Die Hölle, wenn der Regen kommt Mysterium Nordschleife mit dem 911 GTS erfahren


Die Nordschleife ist legendär, sie ist mystisch und gehört zu den anspruchsvollsten Rennstrecken der Welt. Ihr böses Gesicht zeigt sie aber im Regen und vor allem danach.
(Foto: Rossen Gargolov)
Nicht nur wer einen Sportwagen fährt, will, wenn er Benzin im Blut hat, einmal die Nordschleife fahren. Diese sagenhafte Rennstrecke in der Eifel, die als eine der schwersten der Welt gilt. Aber Vorsicht, das Gesicht des Kurses ist je nach Witterung wandelbar. Und das kann den Fahrer selbst in einem Porsche 911 Carrera GTS an die Grenzen bringen.
Die Nordschleife ist für jeden Motorsport-Fan ein magischer Ort. Fast schon mystisch, möchte man sagen, denn nicht nur, dass die hier eingefahrenen Rekorde den Ritterschlag für die Hersteller der Fahrzeuge bedeuten, es ist auch der Beiname "Grüne Hölle", der diese etwas mehr als 20 Kilometer so sagenhaft macht. Dabei sind die 73 Kurven und deren Anstiege von bis zu 18 Prozent genau wie die Abschnitte mit einem Gefälle von bis zu 11 Prozent bei schönem Wetter und mit dem richtigen Auto gut zu bewältigen.
Na gut. Zu einem Porsche 911 Carrera GTS kommt bei einem Rennstreckentraining noch ein Nordschleifen-geeichter Instruktor, der zwar im Sturmschritt, aber immer mit wachem Auge im Rückspiegel vorneweg prescht und die Linie vorgibt. Läuft, kann man da nur sagen. Der 911 GTS in der dritten Auflage pfeilt so leistungsstark, so fahrdynamisch und so eigenständig über den Kurs, dass der Fahrer eigentlich nur noch schmückendes Beiwerk zum Auto zu sein scheint.
Der aufgeladene Sechszylinder-Boxermotor leistet 480 PS und schiebt über die Hinterräder mit einem maximalen Drehmoment von 570 Newtonmeter an. Die Kraftverteilung übernimmt das einzigartige Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe (PDK). Die Elektronik sorgt für feines Zwischengas, auf dass die Drehzahl immer dort ist, wo sie gebraucht wird, um blitzartig aus den Kehren zu beschleunigen, in die man zuvor sauber eingestochen ist.

Bei trockener Witterung ist der Pilot des 911 GTS, unterstützt vom Fahrzeug selbst, Herr der Dinge.
(Foto: Rossen Gargolov)
Dabei liegt das Lenkrad so gut in den Händen, gibt dem Piloten das Gefühl, der Herr über das Auto zu sein, es nahezu spielerisch tänzeln zu lassen. Ja, es bleibt sogar die Zeit, mit den Fahrmodi zu spielen. Von Sport in Sport Plus zu wechseln, um das ESP noch etwas in den Hintergrund rücken zu lassen. Das Gefühl zu genießen, wenn sich das Heck beim minimal zu frühen Beschleunigen aus der Kurve querstellt, um es dann mutmaßlich gekonnt wieder einzufangen. Nicht ahnend, dass auch hier die Elektronik feinfühlig Hand anlegt.
Der Übermut wird ob der Sicherheit, die der 911 GTS ausstrahlt, gar so groß, dass der Sport Response Button immer wieder gedrückt wird, um das Ansprechverhalten von Motor und Getriebe für 20 Sekunden auf maximale Performance zu schalten. In nur 3,3 Sekunden kann der Bolide so aus dem Stand auf Tempo 100 beschleunigen und wenn es die Topografie und vor allem das Können es zuließen, wäre wohl auch auf der Nordschleife eine Höchstgeschwindigkeit von 309 km/h möglich.

Wenn die Nordschleife ihr Gesicht im Regen verändert, ist der Fahrer mehr als die Technik gefragt.
(Foto: Rossen Gargolov)
Es läuft, nein - es rennt. Die Dämpfer reagieren dank Suspension Management oder kurz PASM blitzschnell auf dynamische Veränderungen und es stellt sich dabei raus, dass es auf dem doch recht unebenen Kurs in der Eifel besser ist, die Normalstellung zu wählen und nicht die Rennstrecken-Härte, die Sport oder Sport Plus zur Verfügung stellen. Und kommt es doch mal zu einem leichten Versatz, greift das Torque Vectoring mit gezielten Bremseingriffen an den Hinterrädern ein.
Doch wehe, wenn die Strecke ihr Gesicht verändert, wenn sie vom Spaßkurs zur "Grünen Hölle" wird. Das passiert genau dann, wenn es anfängt zu regnen, zu schütten. Wenn die Gischt des Vordermanns dir die Sicht nimmt. Wenn der neue Asphalt in tiefem Schwarz nicht zu erkennen gibt, wo das Aquaplaning lauert, der Bolide aufschwimmt und sich aus dem Nichts und auf der Geraden dreht wie ein Brummkreisel. Die Elektronik des Porsche hat es vorher gewusst. Mahnend bittet sie darum, den Wet Mode, den Regen-Modus zu nutzen, um das sich nunmehr wirklich gigantisch anfühlende Drehmoment von der Hinterachse nehmen zu können.

