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Schlechte Bildung hemmt Brasiliens gebremster Boom

Eigentlich steht Brasiliens Wirtschaft so gut da wie seit Jahrzehnten nicht mehr: Das Rohstoffgeschäft boomt, die Mittelschicht wächst und die internationale Finanzwelt fasst Vertrauen. Dennoch könnte Brasilien auch diesmal dazu verdammt bleiben, das sprichwörtliche "Land der Zukunft" zu bleiben. Denn der Boom hat eine sträfliche Vernachlässigung des Bildungssystems ans Tageslicht gebracht. Jetzt, da viele qualifizierte Arbeitskräfte gebraucht werden, stellen die Firmen fest: Es gibt keine.

"Schlechte Ausbildung ist wahrscheinlich das größte Wachstumshemmnis", erklärt Flavio Castelo Branco, Chefökonom des Nationalen Industrieverbandes CNI. In boomenden Sektoren wie Bergbau oder Maschinenbau finden mehr als 70 Prozent der Firmen nicht die passenden Leute. Um den Mangel auszugleichen, müssen große Firmen viel Geld in eigene Ausbildungsprogramme stecken oder Personal im Ausland rekrutieren. Das Nachsehen haben die kleineren Betriebe, die hierzu nicht in der Lage sind. Fast ein Viertel der Manager nennet den Fachkräftemangel ihr größtes Problem.

Jeder zweite Schüler beendet Grundschule nicht

Nur 89 Prozent der 158 Millionen Brasilianer können überhaupt Lesen und Schreiben. Damit liegt Brasilien deutlich hinter Russland (99 Prozent) und China (91 Prozent), nur Indien landet mit 61 Prozent auf dem letzten Platz der oft als "BRIC"-Staaten zusammengefassten vier Länder. Auch bei der neuesten Pisa-Studie landen Brasiliens Schüler in Mathematik und Naturwissenschaft auf den letzten Plätzen - und das, obwohl an der Studie nur die ohnehin schon privilegierten Schüler an weiterführenden Schulen teilnehmen. Fast die Hälfte der Schüler scheidet nämlich schon während der Grundschule aus.

Unterbezahlte und schlecht vorbereitete Lehrer sind nur ein Grund. Viele Kinder müssen arbeiten, um zum Unterhalt der Familie beizutragen. Zudem erscheinen in vielen Favelas Kriminalität und Drogen als bessere Karrierewahl. "Familien bestehen hier oft nur aus einer Großmutter, einer Tante oder einem älteren Bruder. Die Mehrheit der Kinder hat keinen Vater", klagt Ilaria Soares Arruda, Direktorin an einer der Problemschulen nahe der Landeshauptstadt Brasilia. Anfang des Jahres musste die Schule die Klassenräume mit Vorhängeschlössern versehen, um Vandalismus und Diebstahl Einhalt zu gebieten.

Verbesserung ist Frage von Generationen

In den letzten zehn Jahren hat die Regierung zwar viel investiert, um mehr Kindern den Schulbesuch zu ermöglichen, die Qualität wurde jedoch vernachlässigt. Brasilien gibt inzwischen vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung aus - mehr als Russland oder Indien. Präsident Luiz Inacio Lula da Silva, der selbst keinen höheren Schulabschluss hat, verteilt inzwischen viel Geld an Problemschulen, baut Universitäten und fördert die Lehrerausbildung.

Dennoch ist die Bildung nach Ansicht von Kritikern nie zur Priorität geworden. "Bildung wird hier noch immer nicht als die große Herausforderung für die Gesellschaft gesehen", sagt Eduardo Giannetti, Wirtschaftsprofessor an der Ibmec Business School in Sao Paolo. Die Früchte der Reformen könne Brasilien zudem erst in vielen Jahren ernten. "Ich fürchte, dass wir auch in zehn Jahren noch hinterherhinken."

Quelle: ntv.de, Ana Nicolaci da Costa und Isabel Versiani, Reuters

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