeln überrunden, hast du im 6N am Ende eine so breite Brust hinterm Steuer, dass du tatsächlich glaubst, du könntest Verstappen rechts überholen.
Akustisch angefeuert wird dieser Ringtanz vom N Active Sound+. Digital abgemischt imitiert das System auf Knopfdruck und in drei Klangprofilen wählbar einen Motorsound, der nach außen und innen dem Bollern eines Rennwagens erschreckend nahekommt. Wie aus einer heiseren Kehle, die jahrelang mit Hochoktanem gespült wurde. Nie hatte ein E-Auto eine erotischere Stimme. N e-Shift simuliert derweil frappierend realistische Gangwechsel eines Achtgang-Doppelgetriebes, auch per Paddle am Lenkrad, inklusive Zugkraftunterbrechung und Schaltstoß.
Mit frischen Daten gefüttert, sind die Gänge nun noch kürzer gestuft und lassen das emotionale Täuschungsmanöver jetzt auch im Eco-Modus und bei Launch Control zu.
Für vollen Körpereinsatz auf dem Rundkurs möbliert Hyundai den 6N mit fesselnden Schalensitzen und polstert die Mittelkonsole ab. Eingespannt in den Rennstuhl lässt sich der Korea-Kracher über das Display zigfach konfigurieren, fast wie auf einer Playstation. So wurde unter anderem der N Drift Optimizer, bei dem nur der Motor an der Hinterachse befeuert wird, noch schärfer gestellt. Driftwinkel, Auslösemoment und Schlupf der Räder sind jetzt in mehreren Stufen feiner dosierbar, was zur Folge hat, dass man sich noch sensibler an den eigenen Grenzbereich herantasten kann und mit ein wenig Übung spektakuläre Drifts auf die Piste radiert.
Über den sittlichen Mehrwehrt dieses verrückten Huhns im Stromer-Stall lässt sich trefflich streiten. Fahrspaß ohne Ende trifft auf eine E-Technik, die weder Reichweiten-Rekorde noch besondere Nachhaltigkeit im Sinn hat. Auch beim Preis begibt sich der 6N mit mindestens 77.000 Euro in den Grenzbereich. Viel Geld für einen Hyundai, aber wenig für ein Auto, das dich serienmäßig unter Starkstrom setzt.
Hyundai Ioniq 6N - technische Daten
Fünftürige Elektro-Sportlimousine
Länge: 4,93 Meter, Breite: 1,94 Meter, Höhe: 1,49 Meter, Radstand: 2,96 Meter
Elektromotor, 448 kW/609 PS, Boost-Leistung 478 kW/650 PS), maximales Drehmoment: 770 Nm, 0-100 km/h: 3,2 s, Vmax: 257 km/h, Automatikgetriebe, Batterie: 84 kWh, DC-Ladeleistung: 350 kW, Ladezeit von 10 - 80 Prozent: 18 min, max. Reichweite: 487 Kilometer (WLTP)
Preisschätzung: ab 77.000 Euro