
Mit dem Vision EQXX hat Mercedes die nächste Stufe der Elektromobilität gezündet. Weltpremiere feiert die Studie, die nicht nur 1000 Kilometer rein elektrisch fährt und extrem leicht und nachhaltig ist, sondern auch "wie ein Mensch denkt", auf der CES in Las Vegas.
Bis dato waren es die chinesischen Elektroautohersteller, die mit Reichweiten von bis zu 1000 Kilometern für Furore sorgten. Auf dem Papier wohlgemerkt. Ob die Fahrzeuge tatsächlich diese Strecke bewältigen und unter welchen Umständen, ist bis dato nicht bekannt. Doch wie dem auch sei, mit der Vision EQXX holt jetzt ein deutscher Hersteller zum Gegenangriff aus. Auf der Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas stellt Mercedes nämlich erstmals ein Elektroauto vor, das "mehr als 1000 Kilometer mit einer einzigen Batterieladung auf öffentlichen Straßen" ermöglichen soll.
Dabei geht das Konzept des Vision EQXX in eine Richtung, die man so von einem Premiumhersteller wie Mercedes gar nicht erwartet hätte. Das Credo des Wagens und seiner damit verbundenen Reichweite ist nämlich "Effizienz". Nach Meinung der Stuttgarter ist das jedenfalls die "neue Währung" für Elektroautos mit dem Stern. Das gilt im Falle der Luxuswagen-Schmiede natürlich nicht nur die schnöde Strecke, sondern soll sich auch auf den Komfort erstrecken, der "mit geringeren Auswirkungen auf die Umwelt" einhergehen soll.
Effizienz auf einem völlig neuen Niveau

Mit dem Vision EQXX hat Mercedes nach eigenen Angaben die Effizienz aller Komponenten auf ein ganz neues Niveau gehoben.
(Foto: Mercedes)
Doch abseits des begehrenswerten Luxus sind für den Alltagsbetrieb die Reichweite, Ladekapazitäten und -zeiten eine viel entscheidendere Währung. Und insofern muss selbst Jörg Bartels, der für die Fahrzeugintegration bei Mercedes verantwortlich ist, eingestehen: "Hohe elektrische Reichweiten zu erreichen, klingt einfach, ist aber eine komplexe technische Herausforderung. Der einfachste Weg ist, eine größere Batterie zu verwenden. Dies führt jedoch aufgrund von Größe und Gewicht wieder zu einer schlechteren Effizienz. Also definitiv nicht der schlaueste Weg. Auch nicht die effizienteste Nutzung von wertvollen Ressourcen. Mit dem Projekt Vision EQXX haben wir neue Wege gefunden, um die Reichweite eines Elektroautos zu erhöhen", erklärt Bartels. "Und, wir heben die Effizienz auf ein völlig neues Niveau."
Doch was heißt das jetzt technisch für den EQXX? Bei einer Leistung von bis zu 203 PS, was mit Blick auf einen EQS sehr wenig ist, sorgt ein Antriebsstrang für die Fahrzeugbewegung, der dafür sorgt, dass 95 Prozent der in der Batterie gespeicherten Energie an die Räder übertragen wird. Mercedes beschreibt das elektrische Antriebssystem als "eine eigenständige Einheit aus Elektromotor, Getriebe und Leistungselektronik mit einer neuen Generation von Siliziumkarbiden". Wobei der Wechselrichter - also das Gerät, was die Energie zwischen Batterie und Motor umwandelt - auf dem des kommenden Mercedes-AMG Project ONE Hypercars basieren soll.
Hohe Energiedichte und Spannung
Das Batteriepaket des EQXX soll laut Mercedes eine Energiedichte von knapp 400 Wh pro Liter haben. Dieser Wert ermöglicht es, eine Batterie mit annähernd 100 kWh nutzbarer Energie absolut platzsparend zu verbauen. Als Vergleich: Die Batterie des EQXX ist etwa halb so groß wie die eines EQS und wiegt mit knapp 495 Kilogramm 30 Prozent weniger. Die Spannung der Batterie ist mit über 900 Volt ungewöhnlich hoch. Auch am Wärmemanagement im EQXX wurde gearbeitet. Hier soll beim Austausch der Systeme die Wärmeenergie bewahrt und der Kühlwiderstand reduziert werden. Technisch bedeutet das, dass der elektrische Antrieb dank eines hohen Wirkungsgrades nur sehr wenig Abwärme entwickelt. Das wiederum hat zur Folge, dass das Wärmemanagementsystem sehr kompakt gehalten werden kann.
Um die Reichweite zu verlängern, beziehen die elektrischen Systeme des EQXX ihre Energie von 117 Solarzellen auf dem Dach. Da das Hochvoltsystem so weniger Energie freigeben muss, kann diese zusätzliche Energiequelle unter Idealbedingungen bei Langstreckenfahrten für bis zu 25 Kilometer zusätzliche Reichweite sorgen. Perspektivisch gesehen soll die Solaranlage sogar in der Lage sein, die Batterie zu speisen und so noch mehr zusätzliche Reichweite zu generieren. Partner bei diesem Ziel ist das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE.