Das maximale Drehmoment von 500 Newtonmeter des 911 GTS fühlt sich bei Nässe auf der Nordschleife brachial an.
(Foto: Rossen Gargolov)
Aber bitte, das ist ein 911, das ist die Nordschleife. Langsam gibt es hier nicht. Wer bremst, hat Angst, und wer Angst hat, verliert! Die Ideallinie wird jetzt zur Regenlinie, was nichts anderes heißt, als dass sie gekreuzt wird. Natürlich verlangsamt sich das Tempo. Rundenzeiten müssen hier nicht mehr gemessen werden. Das Augenmerk liegt nur noch auf dem Auto. Das, was im Trocknen so einfach war, weil die Elektronik das Schalten übernahm, die Traktion durch das Torque Vectoring gewahrt blieb, der Wagen sich nach dem Heckschwänzeln wie von Geisterhand gerade zog, ist jetzt plötzlich schwer. Wird zu einem guten Teil die Aufgabe des Piloten.
Er muss über die Schaltwippen entscheiden, mit welchem Gang es aus der Kurve geht. Und es empfiehlt sich, den nächsthöheren zu nehmen. Der Elektronik ist es egal. Sie ist auf Rundenzeit geeicht, auf maximale Performance und Kraft. Aber bricht der Wagen hier aus, ist auch das beste Torque Vectoring nichts mehr wert. Wenn die nasse Wiese erreicht ist, die Reifen den Grip verlieren, dann wirkt nur noch die Physik. Um genau zu sein, ist es das erste Newtonsche Gesetz, Kraft gleich Masse mal Beschleunigung, das den Piloten hier in arge Bedrängnis bringt.

Richtig tückisch wird die Nordschleife, wenn der Asphalt trocknet, aber die Ränder nass sind. Da kann die Ideallinie schnell zur Falle werden.
(Foto: Rossen Gargolov)
Kleinigkeiten können dazu führen. Zum Beispiel das minimale Überfahren eines nassen Randstreifens, bei dem das rechte Antriebsrad jeden Halt verliert, während das linke auf einem trocknen Stück so fest zubeißt, dass der Wagen in einer Millisekunde eine Richtung einschlägt, die abseits des Rundkurses liegt und den stolzen Fahrer des 911 GTS samt Gefährt zum Spielball der Kräfte werden lässt. Oder anders gesagt: "Ein Körper verharrt im Zustand der Ruhe oder der gleichförmigen geradlinigen Bewegung, sofern jener nicht durch einwirkende Kräfte zur Änderung seines Zustands gezwungen wird."
Das Schlimme an einer solchen Situation ist, dass man einem Porsche 911 Carrera GTS hier gar keinen Vorwurf machen kann. Das Auto ist über jeden Zweifel erhaben. Im Endeffekt kann es in diesem Fall mehr als der Pilot, doch der muss wachsam und konzentriert sein. Denn der kleinste Fehler kann hier über Zieleinfahrt oder das Aus entscheiden. Insofern darf sich glücklich schätzen, wer mit seinem mindestens 140.000 Euro teuren Schätzchen nach einem Regentraining auf der Nordschleife heil und unversehrt die Heimreise antreten kann. Denn er hat nicht nur bewiesen, mit Köpfchen gefahren zu sein, sondern hat auch die Sprache zwischen Strecke, Fahrer und Auto in Extremsituationen verstanden.

Auf der Nordschleife selbst geht es weniger um den Verbrauch als vielmehr darum, seine Fähigkeiten zu verbessern.
(Foto: Rossen Gargolov)
Auf dem Weg nach Hause hat er dann auch Gelegenheit, darüber nachzudenken, ob es zeitgemäß ist, 23 Liter über 100 Kilometer Rennstrecke zu verbrennen. Gleichwohl darf er überrascht auf die elektronische Verbrauchsanzeige starren, die ihm über Land bei nahezu konstant 80 km/h einen Durchschnittsverbrauch von 6,8 Litern ausweist. Knapp sieben Liter für einen drei Liter großen Sechszylinder? Das schaffen nicht mal halb so große Dreiender in Kleinwagen.
Am Ende einer Fahrt über 1200 Kilometer, mit reichlich flott gefahrenen Autobahnabschnitten, kam der interne Rechner auf knapp 11 Liter. Was nichts anderes bedeutet, als dass mit dem großen Tank und einer Füllung die 643 Kilometer vom Nürburgring bis nach Hause zurückgelegt werden konnten. Da lässt sich der Verbrauchsexzess in der Grünen Hölle gleich viel leichter verschmerzen.
Quelle: ntv.de