Erste Fahrt im Elektro-Brocken Mercedes EQE SUV - der neue Vielzweck-Stromer
08.04.2023, 11:35 Uhr Artikel anhören
Lust auf einen Ausflug mit dem EQE SUV an den Atlantik? Kann man machen - selbst der hier abgebildete 500er schafft bei sparsamer Fahrt bis zu 547 Kilometer. Die passenden Ladesäulen sucht das Navi automatisch heraus.
(Foto: Patrick Broich)
Den SUV-Hunger im elektrischen Businessklasse-Segment stillt Mercedes mit dem taufrischen EQE SUV. ntv.de hat den Brocken ausprobiert und bereits erste Runden gedreht.
Klar, dass der Mercedes EQE auch als SUV kommen würde. Ein bisschen höher einsteigen zu können, lieben die Autofahrer nun einmal. Nicht umsonst gehen die Zulassungszahlen dieser Spezies weiter nach oben. Und bei den elektrisch angetriebenen Mercedes-Modellen liegen die Dinge ja außerdem anders. Denn das praktische T-Modell gibt es hier schlichtweg nicht. Also muss das SUV herhalten, wenn mehr Nutzwert gefragt ist.

Hier das EQE 500 SUV im sportlichen Erscheinungsbild. Der pastellige Uni-Ton hört auf den Namen Manufaktur Alpingrau.
(Foto: Patrick Broich)
Jetzt gibt Mercedes erstmals die Gelegenheit, das 4,86 Meter lange SUV auch zu fahren. Also nichts wie rein in den Neuling und vor dem Losrollen kurz erkunden. Willkommen daheim. Es herrscht das gewohnte Bild, das man von den gehobenen EQ-Ausgaben der Untertürkheimer kennt.
Also blickst du entweder den Hyperscreen an und staunst, wie viel Bildschirm man eigentlich in ein einziges Auto packen kann. Er erstreckt sich mit 1,41 Metern über die gesamte Breite der Frontkonsole, um drei voneinander unabhängige Displays zu offerieren. Oder du nimmst Vorlieb mit zwei kleineren, aber immer noch ziemlich üppigen MBUX-Schirmen.

Wer die Finger nicht vom Hyperscreen lassen kann, beschert seinem Beifahrer auch einen Bildschirm. Hier zu sehen: eines der wählbaren Zierbilder im Ruhemodus.
(Foto: Patrick Broich)
Der Monitor links vor der Nase des Fahrers bildet das Kombiinstrument, während das größere Display in der Mittelkonsole die Kommandozentrale des Mercedes mimt. Zumindest trifft man hier die berührungsempfindlichen Schaltflächen gut, weil sie schön groß gehalten sind. Auf diese Weise lässt sich auch die eher nervige Spurvibration zügig ausschalten als Shortcut sozusagen. Buntes Ambientelicht schimmert außerdem aus Richtung der Lüftungsdüsen sowie einer fein gearbeiteten, illuminierten Leiste.
Nicht, dass solche Features einen handfesten Nutzen hätten, aber man kann mit ihnen seinen Spieltrieb abreagieren. Fröhliches Hantieren auf dem Touchscreen mit der Farbpalette ist also angesagt. Und ein bisschen Wohlfühlstimmung schafft das aufwendige Lichtkonzept definitiv mit dem Wechselspiel aus frei sichtbaren LED-Elementen und der hintergrundbeleuchteten Armaturentafel, die ihrerseits wiederum durch edles Holzfurnier besticht. Und verarbeitet ist dieser Innenraum übrigens top.
Leistung von E-Maschinen lässt sich quasi beliebig skalieren
Solche Gimmicks sind ja schön, aber es muss unbedingt über die Motorisierungen gesprochen werden. Leider hat Mercedes den 245 PS starken Dreihunderter nicht am Start, denn ich finde, dass man sich auch mal mit weniger Power zufriedengeben kann und sollte. Aber nein, seit die Elektromobilität richtig an Fahrt gewinnt, unterliegt Motorleistung einer heftigen Inflation.

Darf es eine gediegene Farbe sein? Sodalithblau steht dem EQE (hier als 350+) gut zu Gesicht. Es muss auch nicht immer das Topmodell sein, denn die 292-PS-Variante hat genügend Druck.
(Foto: Patrick Broich)
Ist ja logisch, während die Ingenieure früher bei den Verbrennern aufwendig an der Mechanik tüfteln mussten, um noch ein Quäntchen mehr Output zu generieren, kann man die Leistung von Elektromaschinen quasi unendlich hochskalieren, sofern die entsprechende Spannung batterieseitig hinzubekommen ist. Mehr Ladedruck etwa bei einem Turbobenziner geht zwar immer irgendwie, aber die thermische Beherrsch- und Haltbarkeit sind in diesem Bereich schon große Themen.
Also gut. Dann eben mit 292 PS an das EQE SUV gewöhnen. Nach reichlich Erfahrung mit vielen Mercedes-Modellen greift die Hand schon ganz automatisch zum Lenksäulenhebel rechts und lässt die Fahrstufe "D" rasten. Leise und flauschig legt der Dreihundertfünfziger als 4Matic (Allrad) los. Und setzt sich trotz 2,6 Tonnen Leermasse ziemlich leichtfüßig in Bewegung.