Einen weiteren Reichweitenverlängerer hat Mercedes beim EQXX mit der Aerodynamik geschaffen. Während ein konventionelles Elektroauto theoretisch zwei Drittel seiner Batteriekapazität benötigt, um den Luftwiderstand zu überwinden, liegt der Wert beim EQXX dank eines Luftwiderstandbeiwertes von 0,17 deutlich darunter.
Betont puristisch
Doch mit dem EQXX läutet Mercedes auch noch einen neuen, betont puristischen Designstil ein, der sich nicht nur äußerlich, sondern auch im Innenraum zeigt. Hier geht der Trend weg von üppigen Volumenkörpern, hin zu wenigen Modulen, deren Leichtbaustrukturen bis dato bekannte Zierteile ersetzen. Das Leitprinzip für die Innendesigner war, maximalen Komfort bei minimalem Gewicht zu schaffen, und das ganz ohne Produkte tierischen Ursprungs. So sind die Türgriffe zum Beispiel aus einem hochfesten, biotechnologisch erzeugten und als vegan zertifizierten seidenähnlichen Gewebe. Hinzu kommen vegane Lederalternativen, Biomaterial auf Kautschukbasis oder "zu 100 Prozent schnell nachwachsende Bambusfaser". Zudem werden im Innenraum im großen Umfang recycelte Materialien verwendet, darunter auch PET-Flaschen.
Natürlich wurde auch beim Leichtbau der Karosserie auf Nachhaltigkeit sowie innovative Materialien und Fertigungsverfahren gesetzt. So ist der EQXX nach Aussagen von Mercedes das erste Fahrzeug, "in dem der ultrahochfeste und extrem leichte Stahl MS1500 für die Rohkarosserie verbaut wird". Der CO2-arme Flachstahl wird zu 100 Prozent aus Schrott im Lichtbogenofen-Verfahren hergestellt. Auch die Türen, bestehend aus einem Compound-Werkstoff, bei dem CFK- und GFK-Bauteile (kohlenstoff- und glasfaserverstärkte Kunststoffe) mit Aluminiumverstärkungen kombiniert werden, sorgen für ein geringeres Fahrzeuggewicht.
Das Auto denkt wie der Mensch

Beeindruckend das Display, das sich von einer A-Säule zur anderen zieht und mit 8k auflösen soll.
(Foto: Mercedes)
Aber auch das ist noch nicht alles, denn die Stuttgarter versprechen am Ende mit dem EQXX sogar ein Auto, das "denkt, wie der Mensch, der es lenkt". Hört sich verrückt an? Ist es irgendwie auch, denn Mercedes sagt, dass es sich hier bei der Verarbeitung von Informationen um ein künstliches neuronales Netz handelt, das das natürliche Pendant im menschlichen Gehirn nachahmt und nur dann Signale sendet, wenn bestimmte Schwellenwerte erreicht werden. Der Vorteil dieses "neuromorphen Computings" ist ein wesentlich geringerer Energieverbrauch. Nun darf aber nicht verschwiegen werden, dass diese neuromorphe Datenverarbeitung noch in den Kinderschuhen steckt. Und auch wenn Fachleute davon ausgehen, dass diese Systeme in wenigen Jahren auf dem Markt sind, wird es wohl doch noch einen Augenblick dauern.
Und weil der Hyper-Screen im EQS schon für Aufsehen gesorgt hat, soll nicht verschwiegen werden, dass sich auch im EQXX ein 47,5 Zoll großes Display von einer A-Säule zur anderen erstreckt und mit einer 8k-Auflösung "die Insassen mit der Außenwelt" verbinden soll. Warum die Insassen auf diesem Weg mit der Außenwelt verbunden werden sollen, muss sich zwar noch erschließen, denn ein Blick aus dem Fenster könnte das auch erledigen. Doch wie dem auch sei, hinzu kommt, "dass ein 'Star Cloud'-Avatar, der optisch an die Namensgeberin der Marke, Mercedes Jellinek, erinnert, als eine Art Reiseleiter" fungieren soll. Er soll sich den Bedürfnissen der Fahrgäste anpassen und "die Fahrt so zu einem luxuriösen Erlebnis" machen.
Wer jetzt das Gefühl hat, im Jahr 2050 angekommen zu sein, der mag nicht verkehrt liegen. Denn tatsächlich sind die letztgenannten Beigaben mit neuromorphen Computern und sich einfühlenden Avataren dann doch noch Zukunftsmusik. Obgleich der Gedanke, dass so etwas funktionieren könnte, faszinierend und gespenstisch zugleich ist.
Quelle: ntv.de