Das EQE SUV macht sich gut im urbanen Umfeld, vor allem mit der Allradlenkung. Dank zehn Grad Lenkwinkel an der Hinterachse zirkelt der Komfortgleiter mühelos um die Ecken verwinkelter Gassen.
(Foto: Patrick Broich)
Damit das noble Gefährt so vibrationsarm wie möglich agiert, haben die Techniker viel Aufwand getrieben. Der komplette E-Antriebsstrang wird mit speziellen Schaummatten ummantelt. Außerdem entkoppeln die Techniker die Aggregate-Einheiten mittels sogenannten Elastomer-Lagern von der Karosserie. Und dazwischen liegen noch der Tragrahmen (vorn) respektive der Fahrschemel (hinten). Viele Störfaktoren dringen da nicht mehr in den Passagierraum.
Aber eigentlich ist es verrückt. Jetzt powert der Synchronmotor mit seinen Permanentmagneten schon 765 Newtonmeter Drehmoment auf beide Achsen und trotzdem kommt dir die Businessklasse ein bisschen müde vor. Natürlich ist das Unsinn, aber in Zeiten, in denen selbst ein Smart #1 schon mit irrwitzigen Leistungen (272 respektive 428 PS) um Kunden buhlt, verschieben sich einfach die Maßstäbe.
Der Fünfhunderter hat richtig Punch
Also komm, mal eben umsteigen in den Fünfhunderter. Steht ja schließlich auch hier. Ballert mit 408 PS. Das sitzt. Nun folgt also das Szenario, das man als giftig bezeichnet, wenn man das rechte Pedal niederdrückt. Und Mercedes war pfiffig, hat für die erste Probefahrt Straßen im portugiesischen Hinterland gewählt, auf denen die Testflotte quasi allein unterwegs zu sein scheint. Also, gib ihm und genieß den Druck im Kreuz. Und nicht auf den Tacho schauen, du bist nämlich im Handumdrehen in Sphären (von 0 auf 100 in 4,9 Sekunden), die Kollege Ordnungshüter eher humorlos aufnehmen würde.
Interessant zu sehen, dass Werte wie Leistung und Drehmoment immer relativ sind und deren spürbarer Impact stets von der konkreten Konstellation abhängt. So beträgt die Drehmomentdifferenz zwischen den Typen 350 und 500 4Matic gerade einmal 93 Newtonmeter - 858 Nm beim Fünfhunderter -, während der Leistungsunterschied (und den spürt man) satte 116 PS ausmacht.

EQE 350 4Matic: Hier sieht man den Lenkwinkel an der Hinterachse sehr schön. Das große, schwarze Paneel statt Kühlergrill ist typisch für die großen Mercedes-Stromer.
(Foto: Patrick Broich)
Sorry, aber ich kann ihn so nicht stehen lassen: den Gedanken, dass man sich mit dem 350er nicht adäquat motorisiert fühlt. Also schnell noch ein weiterer Fahrzeugwechsel. Ich möchte aber gerne so niedrig einsteigen wie möglich. Also nicht das Chassis ist gemeint, sondern die Variante. EQE 350+ geht - hier wird nur die Hinterachse angetrieben. Das spart etwas Gewicht. Hier liegt das Drehmoment sogar 200 Newtonmeter (565 Nm beim 350+) unterhalb jenem des mit zwei Triebwerken bestückten 350 4Matic, während die Leistung mit 292 PS gleich ausfällt.
Trotz der einzig und allein angetriebenen Hinterachse bringt der Benz noch immer unwirkliche 2430 Kilogramm auf die Waage (tja, Akkus sind halt schwer). Puh. Jetzt aber mal wirklich konzentrieren auf die Beschleunigung. Mal den Tacho beobachten, wie seine virtuelle Nadel hochschnellt. Der 350er hat schon auch Punch, so ist es nicht. Immerhin 6,7 Sekunden nennt das Werk bis zum Erreichen der 100 km/h-Marke. Das ist immer noch ordentlich schnell.
Braucht man das EQS SUV eigentlich überhaupt noch?

Das Spiel mit dem bunten Ambientelicht beherrscht dieser brandneue Mercedes wunderbar. Und: Es muss nicht immer die Display-Eskalation à la Hyperscreen sein. Auch der Basis-Bildschirm leistet hervorragende Dienste.
(Foto: Patrick Broich)
Die Frage, die sich allerdings mehr denn je stellt: Brauche ich eigentlich überhaupt noch ein EQS SUV, wenn das EQE SUV seine Passagiere doch so schön bequem und schnell ans Ziel bringt? Das volle Programm an Infotainment, geschmeidige Lederpolster (auf Wunsch) und beste Verarbeitung gibt es auch hier. Außerdem liegt das EQE SUV auf Luftfederbälgen mit kontinuierlicher Verstellung der Dämpferhärte, wenn der Kunde das möchte (2082 Euro). Dank ihrer Hilfe rollt der Alleskönner sämig ab oder schnellt je nach Einstellung auch mal behände um Kurven.
Mit 1,69 Metern baut er nicht ganz so hoch wie das EQS SUV (1,72 Meter), was ihn im Grenzbereich vielleicht einen Hauch agiler erscheinen lässt. Und im Alltag weit entfernt vom Grenzbereich? Fährt das EQE SUV ein wenig hemdsärmeliger, aber immer noch sehr gediegen. Die Unterschiede machen eher einfachere Motorisierungen (beim EQS SUV geht unter "450+"nichts) sowie die Unmöglichkeit, hier eine dritte Sitzreihe bestellen zu können.
Praxistauglich ist das EQE aber auch mit bis zu 1675 Litern Kofferraumvolumen und die Rücksitze lassen sich denkbar simpel per Knopfdruck umklappen respektive können deren Lehnen in der Neigung verstellt werden. Bitte unbedingt auch ordern: das Gadget, mit dem man an der Hinterachse zehn Grad Lenkwinkel erzeugen kann. Dann wird die Business- gefühlt zu einer Kompaktklasse (nur noch 10,5 statt 12,3 Metern Wendekreis). Das ist richtig angenehm beim Einbiegen in besonders knapp geschnittene Einfahrten oder Rangieren in engen Parkhäusern.
Unter dem Blech gibt es natürlich noch ein paar Neuerungen. Das SUV verfügt jetzt über eine Wärmepumpe (ja, die gab es bisher tatsächlich auch für die EQE-Limousine nicht) - spart laut Technikern bis zu zehn Prozent an Energie an kalten Tagen und generiert damit mehr Reichweite. Außerdem verfügt der Mercedes über eine sogenannte Disconnect Unit. Im Schub wird der Motor per Kupplung von den Rädern gekoppelt, um Schleppmomente zu reduzieren. Diese Funktion bekommen natürlich die Allradausführungen.
Richtiger Ladeperformer ist EQE SUV nicht

Der große Kofferraum mit 1675 Litern Volumen kann durchaus ein Argument für das SUV sein. Ein elektrisches T-Modell steht ja schließlich nicht an.
(Foto: Patrick Broich)
Die gemittelten WLTP-Stromverbräuche rangieren von bestenfalls 17,7 kWh (350+) bis zu 19 kWh (500 4Matic). Wäre ja bei angeblichen null Gramm CO2 (ja nee, ist klar) zumindest umwelttechnisch fast egal - also nein, ist es natürlich nicht, solange Deutschland Kohlekraftwerke betreibt -, aber die Kosten sollten ja auch nicht aus dem Blick verloren werden.
Anders dürften die Verbräuche aussehen, wenn man länger mit der Topgeschwindigkeit von 210 km/h unterwegs ist. Dann schrumpft die Reichweite sicherlich massiv und von den bis zu 590 möglichen Kilometern (90-kWh-Batterie) in der kombinierten WLTP-Disziplin beim 350+ bleiben deutlich weniger übrig. Wie viele genau, gilt es bei späteren, längeren Testfahrten herauszufinden. Wer einen entsprechenden Ladepunkt aufsucht, zieht immerhin mit bis zu 170 Kilowatt Strom - hier könnte etwas mehr gehen. Plastischer ausgedrückt: Im günstigsten Fall lädt der EQE SUV 220 Kilometer innerhalb von 15 Minuten nach. Allerdings bleibt spannend, wie lange diese Ladeleistung aufrecht erhalten wird.
Wer einen guten Überblick über die Stromkosten behalten will, kann bei Mercedes verschiedene Ladetarife buchen - die entsprechende Karte liefern die Schwaben gleich mit. Mit ihr kann man europaweit fast alle Schnelllader aktivieren zu Kursen ab 55 Cent je Kilowattstunde.
Ein richtig günstiges Vergnügen ist das EQE SUV nicht, startet mit 83.478 Euro selbst für den 300. Die hier besprochenen Modelle 350+ respektive 350 4Matic und 500 4Matic schlagen mit Listenpreisen von 86.810, 89.547 und 99.841 Euro zu Buche. Ach ja, wer selbst mit 408 PS und 210 km/h nicht zurechtkommt, darf die AMG-Spitzenausführung wählen mit 676 PS und 240 km/h Topspeed. Dann muss das Bankkonto entsprechend gut gefüllt sein, denn hier dürfte es satt sechsstellig werden.
Quelle: ntv.de